Ramelow: Der Osten ist nicht die „bucklige Verwandtschaft“
Politiker debattieren den Föderalismus unter den besonderen Bedingungen der Pandemie
Erfurt. Der Thüringer Regierungschef wirkte genervt. Die Ministerpräsidentenkonferenz sei „nicht die nachgeordnete Behörde des Kanzleramts“, echauffierte sich Bodo Ramelow Ende Oktober. Die Länder ließen sich nicht vom Bund die Präventionsmaßnahmen gegen das Corona-Virus vorschreiben, eher sei es doch anders herum.
Nun hielt Ramelow in der Sache – seinem Anti-Lockdown-Kurs – nicht lange durch. Aber in der Formkritik, dass Berlin in einer Bundesrepublik nicht den Takt vorgeben dürfe, vertrat er die gefühlte Mehrheit seiner Amtskollegen.
Doch wie verhält es sich überhaupt mit dem Föderalismus, vor allem in dieser Pandemie? Schließlich ist Infektionsschutz Ländersache, wird aber gleichzeitig zentral in einem Bundesgesetz geregelt.
Diese Frage debattierte Ramelow am Mittwochabend in einer OnlineKonferenz mit Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), der als Regierender Bürgermeister von Hamburg auch schon mal auf der anderen Seite gestanden hatte. Auch Sachsen-Anhalts Regierungschef Reiner Haseloff (CDU), der gerade eine Regierungskrise zu überwinden, nahm sich als aktueller Bundesratspräsident die Zeit.
Gastgeber war die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung, deren neuen Vorsitzender Kurt Beck als früherer rheinland-pfälzischer Ministerpräsident auch als fachkundig gelten darf. Zur Begrüßung hielt er nicht seine Meinung zurück. Es sei ja belegt, sagte er, dass es die Länder in vielen Bereichen einfach besser könnten als der Bund. Für ihn sei es eine „Horrorvorstellung“, wenn es irgendwann mal ein „Bundesbildungsamt“geben würde.
Scholz ging da lieber nicht darauf ein, sondern trug eine vorbereitete Rede vor. „2020 war ein dramatisches Jahr“, referierte er. Aber das föderale System habe sich bewährt, weil damit „regional angemessen“reagiert werden konnte. Gerade weil die Ministerpräsidenten und die Bundesregierung so oft und so lange über die richtigen Maßnahmen diskutiert hätten, seien am Ende auch „abgewogene Entscheidungen“herausgekommen. Dann verabschiedete sich der Minister schon wieder.
Ramelow hielt es deutlich länger aus. Für ihn, sagte er, sei der Föderalismus der Bundesrepublik die Antwort auf zentrale, totalitäre Systeme wie NS-Staat und die DDR. Allerdings müsse Westdeutschland noch lernen, dass Vielfalt nicht nur bedeute, dass Bremen anders sei als Niedersachsen, sondern eben auch anders als Sachsen. Wenn der Osten seine Interessen und Befindlichkeiten artikuliere, werde er immer noch zu oft als undankbare Meckerfritzen und „bucklige Verwandtschaft“
wahrgenommen. Dabei gelte doch: „Wir sind Teil der Stärke des Föderalismus.“Nicht weniger, sondern mehr Eigenständigkeit ist für den Ministerpräsidenten wichtig. Zum Beispiel, sagte Ramelow, hätte er sich gewünscht, dass die ostdeutschen Länder nach 1990 mehr Freiheiten gehabt hätten, so wie das Saarland nach seinem Beitritt in den 1950er-Jahren.
Da konnte Haseloff „dem Bodo“nur zustimmen, um danach ein historisches Kurzreferat über Heinrich I., Otto I. und die Autonomie der germanischen Stämme zu halten – mit der hübschen Pointe, dass der Föderalismus eigentlich eine Erfindung aus Sachsen-Anhalt sei. Ohne das Wort Rundfunkbeitrag auch nur zu erwähnen, zog er dann eine direkte Linie in die Bundesrepublik, in der unter den Ländern auch mal Entscheidungen gebe, „die nicht 16 zu 0“ausgingen. Dasselbe, sagte Haseloff, stimme für die Pandemie: Die regionalen Maßnahmen seien vom unterschiedlichem Infektionsgeschehen, aber auch von unterschiedlichen landsmannschaftlichen Stimmungen abhängig. Das Ergebnis sei deshalb kein „Flickenteppich“, sondern ein Spiegel verschiedener Lagen und „Akzeptanzhaltungen“in den Ländern.