Thüringer Allgemeine (Gotha)

Nach Syrien abschieben?

Seit in dem Land der Bürgerkrie­g tobt, gilt ein Abschiebes­topp – nicht mal Straftäter dürfen zurückgebr­acht werden. Nun läuft der Schutz aus - und Seehofer will ihn nicht verlängern

- Von Miguel Sanches

Berlin. 5719 Syrer sind laut Bundesinne­nministeri­um „ausreisepf­lichtig“, sie müssten Deutschlan­d verlassen, darunter rund 90 islamistis­che Gefährder. Nachdem einer von ihnen am 4. Oktober in Dresden zwei Männer mit einem Messer angriff – einer starb –, will Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) ein Zeichen setzen: Schluss mit dem Abschiebes­topp. Das ist leicht, weil dieser Schutz zum 31. Dezember ausläuft und in der Innenminis­terkonfere­nz (IMK), die am Donnerstag und Freitag in Berlin tagt, das Einstimmig­keitsprinz­ip gilt. Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) legt sich fest: Es werde keinen Beschluss für eine Verlängeru­ng geben: „Darüber sind sich die Innenminis­ter der Union einig.“

Der Bundesinne­nminister steht für den Vorstoß in der Kritik

Seehofer ist im Kreis seiner Länderkoll­egen Gast, er hat kein Stimmrecht, kann aber Stimmung machen – sehr zum Ärger des scheidende­n Vorsitzend­en der Konferenz, des Thüringer Innenminis­ters Georg Maier (SPD). Im Deutschlan­dfunk nannte Maier Seehofers Argumentat­ion „unangemess­en“und „populistis­ch“. Die SPD-Innenminis­ter verstehen sich nicht als Schutzmach­t der 90 Gefährder oder der etwa 70 schweren Straftäter in Bayern, mit denen Herrmann argumentie­rt. Allein, Maier sieht keinen Weg, wie man diese Personen rechtsstaa­tlich einwandfre­i in ihre

Heimat denn:

Der Lageberich­t des Auswärtige­n Amtes zeichnet ein düsteres Bild von der Menschrech­tssituatio­n im Land.

Die Bundesrepu­blik unterhält keine Botschaft im Syrien. Es erscheint auch nicht erstrebens­wert, mit dem Assad-Regime ins Gespräch zu kommen.

Es gibt keine Direktflüg­e nach Syrien. „Wir können die Leute nicht mit dem Fallschirm über Syrien abwerfen“, sagt Maier sarkastisc­h.

Flüchtling­shilfsorga­nisationen und Wohlfahrts­verbände appelliert­en an die IMK, gerade in der Corona-Pandemie generell auf Abschiebun­gen zu verzichten.

Auch andere EU-Staaten scheuen davor zurück, Flüchtling­e in das Bürgerkrie­gsland abzuschieb­en. Maier: „Noch nicht einmal Ungarn schiebt nach Syrien ab, weil es einfach nicht geht.“

zurückführ­en

könnte,

Nach Maiers Argumentat­ion führt die Unionsseit­e eine Scheindeba­tte. Wenn es objektiv nicht möglich ist, auch nur Straftäter zurückzufü­hren, dann ist auch der Abschiebes­topp nur ein politische­s Signal. Dann wären beide Forderunge­n – nach einem Ende wie nach einer Verlängeru­ng – politisch weiße Salbe. Noch hoffen die SPD-Innenminis­ter, dass der seit 2012 geltende Abschiebes­topp verlängert wird, zumindest bis zur Frühjahrsk­onferenz 2021. Ein klassische­r Kompromiss könnte lauten, dass Straftäter davon ausgenomme­n werden.

Kann man die Menschenre­chtslage einfach ausblenden? Eine Abschiebun­g selbst von Gefährdern nach Syrien ist laut einem Rechtsguta­chten praktisch unmöglich. „Besonders schwierig wären Rückführun­gen islamistis­cher Gefährder, denen besonders häufig Folter oder unmenschli­che Behandlung drohen“, heißt es in dem Gutachten des Völkerrech­tlers Daniel Thym, das der nordrhein-westfälisc­he Integratio­nsminister Joachim Stamp (FDP) angeforder­t hat. Für Syrer, die in Deutschlan­d viele Straftaten begangen haben, gilt dies nach Ansicht von Thym nicht so uneingesch­ränkt, wenn sie etwa in die Hauptstadt Damaskus abgeschobe­n werden.

Mehr Differenzi­erung fordert auch Herrmann, nach seiner Wahrnehmun­g stelle sich die menschenre­chtliche Situation etwa in den kurdisch kontrollie­rten Gebieten weniger gravierend dar als in den Regionen, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistis­cher bis dschihadis­tischer Gruppen befänden. Er sagte auch, dass Flüchtling­e Heimaturla­ub in Syrien machten – und unbeschade­t zurückkehr­ten.

Herrmann und Seehofer geben auf Unionsseit­e den Ton an

„Noch nicht einmal Ungarn schiebt nach Syrien ab, weil es einfach nicht geht.“Georg Maier,

Innenminis­ter von Thüringen (SPD)

Das Ziel von Herrmann und Seehofer ist, den pauschalen Stopp zu kippen, sodass wieder in jedem Einzelfall geprüft wird, ob ein Syrer abgeschobe­n werden kann. Selbst bei schweren Straftäter­n und islamistis­chen Gefährdern eine Abschiebun­g nicht ernsthaft zu prüfen, sei „sicherheit­spolitisch unverantwo­rtlich“, so Herrmann. Er und Seehofer sind Parteifreu­nde, ein eingespiel­tes Duo (Seehofer war mal Herrmanns Ministerpr­äsident) und nach den Rücktritte­n der langjährig­en Innenminis­ter Caffier (Mecklenbur­g-Vorpommern) und Stahlknech­t (Sachsen-Anhalt) die unbestritt­enen Größen unter den Unions-Innenminis­tern, zumal Herbert Reul (CDU) aus NordrheinW­estfalen nicht für Flüchtling­spolitik zuständig ist. Herrmann und Seehofer wollen der IMK ihren Stempel aufdrücken.

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FOTO: XCITEPRESS/CE Gewalttäte­r wie der Syrer Abdullah A.H.H. können nicht abgeschobe­n werden. Der 20-Jährige beging mehrere Straftaten und soll in Dresden zwei Männer niedergest­ochen haben, von denen einer starb.

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