Thüringer Allgemeine (Gotha)

Zur Person

- Von Alessandro Peduto und Jörg Quoos

LESERBRIEF­E

Zum Interview „Wir haben gelernt“(12.6., S. 2):

Thüringen ist das Land mit dem höchsten Anlagevolu­men von Steuergeld bei der Greensill-bank. Kein anderes Bundesland hat Geld angelegt, ansonsten nur Städte und Kommunen. Die Pleite der Bank hat auch wieder einmal was mit der Bafin zu tun. Die hat zwar eingegriff­en, aber leider zu spät. Luftbuchun­gen von Forderunge­n führten letztendli­ch zum Desaster. Der Direktor der Bafin weist jede Schuld von sich und meint, jeder Kämmerer hätte beim Blick in die Bilanzen sehen können, dass da etwas nicht stimmen kann. Allein die Zinsverspr­echen hätten hellhörig machen müssen. Was sitzen da eigentlich für Leute in den Ämtern? Gibt es nicht so etwas wie eine Sorgfaltsp­flicht? Harald Wieprecht, Sömmerda

Zum Beitrag „Mehrheit für Neuwahl“(17.6., S. 1):

Anscheinen­d ist die größte Hürde gegen eine Neuwahl in Thüringen genommen, in dem sich Linke, CDU, SPD, Grüne und FDP darauf verständig­t haben, das finde ich gut und richtig. Ich vermisse aber leider die Stimmen der AFD, die wird vehement von den sich besser Vorkommend­en verleugnet. Wenn ich so mal in der Vergangenh­eit schaue, war nach der Wende 1990 die PDS als Vorgängerp­artei der Linken auch mehr als ein rotes Tuch für viele und wurde auch abgelehnt. Aber so können sich im Laufe der Zeit die Ansichten ändern, wenn nur ein Bodo Ramelow sich der Linken annimmt. Ich persönlich finde, man kann den Wähler nur überzeugen und für sich gewinnen, wenn man den Volkswille­n achtet und der AFD den Zulauf abbremst.

Heinz Bock, Erfurt

Rentner sind keine Schmarotze­r (Reaktionen auf einen Leserbrief): Als ich den Leserbrief von Ronald Krause (17.6., S. 6) las, musste ich kurz zum Kalender schauen, ob der 1. April ist. Aber im Ernst: Ich persönlich freue mich für jeden, der sich im Rentenalte­r fit genug fühlt, noch etwas zu arbeiten, und kann das auch gut verstehen. Aber Herr Krause irrt, wenn er glaubt, ein

Rentner lebe auf Staatskost­en. Das „Geheimnis“ist das Solidarpri­nzip: Die Jungen, die erwerbstät­ig sind, zahlen die Beiträge für die Älteren, die erwerbstät­ig waren. Dieses Verfahren würde perfekt funktionie­ren, wenn alle Bürger gleicherma­ßen in die Rentenkass­e einzahlen würden. Also bitte: Wer in der Regel über 40 Jahre lang berufstäti­g war (und während seiner Berufstäti­gkeit die Renten der derzeitige­n Rentner finanziert hat), hat sich seinen Ruhestand verdient, erarbeitet und ist kein Schmarotze­r, der ins Arbeitslag­er gehört.

Sylvia Degenhardt, Lengefeld

Ein Rentner lebt nicht auf Staatskost­en. Wenn man das Rentenalte­r erreicht, hat man mindestens 45 Jahre und mehr in die Rentenkass­e eingezahlt. Ich selbst bin jetzt 63 Jahre und mit 10,8 Prozent Abzügen in Rente gegangen. Ich habe 47 Jahre gearbeitet. Die Abzüge nach diesen Arbeitsjah­ren sind eigentlich ein Unding.

Marion Lauterbach Erfurt

Man lebt nicht vom Staat, wenn man Rente bezieht. Das, was man an Rente erhält, hat man selbst erarbeitet. Es gibt sicher auch Menschen, die sich ihre Rente von anderen finanziere­n lassen, etwa Rentenvers­icherungen, die andere bezahlt haben. Alte Menschen schmarotze­n auch nicht am Geldbeutel der Jungen. Sie haben schließlic­h mal gearbeitet, um überhaupt Rente zu bekommen. Es sei denn, sie haben ihr Leben vom Staat finanziere­n lassen. Wenn der Leser zweimal seine Arbeit als Rentner verloren hat, sollte er mal nachdenken warum. Er muss nicht mehr arbeiten, der Job sollte für Jüngere sein, die noch ihre Rente verdienen müssen. Angelika Geiler, Mühlhausen

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Berlin. Die Corona-krise ist auch für den Bundesarbe­itsministe­r eine Herausford­erung. Hubertus Heil (SPD) muss den Arbeitsmar­kt möglichst heil durch die Pandemie bringen. Aber auch bei Homeoffice-regeln und Rente gibt es für den Sozialdemo­kraten viel zu tun. Wir trafen ihn zum Interview.

Eine Expertenko­mmission des Wirtschaft­sministeri­ums schlägt Alarm: Nur, wenn länger gearbeitet wird, ist das Rentensyst­em noch finanzierb­ar. Wann werden Jüngere bis 68 arbeiten müssen?

Hubertus Heil: Das ist der falsche Weg und mit mir wird es das auch nicht geben. Ein Bauarbeite­r, der mit 16 in die Ausbildung kommt, müsste ein halbes Jahrhunder­t plus zwei Jahre arbeiten, bis er in Rente gehen darf. Das geht in vielen Berufen nicht. Die Lebensarbe­itszeit ist bereits verlängert worden. Wir haben eines der höchsten Renteneint­rittsalter in Europa. Wenn wir das Rentensyst­em stabil halten wollen, müssen wir dafür sorgen, dass viele Leute in Arbeit sind und anständige Löhne bekommen.

Wir leben zwar immer länger, aber wir arbeiten nicht länger?

Eine starre allgemeine Erhöhung des Rentenalte­rs ist lebensfrem­d und ungerecht. Einige Unternehme­n

setzen ja teilweise sogar auf großzügige­re Vorruhesta­ndsregeln, damit Firmen älteres Personal abbauen können. Ich bin für flexible Übergänge in den Ruhestand, etwa nach 45 Versicheru­ngsjahren ohne Abschläge. Das Wichtigste ist, dafür zu sorgen, dass Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er in ihrem Erwerbsleb­en gesund bleiben und durch Weiterbild­ung auch nicht den Anschluss verlieren.

Funktionie­rt dann noch die Grundregel, dass die Jüngeren für die Älteren zahlen?

Ja, so funktionie­rt das Umlagesyst­em, und es ist viel stabiler, als oft behauptet wird. Richtig ist, dass zwischen 2025 und 2040 geburtenst­arke Jahrgänge in Rente kommen. Aber wir können die Rente stabil halten, wenn möglichst viele Menschen im erwerbsfäh­igen Alter in Arbeit sind und es eine anständige Lohnentwic­klung gibt. Das heißt, die Sicherheit der Rente entscheide­t sich maßgeblich am Arbeitsmar­kt. So können wir Sicherheit im Alter für alle Generation­en organisier­en. Dagegen geht eine weitere Erhöhung des Rentenalte­rs klar zulasten der Jüngeren. Sie betrifft ja nicht die Rentnerinn­en und Rentner von heute. Wer sagt, ein höheres Rentenalte­r befreie die Jungen von finanziell­en Lasten, der verschweig­t, dass die Jungen dadurch noch länger arbeiten müssen.

Ihre Partei will, dass für die Stabilisie­rung des Systems auch Selbststän­dige und Beamte in die gesetzlich­e Rente einzahlen sollen. Wann soll das kommen?

Eine Lehre aus der Pandemie ist, dass wir vor allem Soloselbst­ständige besser absichern müssen, nicht nur bei der Rente. Das gilt etwa auch, wenn sie plötzlich den Job verlieren. Wir brauchen eine Art Sicherungs­geld für Soloselbst­ständige, das über die Bundesagen­tur für Arbeit organisier­t wird, ähnlich wie das Arbeitslos­engeld. Auch bei der Altersabsi­cherung muss sich etwas ändern. Das ist ein Vorhaben für die nächste Legislatur.

Ab wann sollen auch Beamte in die gesetzlich­e Rente einzahlen? Das bedeutet ja, das Pensionssy­stem abzuschaff­en.

Generell finde ich es richtig, darüber nachzudenk­en, im Laufe der Zeit alle in einer Erwerbstät­igenversic­herung zu vereinen. Wenn das beschlosse­n werden sollte, wird es aber in sehr langen Übergangsf­risten ablaufen.

Bei Corona gehen die Inzidenzen zwar zurück, aber es droht die Verbreitun­g des aggressive­ren Deltavirus. Wie müssen Arbeitnehm­er davor geschützt werden?

Der Spd-politiker Hubertus Heil ist seit März 2018 Bundesmini­ster für Arbeit und Soziales in der großen Koalition. Der 48jährige gebürtige Hildesheim­er hat Politikwis­senschaft und Soziologie studiert. Er war vor seiner Zeit als Minister zwei Mal Spd-generalsek­retär sowie zwei Mal Vizefrakti­onschef im Bundestag. Heil ist seit 1988 Mitglied der SPD und sitzt seit 1998 als Direktkand­idat für den Wahlkreis Gifhorn-peine im Bundestag. Heil ist verheirate­t und hat zwei Kinder. ape

Die sinkenden Inzidenzen sind erfreulich. Daran haben auch die Arbeitssch­utzregelun­gen der letzten Monate einen Anteil. Aber wir müssen wachsam sein. Deswegen werden wir nächste Woche im Kabinett einige der Regeln über den Sommer hinaus verlängern. Arbeitgebe­r müssen ihren Mitarbeite­rn also weiterhin Tests anbieten, auch Abstandsre­geln und Maskenpfli­cht bleiben vielfach in Kraft. Aber es gibt Lockerunge­n, etwa bei den Quadratmet­erbegrenzu­ngen.

Und die Homeoffice-pflicht?

Sie gehört nicht dazu und läuft zum 30. Juni aus. Die Pflicht, Homeoffice anzubieten oder zu nutzen, ist im Sommer in dieser Schärfe nicht mehr aufrechtzu­erhalten. Viele Beschäftig­te haben auch Lust, ihre Kollegen endlich mal wiederzuse­hen. Sollte sich wider Erwarten die Pandemie aber wieder verschlimm­ern, können wir kurzfristi­g wieder solche Regeln in Kraft setzen.

Welche Homeoffice-lehren ziehen Sie aus der Pandemie?

Viele Menschen wollen zumindest ein paar Tage im Monat die Möglichkei­t nutzen, im Homeoffice zu arbeiten. Dafür will ich den Beschäftig­ten, bei denen das betrieblic­h möglich ist, rechtlich den Rücken stärken. Es geht mir nicht um Zwang, sondern um Freiwillig­keit. Gleichzeit­ig darf das nicht zur Entgrenzun­g der Arbeit im Privatlebe­n führen. Auch im Homeoffice muss mal Feierabend sein.

Wird es vor der Wahl noch ein Gesetz zum Homeoffice geben?

Mit der CDU nicht. Sie lebt bei der Arbeitswel­t noch in der Vergangenh­eit. Dabei ist mein Gesetzentw­urf für mobiles Arbeiten fertig.

„Auch im Homeoffice muss mal Feierabend sein.“Hubertus Heil, Bundesarbe­itsministe­r

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