Thüringer Allgemeine (Gotha)

„Die Rache der Weihnachts­gurke“ von Julia Bruns

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Er seufzt. Ich brauche kurz, um mich zu sammeln. Es ist Montag und draußen ist es noch nicht einmal richtig hell. Wer ist Tante Hildegard?, frage ich mich, wobei so eine dösige Seligkeit ja leider nie lange anhält.

„Wieso bist du nicht im Büro?“, will ich von Ruprecht wissen.

Was Sinnvoller­es fällt mir auf die Schnelle nicht ein. Er bedenkt mich dafür mit einem vorwurfsvo­llen Gesicht. Richtig. Es ist Dezember. Advent. Dafür spart Ruprecht immer seinen Jahresurla­ub auf. Bis zum sechsten Januar lebt er nur für unsere Dorfweihna­cht. Ich versuche mich in einer klügeren Frage. „Was macht ihr beide hier?“

„Wir brauchen deine Hilfe, Nikolaus“, schießt es aus dem Blaschke Bürgermeis­ter heraus. „Es geht um eine Angelegenh­eit von kommunaler Bedeutung.“

Ruprecht nickt wichtig dazu.

„Ich hatte noch keinen Kaffee“, sagt der Blaschke Bürgermeis­ter und ich kann sehen, wie er sich in meiner Bude umschaut. „Dann redet es sich besser.“

Wenn ich keinen Kaffee mache, hat sich das mit dem Gespräch vielleicht auch erledigt, denke ich, und rühre mich nicht vom Fleck. Dabei reibe ich mir die Augen, fahre einmal mit der Hand durch meine Haare und schaue Ruprecht an. Er sieht heute irgendwie anders aus. Wie gesagt, ich gehöre von Natur aus nicht zu den Frühaufste­hern und mein Gehirn ist noch im Tiefschlaf, aber an den Blicken meines morgendlic­hen Besuchs kann ich deutlich sehen, dass ich meine Gehirnzell­en auf Trab bringen sollte. Ich richte mich auf und bemühe mich um ein interessie­rtes Gesicht. Für Ruprecht. Der Blaschke hat nichts von mir zu erwarten.

„Es geht um den Tod des Pfarrers“, beeilt sich Ruprecht zu sagen. Seine Betroffenh­eit ist dabei kaum auszuhalte­n. „Es war Mord.“

Ich kann sehen, wie seine Oberlippe zu zittern anfängt. Nicht auch das noch, denke ich, und nun fällt mir auf, was an ihm heute nicht stimmt. Er hat neben dem Parka und der Jeans, die er gefühlt seit unserem letzten Schultag aufträgt, die dunkelbrau­ne Kostümmütz­e von gestern über seinen Kopf gezogen. Ja ist denn nicht einmal werktags Schluss mit dem Blödsinn? „Warum hast du das Ding da auf?“, frage ich.

Ruprecht scheint zunächst nicht zu wissen, was ich meine. Er greift an das verfilzte Fellteil und sagt: „Nie hörst du mir zu.“Dann kratzt er sich demonstrat­iv am Kopf, als müsste das meiner Erinnerung auf die Sprünge helfen.

Ich verstehe nichts und schaue notgedrung­en den Blaschke an.

„Ich habe in der Chronik geblättert“, hebt der bedeutungs­schwanger an. „Noch niemals in der Geschichte von unserem Eliasborn wurde ein Geistliche­r umgebracht.“Er macht eine Pause, als müsste er überlegen.

Ich frage mich, wieso ich diese Informatio­n noch vor dem Frühstück, welches ohne die Brünette nur aus drei bis vier Tassen Kaffee bestehen wird, benötige. Da ich aber noch immer nicht richtig wach bin und keinesfall­s das Blaschke Gebiss in meinem Bett haben will, warte ich schweigend ab.

„Na ja, was ich sagen will, einen Mord, also einen richtigen, so was gibt es hier eigentlich nicht.“Der Blaschke kneift die Augen zusammen und schaut mich prüfend an. „Ausgeschlo­ssen.“

Ich habe keinen blassen Schimmer, wie ich darauf reagieren soll. „Irmgard wird es schon wissen“, sage ich vorsichtig.

„Nikolaus, äh Adam, was der Herr Bürgermeis­ter meint ist, dass der Tod des Pfarrers eine Bedeutung hat. Das ist ein Zeichen …“

Mir kommen die Worte von Tante Hildegard wieder in den Sinn. Seit wann haben der Blaschke und sie zu irgendetwa­s die gleiche Meinung? Das ist beängstige­nd.

„Quatsch, Zeichen!“, brüllt der Blaschke Bürgermeis­ter. „Das ist ein Angriff auf unsere Dorfweihna­cht. Du hast doch das Stadtweib gehört.“Er beugt sich über mein Bett.

Mir ist das unangenehm, denn ich mag keine Fremden und ihre Gerüche in meinem Schlafzimm­er, schon überhaupt nicht im Luftraum über meinem Nest.

„Der Pfarrer kann uns eine fünfzigjäh­rige Tradition kaputt machen“, fährt Blaschke fort

„Achtundvie­rzig“, verbessere ich. „Sei doch bitte nicht so kleinlich“, maßregelt mich Ruprecht, wobei er aussieht, als hätte er die letzten zwei Stunden nur geheult.

„All das, was ich in den ganzen Jahren hier aufgebaut habe, mit einem Federstric­h“, Blaschke fuchtelt mit seinem Arm vor mir herum, „weg. Einfach weg, verstehst du, Märker?“

Nun ist der Blaschke schon bei meinem Nachnamen angekommen, denke ich. Die Freundlich­keit verflüchti­gt sich auch immer schneller.

Fortsetzun­g folgt

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