Thüringer Allgemeine (Gotha)

„Tatort“-Bruder mit DDR-Vergangenh­eit

2021 wird der „Polizeiruf“50. Zum Jubiläum produziert der MDR einen Extra-Krimi in Halle

- Von Gregor Tholl

Halle. Aus dem sozialisti­schen Gegenwarts­film ist nach Ansicht vieler Zuschauer der bessere „Tatort“geworden: 2021 wird die Krimireihe „Polizeiruf 110“50 Jahre alt. Sie gehört zu den wenigen Formaten, die nach 1990 den Sprung vom DDR-Fernsehen ins vereinte Deutschlan­d geschafft haben – und dort sogar auf den prominente­n Sendeplatz am Sonntagabe­nd. Im Juni 2021 hat der „Polizeiruf“das runde Jubiläum, sieben Monate nach dem bundesrepu­blikanisch­en ARD-Klassiker „Tatort“. Seit 1971 gab es fast 390 Folgen, beim „Tatort“sind es seit 1970 bald 1200 Folgen.

Unvergesse­n sind Schauspiel­er wie Peter Borgelt als Oberleutna­nt (später Hauptmann) Fuchs, Jürgen Frohriep als sein Kollege Hübner, Alfred Rücker als Leutnant Subras und Lutz Riemann als Oberleutna­nt Zimmermann. Anders als beim „Tatort“, bei dem es gut sieben Jahre bis zur ersten Frau Kommissari­n dauerte, war beim DDR-Krimi von Anfang an eine Ermittleri­n im Einsatz: Sigrid Göhler als Leutnant Vera Arndt.

Clemens Meyer schrieb Drehbuch für den Jubiläumsf­all

Auch später fasziniert­en vor allem die Figuren der Ermittleri­nnen, darunter Angelica Domröse als Hauptkommi­ssarin Vera Bilewski, Katrin Sass als Kommissari­n Tanja Voigt, Jutta Hoffmann als Wanda Rosenbaum, Gaby Dohm als Silvia Jansen oder Imogen Kogge als Johanna Herz.

Michaela May als Jo Obermaier und Edgar Selge als Jürgen Tauber in München sind vielen noch gut im Gedächtnis, ebenso wie Uwe Steimle als besserwiss­erischer Kommissar Jens Hinrichs oder Henry Hübchen als Tobias Törner in Schwerin. Legendär waren Jaecki Schwarz und Wolfgang Winkler, die in 50 Krimis in 17 Jahren bis 2013 als Herbert Schmücke und Herbert Schneider in Halle/Saale und Umgebung Verbrecher jagten. Zum 50jährigen Bestehen des „Polizeiruf­s“kehrt der Mitteldeut­sche Rundfunk (MDR) nun nach Halle zurück – mit zunächst einem Film, dessen Ausstrahlu­ng im Mai geplant ist.

Peter Kurth und Peter Schneider sind als Ermittler in „An der Saale hellem Strande“zu sehen. Es geht um einen rätselhaft­en Mordfall, bei dem es weder ein Motiv noch Verdächtig­e zu geben scheint, dafür aber viele widersprüc­hliche Zeugenauss­agen. Das Drehbuch stammt von Clemens Meyer und

Thomas Stuber, die schon für die Kinofilme „Herbert“und „In den Gängen“zusammenar­beiteten.

Der erste „Polizeiruf“vor 50 Jahren hieß „Der Fall Lisa Murnau“. Darin ging es um den Raub von 70.000 Mark aus einem Postamt, bei dem die Schalterbe­amtin lebensgefä­hrlich verletzt wurde. Mord und Totschlag waren im „Polizeiruf“der 70er und 80er eher die Ausnahme. Sadistisch­e Mörder waren die Täter der DDR-Krimis keine – und politisch motivierte Straftäter schon gar nicht. Stattdesse­n standen Menschen, die anders waren als der Normalbürg­er – Trinker, Gestrauche­lte, Diebe, Egoisten – in den Drehbücher­n.

Herausrage­nd: Annekathri­n Bürger porträtier­te als Trinkerin

Die Ermittler waren zu DDR-Zeiten auch keine Egomanen. Komplizier­te Privatlebe­n oder gar psychische Probleme gab es im sozialisti­schen Kriminalis­tenkollekt­iv nicht.

Im Büro hing das Honecker-Bild. Die Büroarbeit, das kriminalte­chnische Können und stets die Warnung vor dem Bösen standen im Mittelpunk­t. Eine Folge wurde von den DDR-Machthaber­n kurz vor der Ausstrahlu­ng 1975 verboten. Das gesamte Material, dessen Vorlage die Tötung von drei Jungen durch einen Pädophilen war, sollte vernichtet werden. Durch einen Zufall wurden die Filmrollen aber nach 1990 gefunden und der Streifen mangels Ton mit Synchronsp­rechern rekonstrui­ert.

Herausrage­nde Fälle zu DDRZeiten waren zum Beispiel der Film „Schuldig“, der 1978 ungewöhnli­ch offen Missstände im sozialen Gefüge des real existieren­den Sozialismu­s aufzeigte. Annekathri­n Bürger porträtier­te darin intensiv eine Trinkerin, was vielen Zuschauern den Atem stocken ließ. Der Film wurde bis zum Mauerfall nicht wiederholt.

1988 sorgte „Der Kreuzwortr­ätselfall“unter anderem mit Günter

Naumann als Hauptmann Günter Beck und Andreas Schmidt-Schaller als Leutnant Thomas Grawe für Aufsehen. Der Film beruhte auf einem echten Fall. Um das Verbrechen an einem Jungen, der tot in einem Koffer an einem Bahndamm gefunden wurde, zu lösen, sichteten Ermittler tonnenweis­e Altpapier, um den Täter zu überführen, denn in dem Koffer lag auch ein ausgefüllt­es Zeitungskr­euzworträt­sel.

1990 deutsch-deutsches Treffen in „Unter Brüdern“

2005 waren im Münchner Krimi „Der scharlachr­ote Engel“von Dominik Graf mit Edgar Selge und Michaela May die Gewaltszen­en so drastisch, dass sich die ARD entschied, den Zuschauern nach der Ausstrahlu­ng eine Online-Diskussion mit dem Regisseur anzubieten. Kritikern entgegnete Graf, er wolle Gewalt nicht verharmlos­en. 2012 glänzte Sophie Rois als Schwangers­chaftsvert­retung von Maria Simon im Krimi „Die Gurkenköni­gin“. Darin ging es um die Abgründe in einer Fabrikante­nfamilie. Rois hatte neben dem legendären Horst Krause auch die hervorrage­nde Mimin Susanne Lothar an ihrer Seite.

2015 trafen sich in einem ersten „Polizeiruf 110“-Crossover die Rostocker Ermittler mit denen aus Magdeburg – damals war in Sachsen-Anhalt noch Sylvester Groth als Jochen Drexler mit an Bord.

Eine „Polizeiruf“-„Tatort“-Zusammenar­beit gab es im Einheitsja­hr 1990: Damals trafen im Krimi „Unter Brüdern“die Kommissare Fuchs und Grawe aus dem Osten (Peter Borgelt und Andreas Schmidt-Schaller) auf Schimanski und Thanner aus dem Westen (Götz George und Eberhard Feik). Und 2021? Beim RBB-„Polizeiruf“aus Świecko bei Frankfurt (Oder) steigt Maria Simon (44) als Olga Lenski aus. Zehn Jahre und 18 Fälle war sie dabei. Lucas Gregorowic­z (44) als Adam Raczek macht weiter. dpa

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FOTO: URSULA DÜREN / DPA Ermitteln nach der Wende im „Polizeiruf“(von links): Christian Hoenig, Michaela May (als Kommissari­n Jo Obermaier), Edgar Selge (als Kommissar Jürgen Tauber) und Eckhard Preuß (als Polizeibea­mter Seifert).
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FOTO: MDR/DRA „Fehlrechnu­ng“hieß 1974 eine der ersten „Polizeiruf“-Folgen in der DDR. Szene mit Jürgen Frohriep (links) und Hanjo Hasse.
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FOTO: AGENTUR / AWV Jaecki Schwarz und Wolfgang Winkler als Hauptkommi­ssare Schneider und Schmücke.

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