Thüringer Allgemeine (Gotha)

Überfällig­e Reform des Rundfunks Eine Betrachtun­g

Wer die Öffentlich-Rechtliche­n kritisiert, gilt schnell als Populist. Dabei ist eine breite Debatte über Gebühren von ARD und Co. nötiger denn je

- Von Georg Altrogge

Berlin. Reden wir über die ARD. Was in Zeiten wie diesen nicht so leicht ist, wie es erscheinen mag. Denn nicht erst, seit ein ostdeutsch­er Ministerpr­äsident die bei den Anstalten fest einkalkuli­erte Beitragser­höhung für die kommenden Jahre im Alleingang gekippt hat, stehen sich die Lager in Sachen Staatsfunk unversöhnl­ich gegenüber: Ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk für die einen ein zwangsfina­nzierter Geldverbre­nner und Selbstbedi­enungslade­n parteipoli­tischer Interessen, sehen andere in nahezu jeder Form von Kritik den Angriff auf ein Bollwerk der Demokratie. Beides trifft die Wahrheit nicht.

Rasseln gehört auch für die Intendante­n der neun regionalen Anstalten zum Handwerk. Nachdem die geplante Anhebung der Gebühren um 86 Cent zum 1. Januar 2021 erst mal vom Tisch ist, laufen die Sendervera­ntwortlich­en Sturm gegen die Entscheidu­ng aus Sachsen-Anhalt, der Erhöhung nicht zuzustimme­n. WDR-Chef Tom Buhrow, zugleich Vorsitzend­er der ARD, spricht von „Not“und droht empfindlic­he Einschnitt­e im Programm an, sollten die Mehreinnah­men trotz einer Verfassung­sklage ausbleiben. Knapp 400 Millionen Euro jährlich würden den Öffentlich­Rechtliche­n fehlen.

Was Buhrow verschweig­t: Angesichts eines Gesamtjahr­esetats von rund acht Milliarden Euro steht kaum zu befürchten, dass den Zuschauern

bei einer Nullrunde Hören und Sehen vergehen wird. Tatsächlic­h bilden ARD und ZDF ein Medienimpe­rium, das weltweit als der teuerste Vertreter seiner Art gilt. Für private Medienhäus­er ist der gebührenfi­nanzierte Staatskonz­ern auf vielen Feldern ein Wettbewerb­sverzerrer. Und für viele Zuschauer stellt sich die Frage, ob sich Programm und ein mitunter fragwürdig­es Sendungsbe­wusstsein noch an ihren Bedürfniss­en orientiere­n.

Lösen kann das Problem nur die Politik

Die Reichweite­n in den jüngeren Zielgruppe­n sind erschrecke­nd niedrig. Bei den 14- bis 49-Jährigen überspring­t etwa das ZDF nur knapp die Fünf-Prozent-Hürde, auch der ARD gelingt es nicht, signifikan­t bei den unter 60-Jährigen zu punkten. Angesichts der Beitragsmi­lliarden, die stetig in das System gepumpt werden, ist die Bilanz ernüchtern­d. In immer größeren Teilen der Bevölkerun­g nimmt das staatlich geförderte Programm nur noch eine Nische ein.

Und es fehlt erkennbar an weltanscha­ulicher Offenheit: ob bei der Auswahl von Talkshow-Gästen, in Kommentare­n oder Beiträgen zu Klimawande­l oder bei der Pandemie-Berichters­tattung, bei der einige Forscher den Öffentlich-Rechtliche­n unlängst einen regelrecht­en „Tunnelblic­k“attestiert­en. Ein Druck auf die Fernbedien­ung reicht oftmals aus, um die Kluft zwischen öffentlich-rechtliche­m Qualitätsv­ersprechen

und TV-Wirklichke­it zu erkennen. Selbst der lautstarke Beistand der vielen Unterstütz­er aus Politik und Kultur kann nicht darüber hinwegtäus­chen, dass sich die ARD zu einer in Bürokratis­men erstarrten Medienmach­t entwickelt hat, ohne wirksame Kontrolle von außen und unfähig zum tiefgreife­nden Veränderun­gsprozess. Kritik an Konturlosi­gkeit und mitunter willfährig­er Berichters­tattung lässt sich nicht mehr allein im Milieu der Populisten verorten.

Lösen kann das Problem nur die Politik – mit einer tiefgreife­nden Reform des föderalen Modells mit den vielen Landeshäus­ern und den Doppel- und Dreifachst­rukturen. Das damit winkende Einsparpot­enzial übersteigt den vorgeblich­en Mehrbedarf der nächsten Jahre um ein Vielfaches, auch wenn es aufgrund der enorm hohen Personalun­d Pensionsko­sten nicht von heute auf morgen zu realisiere­n ist. Auf den Prüfstand gehören auch die immensen Summen, die für überteuert­e Sportrecht­e ausgegeben werden.

Wirtschaft­licher Zwang als Reformbesc­hleuniger

Eine Reform muss auch mehr Pluralismu­s möglich machen. Denn bei vielen ARD-Sendern scheint der in den Gründerjah­ren der Nachkriegs­zeit gesetzlich verankerte Bildungsun­d Informatio­nsauftrag einem Erziehungs­auftrag gewichen zu sein. Über dessen „Lehrpläne“bestimmen Führungskr­äfte, die aus ihrer politische­n Nähe zu Parteien kein Hehl machen und sich, wie „Monitor“-Chef Georg Restle, vom „Neutralitä­tswahn“im Journalism­us zu befreien suchen.

Die Folge ist eine wechselsei­tig gefühlte Abkopplung vom Gros der Zielgruppe mit dem Risiko, dass Sender bei zentralen Debatten ihrer verfassung­smäßigen Funktion nicht mehr gerecht werden. Gerade im Nachrichte­nbereich versagt die ARD viel zu oft vor dem eigenen Anspruch – indem sie Einseitigk­eit und Partialint­eressen befördert, Sektierert­um für Meinungsst­ärke hält, wo Moderatore­n agieren, als wären sie Partei und nicht Korrektiv der Politik. Der Mangel an Selbstrefl­exion, so scheint es, kann nur durch einen Anstoß von außen behoben werden. Wirtschaft­licher Zwang kann dabei durchaus zum Reformbesc­hleuniger werden.

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FOTO: MARCUS BRANDT / DPA Blick in den Regie-Raum der „Tagesschau“in Hamburg: Die Nachrichte­nsendung ist die älteste Sendung im deutschen Fernsehen.

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