Die Dienstleisterin
Kulturstaatssekretärin Tina Beer arbeitet seit dem ersten Tag im Krisenmodus. Ein Porträt
Erfurt. Allmählich kippt die Stimmung in der Kulturbranche. Das bleibt Tina Beer nicht verborgen. Wie auch, angesichts gleichsam einer Standleitung zu Akteuren und Interessenvertretern? „Ich befürchte“, sagt die Kulturstaatssekretärin über die Krise, „je länger das dauert, umso mehr besteht die Gefahr der Resignation.“Man versuche, allen unterstützend unter die Arme zu greifen. „Aber dem einen oder anderen geht vielleicht die Kraft aus, um noch weiter kämpfen zu können, wenn nicht absehbar ist, wann dieser Kampf vorbei ist.“Und genau dort müsse Politik eben ansetzen.
Wieder sind Theater, Museen, Kinos, Konzertsäle, Clubs geschlossen. Dabei hatten sie „unfassbar viel Mühe, Zeit, Kraft in Hygienekonzepte gesteckt, die auch erfolgreich waren“, weiß Beer.
Kein Corona-Hotspot, nirgends. Sie weiß aber auch, dass die Logik der politischen Maßnahmen gerade eine andere ist: „dass nämlich grundsätzlich die Kontakte eingeschränkt werden müssen.“
In der Konsequenz bedeutet das für Tina Beer sehr viel Arbeit. Und zugleich kann sie im Grunde nur eines tun: „im engen Austausch bleiben, alle verfügbaren Möglichkeiten ausloten und ausschöpfen sowie weiterhin auf Sicht fahren.“
Mit Existenzängsten konfrontiert: „Eine emotionale Herausforderung“
So geht das nun schon, mehr oder weniger, seit neun Monaten. Beer blieb keine Zeit, sich im Amt einzurichten. Kaum war sie Anfang März ernannt worden, vertrat sie Thüringen in der Kulturministerkonferenz in Berlin, um dort erste Hilfen im soeben vollzogenen ersten „Shutdown“zu besprechen. Als Staatssekretärin kennt sie seitdem kaum etwas anderes als den Krisenmodus.
Gerade in der Anfangszeit hörte sie am Telefon oft viele Tränen kullern. Von Existenzangst war da viel die Rede, davon, nicht zu wissen, wie es weitergehen soll. „Damit umzugehen war eine emotionale Herausforderung“, erinnert sich Tina Beer, „zu wissen, dass man für diese Menschen ein Stück weit Verantwortung trägt.“
Trotzdem, vielleicht aber auch gerade deswegen, legte sie einen glänzenden Start hin.
Der erste Eintrag zu Tina Beer im digitalen Archiv unserer Zeitungen ist mehr als zwanzig Jahre alt: Die C-Jugend der WSG Jena-Lobeda, hieß es im Lokalsport, habe beim Feengrotten-Pokal der Schwimmer in Saalfeld weniger gute Leistungen abgeliefert, mit einer Ausnahme: „Tina Beer (Jg. 1987) überzeugte da mit drei 1. Plätzen über 50 m Schmetterling, 50 m Rücken und 50 m Freistil.“
So ähnlich ist das heute auch. Die Kritik der Kulturbranche an der Krisenpolitik der Landesregierung insgesamt wird lauter, auf „die neue tolle Staatssekretärin“lässt einstweilen aber niemand etwas kommen.
Das mag mehrere Gründe haben. Die 33-jährige Politikwissenschaftlerin aus Jena verfolgt zum Beispiel keine erkennbare eigene politische Agenda, anders als Vorgängerin Babette Winter (SPD). Die sah gegen ihren dominanten und allgegenwärtigen Chef, Minister Benjamin Hoff (Linke), kaum einen Stich und fühlte sich, als gleichzeitige Europastaatssekretärin, in Brüssel deutlich wohler als in Erfurt.
Tina Beer ist Mitglied der Linken. Aber das merkt man nicht. Parteipolitisch blieb sie bislang unauffällig. Eine stringente Karriereplanung ist einstweilen auch nicht zu erkennen, allenfalls eine akademische; die liegt aber brach. Sie hat in Jena Politikwissenschaften studiert (und ihre Masterarbeit über den Islamismus geschrieben). „Aber das heißt ja nicht zwangsläufig, eine politische Karriere anzustreben.“
Diese freundliche und im Grundton auch fröhliche junge Frau mit den langen blonden Haaren und dem kecken Blick, die mit ihrer unaufdringlich eleganten Kleidung und Haltung auch als Konservative durchginge, versteht sich als Dienstleisterin. Dabei hilft ihr eine gewisse Affinität zu Akten und Vorgängen.
Sie liebt die Arbeit am Schreibtisch. Dröge Verwaltungsvereinbarungen und Verordnungen für Kulturschaffende übersetzen zu können, in langen Briefen zum Beispiel, sei eine wichtige Erfahrung. „Das hat mir den Start erleichtert.“
Außerdem kannte sie sich bereits in der Staatskanzlei und dem Kulturressort aus. Sie war seit 2015 Hoffs Referentin, später seine Büroleiterin. Parteifreunde des Ministers hatten sie ihm damals empfohlen.
Offenbar war Tina Beer als Praktikantin, Mitarbeiterin oder auch Büroleiterin aufgefallen: bei Frank Spieth („ein guter Lehrmeister“), Luc Jochimsen, Ralph Lenkert. „Durch die Arbeit für die Bundestagsabgeordneten ist die Linke meine politische Heimat geworden“, sagt Beer. Eine andere Partei habe sie nie in Betracht gezogen. „Das liegt am Gerechtigkeitsgedanken.“
Eine gute Kulturstaatssekretärin muss keine Kulturexpertin sein
Hoff und Beer gehen locker, sehr vertraut und auch vertrauensvoll miteinander um. Die Staatssekretärin hat deshalb einen großen Entscheidungsspielraum. Den braucht sie auch, zumal sich der Staatskanzleichef und Minister seit März parallel auch noch um Infrastruktur und Landwirtschaft kümmert. Im Bassin der Politik lernt Beer von Hoff. Im Schwimmerbecken ist es umgekehrt: Im Erfurter Nordbad trainierte sie ihn, im Sommer 2019.
Tina Beer ging einst aufs Erfurter Sportgymnasium. Ihre heimische Pinnwand brach eines Tages unter der Last der Medaillen ein. Doch zur ganz großen Schwimmerin „hat es einfach nicht gereicht“.
Heute kramt sie bei offiziellen Anlässen bisweilen kulturelle Bildungserlebnisse hervor: ein Buch, das sie geschenkt bekam, oder, vor Kindern, Erinnerungen an den schulischen Blockflötenunterricht.
„Ich muss keine Kulturexpertin sein, um eine gute Staatssekretärin zu sein“, sagt sie heute nicht zu unrecht. „Für mich ist wichtig, dass ich Dinge schnell erfassen kann, weiß, wo ich Ansprechpartner dafür habe und dass ich Konflikte diplomatisch und moderierend begleite.“
Und die Konflikte werden zunehmen, angesichts von Krisenhaushalten mit sinkenden Gewerbesteuereinnahmen bei kommunalen Trägern. „Unser Ziel ist es, die Kultur stabil zu halten“, sagt Tina Beer. „Das wird zukünftig die Herausforderung schlechthin sein.“