Merkel rettet Europas Corona-Milliarden
Beim EU-Gipfel kann die Kanzlerin ein Debakel abwenden, Polen und Ungarn geben die Haushaltsblockade auf
Brüssel. Die Kanzlerin lässt sich den Triumph nicht anmerken. Als Angela Merkel am Mittag zum Gipfeltreffen ins EU-Ratsgebäude kommt, spricht sie vorsichtig von „Vorarbeiten“, die sie für das Ende der gefährlichen Haushaltsblockade in der Union geleistet habe. Wenn die Regierungschefs jetzt ein Ergebnis erzielten, fügt die Kanzlerin dann aber doch hinzu, sei das natürlich ein „wichtiges Zeichen für die Handlungsfähigkeit der EU“. Viktor Orbán ist da weniger zurückhaltend: Was man mit Deutschland ausgearbeitet habe, sagt der ungarische Premier bei seiner Ankunft in Brüssel, sei ein „Sieg des gesunden Menschenverstandes“.
„Das Ende der Blockade wäre ein sehr wichtiges Zeichen für die Handlungsfähigkeit der EU“
Kanzlerin Angela Merkel
Ein wichtiger Erfolg ist es allemal. Kurz vor einem drohenden Debakel beim EU-Gipfel ist durch Merkels Vermittlung die Blockade des gigantischen 1,8-Billionen-Finanzpakets gelöst. Am Abend bestätigen die Regierungschefs den von der Kanzlerin eingefädelten Kompromiss. Damit wird auch endlich der Weg frei für die als historisch gefeierten Corona-Aufbauhilfen von 750 Milliarden Euro, die vor allem in Südeuropa dringend erwartet werden, die mit gut 20 Milliarden aber auch nach Deutschland fließen.
Orbán und sein polnischer Kollege Mateusz Morawiecki aber hatten dieses Paket zuvor lange blockiert: Sie wollten verhindern, dass die Milliardentöpfe um eine neue Regelung ergänzt werden, nach der die
EU einzelnen Mitgliedstaaten Fördermittel bei bestimmten Rechtsstaatsverstößen kürzen kann. Denn der „Rechtsstaatsmechanismus“würde wohl mit Milliardenstrafen als Erstes die Regierungen in Budapest und Warschau treffen, die wegen ihrer Eingriffe in die Unabhängigkeit von Justiz und Medien seit Jahren in der Kritik stehen.
Um die Verknüpfung der Gelder mit der Sanktionsdrohung zu verhindern, hatten Orbán und Morawiecki also ein Veto gegen die Haushaltsbeschlüsse eingelegt. Als wäre die Finanzblockade nicht genug, drohte das Veto auch noch den neuen EU-Kurs beim Klimaschutz zu gefährden. Eine geplante Verschärfung des CO2-Reduktionsziels von 40 Prozent auf 55 Prozent bis 2030 wollten vor allem osteuropäische Länder beim Gipfel nur beschließen, wenn es dafür zusätzliche Milliardenhilfen für den Strukturwandel gibt – aber die sind Teil des Haushaltspakets. Ein Problem vor allem für Merkel, die wegen der laufenden deutschen Ratspräsidentschaft eine besondere Verantwortung als Vermittlerin trägt. Mehrere Einigungsversuche der Kanzlerin und ihrer Diplomaten waren gescheitert, doch kurz vor dem Gipfel akzeptieren Orbán und Morawiecki doch noch ein in Berlin ausgetüfteltes Kompromissangebot – nachdem die EU klargemacht hat, dass sie Mittel und Wege finden wird, die Blockade notfalls zu umgehen und zumindest den großen Aufbaufonds ohne Polen und Ungarn zu starten. Der Kompromiss läuft darauf hinaus, dass der Rechtsstaatsmechanismus erst mit Jahren Verzögerung und zusätzlichen Auflagen angewendet werden kann. In einer politischen Zusatzerklärung wird zugesichert, dass die Sanktionen „fair, unparteiisch und auf Fakten basierend“angewendet werden sollen und nur dem Schutz des EUBudgets vor Betrug, Korruption und Interessenkonflikten dienen; das soll angebliche Bedenken ausräumen, die EU könne die Regierungen für ihren politischen Kurs bestrafen.
Wichtiger ist aber, dass die EU das Kürzungsinstrument erst anwendet, wenn der Europäische Gerichtshof die Bestimmungen überprüft hat. Orbán kann damit rechnen, dass er vor der Parlamentswahl 2022 keine Kürzung von EU-Geldern befürchten muss.
Warschau und Budapest können das Instrument der Mittelkürzungen nicht verhindern, feiern die Zusicherungen aber nun als „Sieg“. Der Grünen-Haushaltspolitiker im EU-Parlament Rasmus Andresen meint indes: „Orbán und Morawiecki drohen als Verlierer vom Platz zu gehen. Anstatt den Rechtsstaatsmechanismus zu verhindern, lassen sie sich jetzt mit einer nicht verbindlichen Erklärung abspeisen.“Auch der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner sieht eine Niederlage Orbáns, zumindest langfristig. Er kritisiert aber, mit der aufschiebenden Wirkung des Deals erlaube Merkel, dass Orbán bis zur Wahl ungeschoren davon komme.