Nach Syrien abschieben?
Seit in dem Land der Bürgerkrieg tobt, gilt ein Abschiebestopp – nicht mal Straftäter dürfen zurückgebracht werden. Nun läuft der Schutz aus - und Seehofer will ihn nicht verlängern
Berlin. 5719 Syrer sind laut Bundesinnenministerium „ausreisepflichtig“, sie müssten Deutschland verlassen, darunter rund 90 islamistische Gefährder. Nachdem einer von ihnen am 4. Oktober in Dresden zwei Männer mit einem Messer angriff – einer starb –, will Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ein Zeichen setzen: Schluss mit dem Abschiebestopp. Das ist leicht, weil dieser Schutz zum 31. Dezember ausläuft und in der Innenministerkonferenz (IMK), die am Donnerstag und Freitag in Berlin tagt, das Einstimmigkeitsprinzip gilt. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) legt sich fest: Es werde keinen Beschluss für eine Verlängerung geben: „Darüber sind sich die Innenminister der Union einig.“
Der Bundesinnenminister steht für den Vorstoß in der Kritik
Seehofer ist im Kreis seiner Länderkollegen Gast, er hat kein Stimmrecht, kann aber Stimmung machen – sehr zum Ärger des scheidenden Vorsitzenden der Konferenz, des Thüringer Innenministers Georg Maier (SPD). Im Deutschlandfunk nannte Maier Seehofers Argumentation „unangemessen“und „populistisch“. Die SPD-Innenminister verstehen sich nicht als Schutzmacht der 90 Gefährder oder der etwa 70 schweren Straftäter in Bayern, mit denen Herrmann argumentiert. Allein, Maier sieht keinen Weg, wie man diese Personen rechtsstaatlich einwandfrei in ihre
Heimat denn:
Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes zeichnet ein düsteres Bild von der Menschrechtssituation im Land.
Die Bundesrepublik unterhält keine Botschaft im Syrien. Es erscheint auch nicht erstrebenswert, mit dem Assad-Regime ins Gespräch zu kommen.
Es gibt keine Direktflüge nach Syrien. „Wir können die Leute nicht mit dem Fallschirm über Syrien abwerfen“, sagt Maier sarkastisch.
Flüchtlingshilfsorganisationen und Wohlfahrtsverbände appellierten an die IMK, gerade in der Corona-Pandemie generell auf Abschiebungen zu verzichten.
Auch andere EU-Staaten scheuen davor zurück, Flüchtlinge in das Bürgerkriegsland abzuschieben. Maier: „Noch nicht einmal Ungarn schiebt nach Syrien ab, weil es einfach nicht geht.“
zurückführen
könnte,
Nach Maiers Argumentation führt die Unionsseite eine Scheindebatte. Wenn es objektiv nicht möglich ist, auch nur Straftäter zurückzuführen, dann ist auch der Abschiebestopp nur ein politisches Signal. Dann wären beide Forderungen – nach einem Ende wie nach einer Verlängerung – politisch weiße Salbe. Noch hoffen die SPD-Innenminister, dass der seit 2012 geltende Abschiebestopp verlängert wird, zumindest bis zur Frühjahrskonferenz 2021. Ein klassischer Kompromiss könnte lauten, dass Straftäter davon ausgenommen werden.
Kann man die Menschenrechtslage einfach ausblenden? Eine Abschiebung selbst von Gefährdern nach Syrien ist laut einem Rechtsgutachten praktisch unmöglich. „Besonders schwierig wären Rückführungen islamistischer Gefährder, denen besonders häufig Folter oder unmenschliche Behandlung drohen“, heißt es in dem Gutachten des Völkerrechtlers Daniel Thym, das der nordrhein-westfälische Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) angefordert hat. Für Syrer, die in Deutschland viele Straftaten begangen haben, gilt dies nach Ansicht von Thym nicht so uneingeschränkt, wenn sie etwa in die Hauptstadt Damaskus abgeschoben werden.
Mehr Differenzierung fordert auch Herrmann, nach seiner Wahrnehmung stelle sich die menschenrechtliche Situation etwa in den kurdisch kontrollierten Gebieten weniger gravierend dar als in den Regionen, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer bis dschihadistischer Gruppen befänden. Er sagte auch, dass Flüchtlinge Heimaturlaub in Syrien machten – und unbeschadet zurückkehrten.
Herrmann und Seehofer geben auf Unionsseite den Ton an
„Noch nicht einmal Ungarn schiebt nach Syrien ab, weil es einfach nicht geht.“Georg Maier,
Innenminister von Thüringen (SPD)
Das Ziel von Herrmann und Seehofer ist, den pauschalen Stopp zu kippen, sodass wieder in jedem Einzelfall geprüft wird, ob ein Syrer abgeschoben werden kann. Selbst bei schweren Straftätern und islamistischen Gefährdern eine Abschiebung nicht ernsthaft zu prüfen, sei „sicherheitspolitisch unverantwortlich“, so Herrmann. Er und Seehofer sind Parteifreunde, ein eingespieltes Duo (Seehofer war mal Herrmanns Ministerpräsident) und nach den Rücktritten der langjährigen Innenminister Caffier (Mecklenburg-Vorpommern) und Stahlknecht (Sachsen-Anhalt) die unbestrittenen Größen unter den Unions-Innenministern, zumal Herbert Reul (CDU) aus NordrheinWestfalen nicht für Flüchtlingspolitik zuständig ist. Herrmann und Seehofer wollen der IMK ihren Stempel aufdrücken.