Personalnot im Gastgewerbe
Gewerkschaft kritisiert Niedriglöhne und fordert die Branche zum Kurswechsel auf
Erfurt. Auf die Corona-Krise ist endgültig das Fachkräfte-Dilemma gefolgt: Nach dem monatelangen Lockdown können die Thüringer Hotels und Gaststätten unter Auflagen wieder öffnen – sie finden aber häufig keine Mitarbeiter mehr. „Das Gastgewerbe ist personell ausgeblutet. Dringend gebrauchte qualifizierte Kräfte sind in andere Branchen abgewandert“, konstatiert Jens Löbel, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten
(NGG), Region Thüringen. Nachdem bis Juni 2020 innerhalb eines Jahres schon jeder neunte Beschäftigte die Branche im Freistaat verlassen hat, hätte sich durch den dann folgenden, mehr als siebenmonatigen Lockdown, der Fachkräftemangel nochmals zugespitzt. Tausende hätten dem Gastgewerbe den Rücken gekehrt, das teilweise einen Notstand beklagt.
Und Löbel sagt voraus: „Wenn die Branche nicht rasch gegensteuert, könnte der von vielen Menschen lang ersehnte Urlaub oder Restaurantbesuch
am fehlenden Personal scheitern.“Der Geschäftsführer macht für die Situation insbesondere die Einkommenseinbußen verantwortlich. Angesichts der niedrigen Löhne im Hotel- und Gaststättengewerbe kämen die Beschäftigten selbst mit 80 Prozent Kurzarbeitergeld, das ab dem siebten Bezugsmonat gezahlt werde, nicht über die Runden – und seien so fast gezwungen, sich umzuorientieren.
Löbel stellt fest: „Die Betriebe haben es versäumt, die Arbeitsbedingungen attraktiver zu gestalten. Das
Seite 16 rächt sich jetzt.“Die Menschen wieder für die Arbeit in der Küche, an der Rezeption oder im Service zu gewinnen, „ist eine Mammutaufgabe – und kann nur durch armutsfeste Löhne und bessere Arbeitsbedingungen gelingen“. In diesem Zusammenhang kritisiert er, dass eine größere Kette mit Hotels in mehreren Orten des Freistaats weiterhin Facharbeiter mit jahrelanger Berufserfahrung, Fremdsprachenkenntnissen und einer hohen Flexibilität für 9,50 Euro sucht.
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