„Ich gehe inzwischen in das Studio rein wie in ein Wohnzimmer“
Jan Hofer verabschiedet sich von der „Tagesschau“, deren Sprecher er 36 Jahre lang war – und plaudert aus dem ARD-Nähkästchen
dann hat man alles von ihm gekriegt, das war wirklich toll. Dieter wäre übrigens nie ein guter „Tagesschau“-Sprecher geworden, dafür war er viel zu emotional.
…die Vorbereitung auf eine Sendung:
Mein Arbeitsalltag sieht so aus, dass ich in der Redaktion zunächst einmal die von den Kollegen vorbereiteten Texte lese und gegebenenfalls Änderungsvorschläge für Formulierungen mache. Außerdem muss ich auf grammatikalische oder andere Fehler achten, die ja in der Sendung auf mich zurückfallen würden. Ich versuche immer so rechtzeitig im Studio zu sein, dass ich die komplette Sendung laut durchgehen kann. Sie glauben nicht, wie viele Fehler Sie beim Vorlesen noch entdecken.
…die Frage, woher man weiß, wie man schwierige Wörter ausspricht:
Es gibt bei uns eine wunderbare Institution, die Aussprachedatenbank. Die wird in Frankfurt vom Hessischen Rundfunk in Zusammenarbeit mit der Duden-Redaktion gepflegt. Die rufen zum Beispiel bei Korrespondenten in den verschiedenen Ländern an, um zu fragen, wie man den Namen dieses oder jenes Politikers korrekt ausspricht.
…die Fähigkeiten eines „Tagesschau“-Sprechers:
Ich frage mich seit 36 Jahren, was eigentlich jemand ausmacht, der vor der Kamera präsent ist. Es gibt Menschen, die sehen klasse aus, die haben eine tolle Aussprache, aber die wirken auf dem Bildschirm überhaupt nicht. Und dann gibt es andere, bei denen das genau anders herum ist. Warum das so ist, kann ich nicht sagen. Was für alle „Tagesschau“-Sprecher gilt: Sie dürfen nicht zu emotional sein, man darf ihnen niemals anmerken, dass ihnen eine Nachricht nahegeht.
…die Auswahl
der
„Tagesschau“-Sprecher:
Die meisten habe ich in den vergangenen Jahren ausgesucht. Nehmen wir das Beispiel Judith Rakers. Die habe ich mal im „Hamburg-Journal“gesehen und dachte: die hat was. Dann habe ich sie zu mir nach Hause eingeladen, weil ich nicht wollte, dass das im Sender publik wurde. Sie hat bestimmt gedacht: Was will denn der Hofer von mir? Es ist immer wichtig, dass man mit den Menschen, die man in die „Tagesschau“-Mannschaft aufnimmt, darüber spricht, was das heißt. Sie können sich oft nicht vorstellen, was das für ihr Leben bedeutet.
…das Leben
als
„Tagesschau“-Sprecher:
Zunächst einmal unterliegen Sie einer großen, öffentlichen sozialen Kontrolle. Man muss sich allein bei dem, was man an Post bekommt, ein breites Kreuz zulegen, weil bei 14 Millionen Zuschauern eben nicht jeder nett ist. Die Reaktionen nicht persönlich zu nehmen, ist nicht einfach. Ich habe früher schlaflose Nächte deswegen gehabt. Man muss außerdem begreifen, dass man nie als eigenständige Person, sondern immer als Vertreter des Systems gesehen wird. Wenn jemand die ARD oder die ,Tagesschau’ ablehnt, wird er auch dich als Sprecher ablehnen. Im Zweifel führst du einen Stellvertreter-Krieg.
…unterschiedliche Sprechtempi:
Jeder „Tagesschau“-Sprecher hat ein anderes Sprechtempo, und danach wird die jeweilige Sendung getaktet. Wenn Meldungen in das System eingegeben werden, und ich habe Dienst, wird automatisch mein Sprechtempo berechnet. Das heißt: Es gibt Sprecher, die kriegen in einer Sendung eine Meldung mehr unter als andere, einfach, weil sie schneller reden. Ich glaube, Jens Riewa, mein Nachfolger als Chefsprecher, ist der schnellste.
…das (Mindest-)Alter eines „Tagesschau“-Sprechers:
Ich glaube nicht, dass man mit 20 die „Tagesschau“sprechen könnte. Die Zuschauer brauchen das Gefühl, dass derjenige, der da steht, weiß, wovon er spricht. Anfang 30 sollte man schon sein.
…einmal „Tagesschau“-Sprecher, immer „Tagesschau“-Sprecher:
Diese Sicherheit, bei der „Tagesschau“alt werden zu können, hat für die Sprecherinnen und Sprecher etwas sehr Beruhigendes. Das ist das eine. Das andere ist, dass man aufpassen muss, sich nicht mit der Routine zufriedenzugeben. Deshalb habe ich in den vergangenen 36 Jahren immer wieder auch andere Sendungen gemacht, deswegen moderiert Judith Rakers „3 nach 9“oder schreibt Linda Zervakis Bücher.
…das Bewusstsein, vor Millionen Menschen aufzutreten:
Ich sage immer meinen Kolleginnen und Kollegen: Ihr macht nicht für 14 Millionen Zuschauer eine Sendung, ihr müsst euch vorstellen, dass ihr das für einen einzigen Menschen macht. Das funktioniert. Ich gehe inzwischen in das Studio rein wie in ein Wohnzimmer, da gibt es kein Lampenfieber mehr. Dafür ist das Adrenalin jedes Mal gleich hoch, das ändert sich nie.