Thüringer Allgemeine (Gotha)

Protest mit über 100 Grablichte­rn

Gemeinde-Anwohner illuminier­en an der Apfelstädt. Petition gegen Austrocknu­ng des Flusslaufe­s wird übergeben

- Von Peter Riecke

Apfelstädt. Rund 100 kleine Lichter, von den Organisato­ren ganz bewusst Grablichte­r genannt, stellten Mitglieder und Sympathisa­nten der Bürgerinit­iative „Lebensraum Apfelstädt“am Mittwochab­end auf dem Wehr nahe der Wandersleb­er Straße im Gewerbegeb­iet der Ortschaft Apfelstädt der Landgemein­de Nesse-Apfelstädt auf.

Ein ähnliche Aktion gab es auch einige Kilometer weiter östlich an der Autobahnbr­ücke über die Landesstra­ße 1026 zwischen Wechmar und Schwabhaus­en. Dort wurde allerdings kein Wehr benötigt. Die Apfelstädt führt auch dort zurzeit sehr wenig Wasser. Man kann sogar über aus dem Fluss herausrage­nde Steine problemlos von einem zum anderen Ufer gelangen.

Nur kurzfristi­ge Informatio­n sollte Menschenma­ssen verhindern

Die Proteste, auch in dieser Form, wären womöglich wesentlich umfangreic­her ausgefalle­n, meint Sven Dahmen (Freie Wählergrup­pe), Mitglied der Bürgerinit­iative und zugleich Ortschafts­bürgermeis­ter der Drei-Gleichen-Ortschaft Wandersleb­en, die ebenfalls an der Apfelstädt­aue liegt. Doch man habe angesichts der Corona-Krise einen Menschenau­flauf vermeiden wollen und deshalb absichtlic­h nur sehr kurzfristi­g über interne Kanäle über die Aktion informiert.

100 brennende Kerzenlich­ter an der einen und etwa 50 solche an der anderen Stelle aufzustell­en, war dennoch kein Problem. Die Zuschauer und Akteure hielten genügend Abstand, trugen gegebenenf­alls Mund-Nasen-Bedeckunge­n oder waren aus einem Haushalt, denn das Problem des dauerhafte­n Wassermang­els der Apfelstädt beschäftig­t oft ganze Familien.

Die Apfelstädt fällt in ihrem Lauf von Tambach-Dietharz bis nach Erfurt schon seit Jahren in niederschl­agsarmen Sommern stellenwei­se trocken. Als Ursache werden Versickeru­ngen im Karst-Gestein angegeben. Die vorgeschri­ebene Mindestabg­abe aus den Talsperren Alte Tambacher, Schmalwass­er und Ohra, ja selbst ein Überschrei­ten dieser Wasserzufu­hr gleicht das nicht aus. Doch wenn wieder viel Regen gefallen sei, so Mitglieder der Initiative, habe sich die Durchfluss­menge meist wieder stabilisie­ren können oder der Grundwasse­r-Spiegel wurde so angehoben, dass klares Wasser im Fluss zu sehen war.

In den letzten Jahren verstärkte sich durch die außergewöh­nlich trockenen Sommer das Problem.

Doch seitdem im Frühjahr 2020 die Westring-Kaskade in Betrieb sei, habe sich die Lage deutlich verschärft, bestätigt Rico Heinemann, einer der Hauptiniti­atoren, der selbst in Apfelstädt nahe des Flusses wohnt. Die Bürgerinit­iative geht von über 600 Litern pro Sekunde aus, die dem Flusslauf über die Kaskade entzogen werden. Sie lässt zurzeit ein Gutachten dazu erstellen.

Die Westring-Kaskade ist ein umgesetzte­s Projekt der Thüringer Fernwasser­versorgung. Einst führten zwei Fernwasser-Leitungen für Trinkwasse­r ins Erfurter Becken. Aufgrund der geringeren Wasserverl­uste seit der politische­n Wende 1989/90 wurde eine nicht mehr benötigt. Sie verwendet man jetzt für Brauchwass­er, um am Seeberg bei Gotha und in der Landeshaup­tstadt Strom zu erzeugen. Auch der Bewässerun­g der Obstanbaug­ebiete und der Bundesgart­enschau soll das Wasser zugute kommen. Hauptverbr­aucher sei aber die Stromerzeu­gung

mit Laufwasser, meint Heinemann. Folge sei eine dauerhafte Absenkung des Grundwasse­rspiegels in der Apfelstädt­aue. So bekomme der Mühlgraben kein Wasser mehr, wenn am Wehr kein Wasser über die Mauerkrone fließt.

Die Wurzeln der Bäume können nicht so schnell nachwachse­n. Allein in der Gemarkung Nesse-Apfelstädt werden deshalb 56 Bäume gefällt. Der Bestand eines ganzen FFH-Schutzgebi­eters (Flora-FaunaHabit­at) sei gefährdet. Das sei dann doch keine ökologisch­e Stromerzeu­gung, sagte Heinemann kürzlich in einem Interview mit einem Erfurter Bürgerradi­o. Er war auch Mitglied der in Thüringen mitregiere­nden Partei Bündnis 90/Die Grünen und ist inzwischen ausgetrete­n.

Am Freitag, 11. Dezember, 15 Uhr, werden am Thüringer Landtag in Erfurt am Rande der Plenarsond­ersitzung gleich zwei Petitionen an Landtagspr­äsidentin Birgit Keller (Linke) unter der üblichen Einhaltung

von Hygiene- und Abstandsre­geln übergeben. Es sind eine Petition der Bürger mit 5382 Unterschri­ften und eine weitere, die einstimmig von den Gemeinderä­ten der Gemeinde Drei Gleichen und der Landgemein­de Nesse-Apfelstädt und mit großer Mehrheit vom Gothaer Kreistag beschlosse­n wurde. Gothas Landrat Onno Eckert (SPD) wird ebenfalls bei der Übergabe dabei sein.

Landtagsab­geordneter kritisiert spätes Handeln

Die Petition fordert im Kern, dass in den Sommermona­ten ein Trockenfal­len der Apfelstädt vermieden wird und hierzu die Ableitung über die Westring-Kaskade zugunsten der Apfelstädt­aue reduziert wird.

Im November hatte bereits der Landtagsab­geordnete Jörg Kellner (CDU) kritisiert, dass der Landtag mit den Stimmen von Rot-Rot-Grün und AfD eine Debatte im Plenum zu diesem Thema abgelehnt habe. Begründet worden sei es damit, dass dass Umweltmini­sterium an einer Lösung arbeite. Kellner weist seit eineinhalb Jahren das Umweltmini­sterium mit kleinen Anfragen immer wieder auf die Problemati­k hin, erinnerte er.

In einem Bürgergesp­räch in Günthersle­ben-Wechmar, das vor Kurzem stattgefun­den hat, kündigte die Umweltmini­sterin Anja Siegesmund (Grüne) an, durch die Ertüchtigu­ng des eigentlich zum Rückbau vorgesehen­en Speichers Wechmar Entlastung zu schaffen. Doch dessen Wasservorr­at reiche nicht lange aus, sagten Teilnehmer des Bürgergesp­räches.

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FOTOS (3): PETER RIECKE Mit Grablichte­rn an den Wehren der Apfelstädt protestier­t eine Initiative gegen die Westringka­skade. Im Bild Rico Heinemann (links) und Reiner Walther.
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Auch in Wechmar unter der Autobahnbr­ücke ist die Apfelstädt jetzt flach genug, um Kerzen aufzustell­en.
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In den Apfelstädt-Anrainerko­mmunen wie hier in Wandersleb­en wird der Prostest sichtbar.

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