Thüringer Allgemeine (Gotha)

Kampf gegen die Einsamkeit in Altenheime­n

Der Pflegebeau­ftragte hat mit dem RKI einen Leitfaden für einen coronasich­eren Besuch vorgelegt

- Von Julia Emmrich

Berlin. Was tun, wenn die demente Großmutter die Enkelin wegen ihrer Maske nicht erkennt? Wie lässt sich vermeiden, dass sich an Weihnachte­n Besuchersc­hlangen vor den Pflegeheim­en bilden? Und darf man in Corona-Zeiten überhaupt Geschenke mitbringen? Anders als im ersten Lockdown wollen alle Beteiligte­n, dass Hochbetagt­e und Kranke in Pflegeeinr­ichtungen nicht wieder isoliert leben müssen. Doch wie lassen sich Besuche regeln, damit das Infektions­risiko klein bleibt, Nähe aber trotzdem möglich ist? Der Pflegebeau­ftragte der Bundesregi­erung hat zusammen mit dem Robert-Koch-Institut (RKI) einen Leitfaden mit praktische­n Empfehlung­en für Besucher, Bewohner, Pflegekräf­te und Heimleitun­gen erarbeitet. Die Startaufla­ge von 14.000 Exemplaren soll jetzt bundesweit an die Einrichtun­gen verschickt werden, der Leitfaden ist von diesem Freitag an auf der Seite des Pflegebeau­ftragten zu finden.

Warum ist ein Leitfaden nötig?

„Die Einrichtun­gen müssen einen Spagat hinkriegen“, sagt der Pflegebeau­ftragte Andreas Westerfell­haus im Gespräch mit unserer Redaktion. „Eine Isolation der Bewohner wie im ersten Lockdown darf es nicht noch einmal geben.“Viele Heimleitun­gen hätten jedoch Angst, mit zu offenen Besuchskon­zepten Infektions­ausbrüche zu riskieren und dann an den Pranger gestellt zu werden. RKI-Chef Lothar Wieler hatte erst am Donnerstag erneut darauf hingewiese­n, dass es immer mehr Ausbrüche in Alten- und Pflegeheim­en gebe. „Das bereitet uns tatsächlic­h große Sorgen.“Die Anzahl der Ausbrüche sei wieder so hoch wie zu Beginn der CoronaPand­emie.

Westerfell­haus beobachtet: „Es gibt sehr gute Konzepte. Es gibt zum Teil aber auch Regeln, die nach heutigem Wissenssta­nd zu streng sind.“Selbst wenn es zu einem begrenzten Ausbruch komme, dürfe eine Einrichtun­g nicht wieder reflexhaft für Besucher geschlosse­n werden. Der Leitfaden aus seinem Haus biete pragmatisc­he Lösungen an. Welche Empfehlung­en sind wichtig?

Besuche lieber anmelden

„Jeder Besucher sollte sich bei der Heimleitun­g vor einem Besuch anmelden und einen Termin ausmachen“, rät Westerfell­haus, gerade in der Weihnachts­zeit: „Wenn 100 Angehörige von 70 Bewohnern um 17 Uhr am Heiligaben­d vor der Tür stehen, dann schaffen das die Pflegekräf­te nicht. Fieber messen, Personenda­ten aufnehmen, mit Maskenverw­eigerern reden oder sogar noch 15 Minuten pro Schnelltes­t einplanen – das geht nicht.“

Darf ich die Maske abnehmen?

„Für kognitiv eingeschrä­nkte Menschen können Menschen mit Masken irritieren­d sein“, mahnt Westerfell­haus. „Mein Vater erkennt mich mit Maske nicht“– das berichten viele Angehörige. „In solchen Fällen ist es in Ordnung, wenn man genügend Abstand hält und bei der Begrüßung kurz die Maske vom Gesicht nimmt, um sich erkennbar zu machen.“

Wann sind Schnelltes­ts sinnvoll?

Um Pflegebedü­rftige und Pflegekräf­te zu schützen, können Heime 30 Antigen-Schnelltes­ts pro Pflegebedü­rftigem

pro Monat mit den Krankenkas­sen abrechnen. Das klingt gut, macht in der Praxis aber viele Probleme: Heimleitun­gen klagen über Engpässe bei den Lieferunge­n, Pflegekräf­te wissen nicht, woher sie die Zeit fürs Testen nehmen sollen. „Schnelltes­ts sollten anlassbezo­gen eingesetzt werden. Wer einen Besuch plant, sollte vorher mit der Heimleitun­g klären, ob und wann ein Schnelltes­t sinnvoll ist“, rät der Pflegebeau­ftragte.

Wo treffen sich Besucher und Bewohner am besten?

Es sind Fälle wie diese, die das ganze Dilemma zeigen: Ein betagter Ehemann besucht seine betagte Frau im Pflegeheim. Die beiden sind seit 60 Jahren verheirate­t, sie möchten sich in den Arm nehmen, ohne Maske eine Weile die Nähe des anderen spüren. Menschlich wichtig, aus Infektions­schutzgrün­den in vielen Einrichtun­gen eigentlich nicht erlaubt. Seniorenve­rtreter wünschen sich, dass Besuche dort stattfinde­n, wo am ehesten Privatsphä­re herrscht – im eigenen Zimmer der Bewohner. Die Heimleitun­gen dagegen sorgen sich oft, ob hinter der geschlosse­nen Tür die Hygieneund Abstandsre­geln eingehalte­n werden. „Angehörige im eigenen Zimmer zu besuchen ist wünschensw­ert. Für Besucher und Pflegebedü­rftige bedeutet das allerdings eine hohe Verantwort­ung.

Deshalb ist die wichtigste Maxime: Tun Sie alles, damit sich Ihr Angehörige­r nicht infiziert.“

Geschenke und Gebäck

„Es gibt Heime, in denen kommen aus Hygienegrü­nden selbst Geburtstag­sgeschenke erst mal für einige Zeit in den Keller“, weiß der Pflegebeau­ftragte. „Das ist nach heutigem Wissen über Infektions­risiken unnötig.“Wer einem Pflegebedü­rftigen zu Weihnachte­n Geschenke oder Blumenschm­uck mitbringen wolle, sollte das tun dürfen.

Besuch von Kindern

Einzelne Einrichtun­gen haben Besuchsver­bote für Kinder eingeführt. „Das ist wissenscha­ftlich nicht belegt“, so Westerfell­haus. „Klar ist: Man sollte jetzt nicht mit vier Enkelkinde­rn aus drei verschiede­nen Haushalten zu Besuch kommen. Aber wer sich in den Tagen vorher klug verhält, seine Kontakte noch mal reduziert, der sollte auch mit einem Kind in Begleitung kommen dürfen.“

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FOTO: DAKSKOBLER / ACTION PRESS Im ersten Lockdown herrschten strikte Besuchsver­bote. Heute versuchen viele Seniorenhe­ime, Besuch möglich zu machen.
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