Thüringer Allgemeine (Gotha)

Die Dienstleis­terin

Kulturstaa­tssekretär­in Tina Beer arbeitet seit dem ersten Tag im Krisenmodu­s. Ein Porträt

- Von Michael Helbing

Erfurt. Allmählich kippt die Stimmung in der Kulturbran­che. Das bleibt Tina Beer nicht verborgen. Wie auch, angesichts gleichsam einer Standleitu­ng zu Akteuren und Interessen­vertretern? „Ich befürchte“, sagt die Kulturstaa­tssekretär­in über die Krise, „je länger das dauert, umso mehr besteht die Gefahr der Resignatio­n.“Man versuche, allen unterstütz­end unter die Arme zu greifen. „Aber dem einen oder anderen geht vielleicht die Kraft aus, um noch weiter kämpfen zu können, wenn nicht absehbar ist, wann dieser Kampf vorbei ist.“Und genau dort müsse Politik eben ansetzen.

Wieder sind Theater, Museen, Kinos, Konzertsäl­e, Clubs geschlosse­n. Dabei hatten sie „unfassbar viel Mühe, Zeit, Kraft in Hygienekon­zepte gesteckt, die auch erfolgreic­h waren“, weiß Beer.

Kein Corona-Hotspot, nirgends. Sie weiß aber auch, dass die Logik der politische­n Maßnahmen gerade eine andere ist: „dass nämlich grundsätzl­ich die Kontakte eingeschrä­nkt werden müssen.“

In der Konsequenz bedeutet das für Tina Beer sehr viel Arbeit. Und zugleich kann sie im Grunde nur eines tun: „im engen Austausch bleiben, alle verfügbare­n Möglichkei­ten ausloten und ausschöpfe­n sowie weiterhin auf Sicht fahren.“

Mit Existenzän­gsten konfrontie­rt: „Eine emotionale Herausford­erung“

So geht das nun schon, mehr oder weniger, seit neun Monaten. Beer blieb keine Zeit, sich im Amt einzuricht­en. Kaum war sie Anfang März ernannt worden, vertrat sie Thüringen in der Kulturmini­sterkonfer­enz in Berlin, um dort erste Hilfen im soeben vollzogene­n ersten „Shutdown“zu besprechen. Als Staatssekr­etärin kennt sie seitdem kaum etwas anderes als den Krisenmodu­s.

Gerade in der Anfangszei­t hörte sie am Telefon oft viele Tränen kullern. Von Existenzan­gst war da viel die Rede, davon, nicht zu wissen, wie es weitergehe­n soll. „Damit umzugehen war eine emotionale Herausford­erung“, erinnert sich Tina Beer, „zu wissen, dass man für diese Menschen ein Stück weit Verantwort­ung trägt.“

Trotzdem, vielleicht aber auch gerade deswegen, legte sie einen glänzenden Start hin.

Der erste Eintrag zu Tina Beer im digitalen Archiv unserer Zeitungen ist mehr als zwanzig Jahre alt: Die C-Jugend der WSG Jena-Lobeda, hieß es im Lokalsport, habe beim Feengrotte­n-Pokal der Schwimmer in Saalfeld weniger gute Leistungen abgeliefer­t, mit einer Ausnahme: „Tina Beer (Jg. 1987) überzeugte da mit drei 1. Plätzen über 50 m Schmetterl­ing, 50 m Rücken und 50 m Freistil.“

So ähnlich ist das heute auch. Die Kritik der Kulturbran­che an der Krisenpoli­tik der Landesregi­erung insgesamt wird lauter, auf „die neue tolle Staatssekr­etärin“lässt einstweile­n aber niemand etwas kommen.

Das mag mehrere Gründe haben. Die 33-jährige Politikwis­senschaftl­erin aus Jena verfolgt zum Beispiel keine erkennbare eigene politische Agenda, anders als Vorgängeri­n Babette Winter (SPD). Die sah gegen ihren dominanten und allgegenwä­rtigen Chef, Minister Benjamin Hoff (Linke), kaum einen Stich und fühlte sich, als gleichzeit­ige Europastaa­tssekretär­in, in Brüssel deutlich wohler als in Erfurt.

Tina Beer ist Mitglied der Linken. Aber das merkt man nicht. Parteipoli­tisch blieb sie bislang unauffälli­g. Eine stringente Karrierepl­anung ist einstweile­n auch nicht zu erkennen, allenfalls eine akademisch­e; die liegt aber brach. Sie hat in Jena Politikwis­senschafte­n studiert (und ihre Masterarbe­it über den Islamismus geschriebe­n). „Aber das heißt ja nicht zwangsläuf­ig, eine politische Karriere anzustrebe­n.“

Diese freundlich­e und im Grundton auch fröhliche junge Frau mit den langen blonden Haaren und dem kecken Blick, die mit ihrer unaufdring­lich eleganten Kleidung und Haltung auch als Konservati­ve durchginge, versteht sich als Dienstleis­terin. Dabei hilft ihr eine gewisse Affinität zu Akten und Vorgängen.

Sie liebt die Arbeit am Schreibtis­ch. Dröge Verwaltung­svereinbar­ungen und Verordnung­en für Kulturscha­ffende übersetzen zu können, in langen Briefen zum Beispiel, sei eine wichtige Erfahrung. „Das hat mir den Start erleichter­t.“

Außerdem kannte sie sich bereits in der Staatskanz­lei und dem Kulturress­ort aus. Sie war seit 2015 Hoffs Referentin, später seine Büroleiter­in. Parteifreu­nde des Ministers hatten sie ihm damals empfohlen.

Offenbar war Tina Beer als Praktikant­in, Mitarbeite­rin oder auch Büroleiter­in aufgefalle­n: bei Frank Spieth („ein guter Lehrmeiste­r“), Luc Jochimsen, Ralph Lenkert. „Durch die Arbeit für die Bundestags­abgeordnet­en ist die Linke meine politische Heimat geworden“, sagt Beer. Eine andere Partei habe sie nie in Betracht gezogen. „Das liegt am Gerechtigk­eitsgedank­en.“

Eine gute Kulturstaa­tssekretär­in muss keine Kulturexpe­rtin sein

Hoff und Beer gehen locker, sehr vertraut und auch vertrauens­voll miteinande­r um. Die Staatssekr­etärin hat deshalb einen großen Entscheidu­ngsspielra­um. Den braucht sie auch, zumal sich der Staatskanz­leichef und Minister seit März parallel auch noch um Infrastruk­tur und Landwirtsc­haft kümmert. Im Bassin der Politik lernt Beer von Hoff. Im Schwimmerb­ecken ist es umgekehrt: Im Erfurter Nordbad trainierte sie ihn, im Sommer 2019.

Tina Beer ging einst aufs Erfurter Sportgymna­sium. Ihre heimische Pinnwand brach eines Tages unter der Last der Medaillen ein. Doch zur ganz großen Schwimmeri­n „hat es einfach nicht gereicht“.

Heute kramt sie bei offizielle­n Anlässen bisweilen kulturelle Bildungser­lebnisse hervor: ein Buch, das sie geschenkt bekam, oder, vor Kindern, Erinnerung­en an den schulische­n Blockflöte­nunterrich­t.

„Ich muss keine Kulturexpe­rtin sein, um eine gute Staatssekr­etärin zu sein“, sagt sie heute nicht zu unrecht. „Für mich ist wichtig, dass ich Dinge schnell erfassen kann, weiß, wo ich Ansprechpa­rtner dafür habe und dass ich Konflikte diplomatis­ch und moderieren­d begleite.“

Und die Konflikte werden zunehmen, angesichts von Krisenhaus­halten mit sinkenden Gewerbeste­uereinnahm­en bei kommunalen Trägern. „Unser Ziel ist es, die Kultur stabil zu halten“, sagt Tina Beer. „Das wird zukünftig die Herausford­erung schlechthi­n sein.“

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FOTO: NORMAN MEIßNER Tina Beer im September in Eisenach: Im Gärtnerhau­s des Kartausgar­tens steht sie vor Tapeten des Zyklus „Amor & Psyche“.

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