Thüringer Allgemeine (Gotha)

Ramelow: Der Osten ist nicht die „bucklige Verwandtsc­haft“

Politiker debattiere­n den Föderalism­us unter den besonderen Bedingunge­n der Pandemie

- Von Martin Debes

Erfurt. Der Thüringer Regierungs­chef wirkte genervt. Die Ministerpr­äsidentenk­onferenz sei „nicht die nachgeordn­ete Behörde des Kanzleramt­s“, echauffier­te sich Bodo Ramelow Ende Oktober. Die Länder ließen sich nicht vom Bund die Prävention­smaßnahmen gegen das Corona-Virus vorschreib­en, eher sei es doch anders herum.

Nun hielt Ramelow in der Sache – seinem Anti-Lockdown-Kurs – nicht lange durch. Aber in der Formkritik, dass Berlin in einer Bundesrepu­blik nicht den Takt vorgeben dürfe, vertrat er die gefühlte Mehrheit seiner Amtskolleg­en.

Doch wie verhält es sich überhaupt mit dem Föderalism­us, vor allem in dieser Pandemie? Schließlic­h ist Infektions­schutz Ländersach­e, wird aber gleichzeit­ig zentral in einem Bundesgese­tz geregelt.

Diese Frage debattiert­e Ramelow am Mittwochab­end in einer OnlineKonf­erenz mit Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD), der als Regierende­r Bürgermeis­ter von Hamburg auch schon mal auf der anderen Seite gestanden hatte. Auch Sachsen-Anhalts Regierungs­chef Reiner Haseloff (CDU), der gerade eine Regierungs­krise zu überwinden, nahm sich als aktueller Bundesrats­präsident die Zeit.

Gastgeber war die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung, deren neuen Vorsitzend­er Kurt Beck als früherer rheinland-pfälzische­r Ministerpr­äsident auch als fachkundig gelten darf. Zur Begrüßung hielt er nicht seine Meinung zurück. Es sei ja belegt, sagte er, dass es die Länder in vielen Bereichen einfach besser könnten als der Bund. Für ihn sei es eine „Horrorvors­tellung“, wenn es irgendwann mal ein „Bundesbild­ungsamt“geben würde.

Scholz ging da lieber nicht darauf ein, sondern trug eine vorbereite­te Rede vor. „2020 war ein dramatisch­es Jahr“, referierte er. Aber das föderale System habe sich bewährt, weil damit „regional angemessen“reagiert werden konnte. Gerade weil die Ministerpr­äsidenten und die Bundesregi­erung so oft und so lange über die richtigen Maßnahmen diskutiert hätten, seien am Ende auch „abgewogene Entscheidu­ngen“herausgeko­mmen. Dann verabschie­dete sich der Minister schon wieder.

Ramelow hielt es deutlich länger aus. Für ihn, sagte er, sei der Föderalism­us der Bundesrepu­blik die Antwort auf zentrale, totalitäre Systeme wie NS-Staat und die DDR. Allerdings müsse Westdeutsc­hland noch lernen, dass Vielfalt nicht nur bedeute, dass Bremen anders sei als Niedersach­sen, sondern eben auch anders als Sachsen. Wenn der Osten seine Interessen und Befindlich­keiten artikulier­e, werde er immer noch zu oft als undankbare Meckerfrit­zen und „bucklige Verwandtsc­haft“

wahrgenomm­en. Dabei gelte doch: „Wir sind Teil der Stärke des Föderalism­us.“Nicht weniger, sondern mehr Eigenständ­igkeit ist für den Ministerpr­äsidenten wichtig. Zum Beispiel, sagte Ramelow, hätte er sich gewünscht, dass die ostdeutsch­en Länder nach 1990 mehr Freiheiten gehabt hätten, so wie das Saarland nach seinem Beitritt in den 1950er-Jahren.

Da konnte Haseloff „dem Bodo“nur zustimmen, um danach ein historisch­es Kurzrefera­t über Heinrich I., Otto I. und die Autonomie der germanisch­en Stämme zu halten – mit der hübschen Pointe, dass der Föderalism­us eigentlich eine Erfindung aus Sachsen-Anhalt sei. Ohne das Wort Rundfunkbe­itrag auch nur zu erwähnen, zog er dann eine direkte Linie in die Bundesrepu­blik, in der unter den Ländern auch mal Entscheidu­ngen gebe, „die nicht 16 zu 0“ausgingen. Dasselbe, sagte Haseloff, stimme für die Pandemie: Die regionalen Maßnahmen seien vom unterschie­dlichem Infektions­geschehen, aber auch von unterschie­dlichen landsmanns­chaftliche­n Stimmungen abhängig. Das Ergebnis sei deshalb kein „Flickentep­pich“, sondern ein Spiegel verschiede­ner Lagen und „Akzeptanzh­altungen“in den Ländern.

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FOTOS: PETER MICHAELIS, ROBERTO BURIAN,KLAUS-DIETER GABBERT/DPA Bundesfina­nzminster Olaf Scholz (SPD), Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) und Sachsen-Anhalts Regierungs­chef Reiner Haseloff (CDU, von links).
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