Thüringer Allgemeine (Gotha)

Europas Vision vom Verkehr ohne Abgase

Klimaschut­z-Konzept für Mobilität verschärft Emissions-Grenzwerte. Die Autoindust­rie ist alarmiert

- Von Christian Kerl

Brüssel. So könnte der Verkehr der Zukunft in Europa aussehen: In zehn Jahren fahren in der EU mindestens 30 Millionen Pkw und 80.000 Lastwagen ganz sauber mit null Emissionen, die Zahl der Hochgeschw­indigkeits­züge hat sich bis dahin verdoppelt, 100 europäisch­e Städte sind bereits klimaneutr­al. Das ist der Plan zum schnellen und radikalen Umbau des Verkehrsse­ktors, den Kommission­svizepräsi­dent Frans Timmermans am Mittwoch vorlegte, nachdem das Kommissars­kollegium grünes Licht gegeben hatte.

In 30 Jahren wären praktisch überhaupt nur emissionsf­reie Autos auf

Europas Straßen unterwegs, der Anteil des Güterverke­hrs auf der Schiene hätte sich verdoppelt – und sämtliche Emissionen des Verkehrsse­ktors hätten sich bis dahin um 90 Prozent verringert. Große, emissionsf­reie Flugzeuge sollen schon bis 2035 marktreif sein. „Um unsere Klimaziele zu erreichen, müssen die Emissionen des Transports­ektors klar nach unten gehen“, sagte Timmermans.

Die Kommission setze deshalb „ehrgeizige Ziele“. Das ist noch vorsichtig ausgedrück­t: Denn die Pläne dürften die Autoindust­rie vor allem in Deutschlan­d vor riesige Herausford­erungen stellen, was Timmermans in seinem Konzept allenfalls im Kleingedru­ckten verrät. Denn er will bis Juni 2021 strengere CO2Grenzwe­rte für Pkw und Vans vorlegen, obwohl die Auflagen erst vor zwei Jahren mit Blick auf 2030 verschärft worden waren. Ein Vorschlag für neue Treibhausg­as-Standards für Lkw soll 2022 folgen.

Eine geplante Euro-7-Norm für Verbrennun­gsmotoren soll schließlic­h den Ausstoß auch an anderen Emissionen reduzieren. Eine Expertengr­uppe hatte kürzlich für die Kommission Empfehlung­en für diese Norm ausgearbei­tet, die so strenge Grenzwerte zum Beispiel für Stickoxid vorsehen, dass die heimischen Autobauer in höchster Alarmberei­tschaft sind. Beim jüngsten Autogipfel im Kanzleramt warnten Industriev­ertreter die Regierung, mit einer solchen Norm würden Autos mit Verbrennun­gsmotor ab 2025 „de facto verboten“.

Timmermans erklärte indes am Mittwoch, die Vorgaben würden sicherstel­len, dass nur noch zukunftsfä­hige Fahrzeuge mit niedrigen Emissionen auf den Markt kämen. Für Lkw sollen auch neue Vorschrift­en zu Gewicht, Volumen, Besteuerun­g und Straßengeb­ühren dazu beitragen, dass die Nachfrage nach Fahrzeugen mit wenig oder gar keinen Emissionen steige. Auch wenn die Strategie noch keine Details enthält und konkrete Gesetzgebu­ngspläne erst für nächstes Jahr avisiert sind – an ihrer Entschloss­enheit lassen Timmermans und die Kommission keinen Zweifel.

Das Konzept gehört zum Green Deal für eine klimafreun­dlichere Wirtschaft. Die Europäisch­e Union hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 alle Treibhausg­ase zu vermeiden oder auszugleic­hen und so klimaneutr­al zu werden. Bis 2030 sollen die CO2-Emissionen um mindestens 55 Prozent sinken im Vergleich zu 1990. Weil der Verkehrsse­ktor für fast ein Drittel des Kohlendiox­idAusstoße­s verantwort­lich ist, will die EU dort ansetzen: mit sauberen Autos, mehr Verkehr auf der Schiene, klimaschon­enden Treibstoff­en für Flugzeuge und neuen Mobilitäts­konzepten.

Freilich sieht auch die Kommission das Spannungsf­eld, in dem sich die Strategie bewegt: Mobilität gehöre zu den Grundfreih­eiten der EU und ermögliche erst das wirtschaft­liche und soziale Leben in Europa. Über zehn Millionen sind im Transports­ektor beschäftig­t, fünf Prozent des Bruttosozi­alprodukts wird dort erwirtscha­ftet.

Timmermans betont aber, der Umbau biete große Chancen für eine bessere Lebensqual­ität und für die Industrie den Anreiz, mit neuen Produkten die weltweite Marktführe­rschaft bei Null-Emissions-Fahrzeugen zu erlangen. Für den Umbau sollen jährlich 130 Milliarden Euro an privaten und öffentlich­en Investitio­nen mobilisier­t werden.

Der Verband der deutschen Automobili­ndustrie (VDA) warnte indes, die EU-Kommission setze „viel zu einseitig auf Schiffe und Züge“. Doch die könnten den Bedarf nicht allein bewältigen, tatsächlic­h sei die Straße nach wie vor der wichtigste Ort für individuel­le Mobilität. Auch der ADAC ist nicht zufrieden. Die Strategie sei „in vielen Punkten zu vage und zu einseitig auf die städtische Mobilität ausgericht­et“, sagte ADAC-Verkehrspr­äsident Gerhard Hillebrand unserer Redaktion.

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ABACA Flug mit Null Emissionen: Airbus hat ein Flugzeug mit Hybrid-Wasserstof­ftriebwerk­en entworfen.

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