„Die Lage ist extrem ernst“
Intensivstationen kommen an ihre Grenzen. Eindrücke von der Covid-Behandlung am SRH Wald-Klinikum in Gera
Gera. Der Ernstfall ist da. Erstmals sind an diesem Tag alle Betten auf der für Covid-19-Patienten reservierten Intensivstation im Geraer SRH Wald-Klinikum belegt. Zehn waren es regulär, ein elftes haben sie schon hinzugestellt. Vor Ort sprechen sie nun von Eskalationsstufe 2. Das heißt: Ein Drittel der gesamten ITS-Betten des Klinikums wird für Patienten mit dem heimtückischen Virus vorgehalten. Die Konsequenz ist eine einfache Rechnung: Im gleichen Maß sinkt die Zahl der Betten auf der regulären Intensivstation für Patienten, die als lebensbedrohliche Notfälle ins Klinikum kommen oder nach geplanten schweren Eingriffen intensivmedizinisch versorgt werden müssen. Abstriche seien kaum möglich. „Wir werden entscheiden müssen, wer gleich operiert werden kann und wer warten muss“, sagt Chefarzt Falk A. Gonnert. Am Morgen habe er mit Altenburg und Jena telefoniert, auch dort sei man am Limit. „Die Lage ist extrem ernst“, so der Anästhesist.
Zutritt zur Corona-ITS nur unter Vollschutz
Zur Corona-ITS geht es durch eine Doppeltür wie zu anderen Stationen auch. Diese ist beklebt mit Warnhinweisen. Zutritt nur für Befugte und unter Vollschutz. Auch für die Reporter ist er Pflicht. Es ist Vormittag. Auf der Station herrscht Betriebsamkeit. Türen öffnen und schließen sich automatisch mit leisem Zischen. Betten werden frisch bezogen, der Sitz von Luftschläuchen und Kathedern überprüft, Apparate nachjustiert. Vier Patienten sind es in dem einen Raum, drei in einem anderen. Drei Menschen werden in Einzelzimmern hinter extra Schleusen invasiv beatmet. Personal und Patienten scheinen zwischen blinkenden Apparaten zu verschwinden. Einige Patienten sind wach, andere dämmern. Pfleger sprechen sie mit ihrem Vornamen an, muntern sie auf.
Pfleger Thomas Gerauch, Spitzname Geri, schiebt ein UltraschallGerät ins „Wohnzimmer“. So genannt, weil dort normalerweise nur Geräte geparkt werden. „Man muss sich die Situation hin und wieder schönreden“, sagt Geri. Zwischen den Apparaten im Wohnzimmer steht jetzt das elfte, zusätzliche Bett.
Mit steigenden Infektionszahlen nehme auch die Zahl der stationären Covid-19-Patienten zu, sagt Oberarzt Bernd Reichmann. Weitere 40 liegen auf der Covid-„Normal“-Station. Verschlechtert sich ihr Zustand dort, kommen die Betroffenen auf die ITS. Zu Beginn der zweiten Welle seien die Patienten jünger gewesen. Inzwischen verschiebe sich der Altersdurchschnitt zu den über 60-Jährigen – mit oft schwereren Verläufen. Nicht wenige stammen aus anderen Regionen, wo die Kapazitäten bereits erschöpft sind oder Erfahrungen mit schweren Verläufen noch fehlen.
Bauchlage hilft der Lunge beim Atmen
Intensivbehandlungen sind immer auch Schicksal, sagt der Mediziner, der die Covid-ITS seit Frühjahr leitet. Klassische Therapieansätze gibt es wenige in der Intensivmedizin, in der es um Organversagen geht. Man könne beobachten, Körperfunktionen aufrechterhalten, gegebenenfalls mit Apparaten überbrückend eingreifen. Am Ende aber müssen sich die Organe selbst erholen – und der Patient muss sich selbst heilen. Seit März habe man bei der Covid-Behandlung dazugelernt. Invasiv beatmet wird nur, wenn es nicht mehr anders geht. So stehe das jetzt auch in einer neuen S2k-Leitlinie,
„wir machen das schon länger so“, versichert der Oberarzt.
In eine der Schleusen kommt Bewegung. Ein Patient soll in die Bauchlage gedreht werden. Durch Entzündungen kommt es bei Covid19 zu einem Missverhältnis zwischen der Belüftung der Lunge und ihrer Durchblutung. Durch die Drehung um bis zu 180 Grad könne man in das Missverhältnis eingreifen. Pfleger Michael Schatz sucht Helfer. Schatz ist seit 16 Jahren Intensivpfleger und Spezialist für solche Lagerungsmanöver. Ein festes Bauchteam habe man dafür nicht. Diesmal helfen die Physiotherapeuten Josephine Köhler und Kevin Schikora. Sie sorgen sonst auf der Station dafür, dass Patienten Bewegung und Atmung nicht verlernen. Ärztin Anna-Franziska Bartsch überwacht die Geräte. Während der Prozedur spricht Schatz immer wieder beruhigend auf den scheinbar bewusstlosen alten Mann ein. Eine Gefahr bei der Bauchlage sind Geschwüre an Hautstellen, die den Druck nicht gewöhnt sind. Statt mit standardisierten Gelkissen improvisieren sie hier mit aufgeblasenen Gummihandschuhen, die seien flexibler anpassbar. Schließlich liegt der Mann bäuchlings auf dem Bett, einen Arm abgelegt auf einem Sideboard, als würde er schwimmen. Deshalb nenne man die Haltung auch „Krauler“, sagt Schatz.
Das Sterben ist ein ständiger Begleiter
Nicht alle Behandlungen gehen gut aus. Knapp die Hälfte aller CovidIntensivpatienten habe man verloren, die meisten in den letzten Wochen. „Das Sterben gehört hier leider dazu“, sagt Pfleger Geri. Man sei pragmatisch, aber nicht abgebrüht.
Man betreue Patienten über Wochen, baue Bindungen auf, kämpfe jeden Tag mit viel Herzblut um das Weiterleben. Stirbt jemand, sei das frustrierend und bringe jeden emotional an Grenzen. Viel Zeit für Trauer bleibt nicht. Es gibt keinen Aufbahrungsraum auf der ITS. Trotz Besuchsverbot versuche man, Angehörigen das Abschiednehmen zu ermöglichen – mit Ausnahmegenehmigung eines Arztes.
Nach Mittag kann eine Patientin verlegt werden. Ein Raum ist leer. Auf einem Bildschirm steht „Entlassen“. Das Bett brauchen sie sofort für die Überweisung eines schweren Falls aus Greiz. Später meldet Gera 74 Corona-Neuinfektionen an einem Tag – der höchste Anstieg seit März. Laut Divi-Intensivregister gibt es wie in der Stadt auch in den umliegenden Landkreisen keine freien Intensivbetten mehr.