Heimatkunde, poetisch
Es waren einmal zwei Menschen, die arbeiteten an einem hübschen Theater in einer schönen Stadt. Eines Tages erreichte sie der Auftrag, ein festliches Programm zu erstellen, bestimmt zur Darbietung an einem der niederen Feiertage, wie man sie damals regelmäßig zu begehen pflegte, mag sein, es war der Tag des Eisenbahners.
Auf der Liste der erwünschten Würdigungen fand sich auch ein Gedicht über eine Baustelle, die die Trasse hieß. Da nun aber den beiden Baustellengedichte nicht sehr geläufig waren und es ihnen zum Suchen am Eifer ermangelte, machten sie kein großes Geschrei, sondern begaben sich still, wie jeden Tag, ins Kaffeehaus „International“. Dortselbst dichteten sie, Zeile um Zeile absondernd im fröhlichen Wechsel, Internationalistisches. Schließlich ersannen sie noch einen Dichternamen, es war, wenn Erinnerung nicht gaukelt, wohl Klaus-peter Löffel. Und als das heitere Werk vollendet war, da hatten sie das deutliche Empfinden, dies sei wiederum ein schöner Tag gewesen. Einer der beiden war der Verfasser dieses melancholischen Textes, der andere Harald Gerlach.
„Südwärts geht dir, wann immer du kommst, kein Schatten voraus“. Mit diesem Satz trat der Schriftsteller,
aufgewachsen im Süden Thüringens, 1976 in die Literaturgeschichte ein, es ist der eröffnende Satz seines Prosadebüts „Das Graupenhaus“, ein noch immer wahrhaftig wirkendes Buch.
Der Satz ist nicht selbstverständlich, wenn der Umstand bedacht ist, dass der Ort der Geschichte ein Jugendwerkhof in der frühen DDR ist. Das Buch kann als der Versuch des jungen Schriftstellers gelten, die Maßgaben seiner Poesie zu vereinbaren mit denen seines Landes auf eine Weise, mit der beide zu leben vermögen, auch das ein Versuch, Heimat zu bilden. Dieses Buch hat eine Gestimmtheit, die sich des Vergangenen noch versichert, um es dem Gegenwärtigen als verbündet hinzuzugesellen.
Später wurde das Damals zum polemischen Gleichnis des Jetzt. Mit Johann Peter Uz, der „Abschied von Arkadien“nimmt,
1988, nahm auch Harald Gerlach Abschied von den Illusionen. Uz, der Dichter, steht auf den Zinnen der Stadt und beobachtet irritiert, was Uz, der Beamte treibt dort unten. So war das.
Vielleicht war es das, was ihn nach Leimen trieb, wo er heute vor 20 Jahren starb. Die Heimat hier war verbraucht, poetisch und sonst auch.
Harald Gerlach, für den es eine Bedeutung hatte, in Schlesien geboren und in Südthüringen aufgewachsen zu sein, hat ein Bedürfnis nach Heimat, das Wort begriffen mit allem, was es umfasst, früh empfunden. Es muss auch damit zu tun haben, dass er sich Johannes
Bobrowski verbunden fühlte und Wulf Kirsten, seinem Mentor und Freund. Wie dieser nimmt er „raue, rissige Erde“ins Wort. Und gemeinsam mit diesem wird man ihn den bedeutendsten Thüringer Schriftsteller jüngerer Zeit nennen dürfen.
Mag sein, Gerlach hat dieses Heimatgefühl damals ein wenig kultiviert, weil er eine Ahnung gewann, dass Poesie ein Treibmittel benötigt, einen Stoff. Und weil er wohl auch schon ahnte, noch ehe seine ersten Gedichte als „Poesiealbum“erschienen, dass sich der rauen Metaphorik seines Dichtens Landschaften anvertrauen und die Dinge ihre spröde Sinnlichkeit offenbaren würden. Wenn er darüber schreibt, über Landschaften und über Menschen, die einen Begriff von ihrer Teilhaberschaft daran haben, dann ist es, als führe eine Hand prüfend über sprödes, doch ungemein fein strukturiertes Holz. Harald Gerlach hat sich Heimat erworben als eine bewusste poetische Landnahme.
Der Autor dieses Beitrages, als er 19, 20 war, fand das Bedürfnis des Kollegen zu wandern, ein wenig irritierend. Später hat er es begriffen.
Irgendwann waren wir beide Bühnenarbeiter in Erfurt, wir fraßen, vorliebig wenn es gesehen wurde, zum Kaffee Senf mit Löffeln und wollten schreiben, jeder auf seine Art und mit seinem Vermögen, dessen unterschiedliches Gewicht sich schon damals zeigte, was nicht dem unterschiedlichen Alter geschuldet war.
Der Gedanke, dass der eine als Journalist dem anderen als Dichter einmal post mortem öffentlich Kränze winden würde, der kam nicht vor. Aber es hätte ihm wohl gefallen, damals.