Thüringer Allgemeine (Gotha)

So radikal ist Irans neuer Präsident

Nach der Wahl des ultrakonse­rvativen Hardliners Ebrahim Raeissi warnt Israel vor einem „Regime brutaler Henker“

- Von Gudrun Büscher und Dirk Hautkapp

Berlin/Washington/Teheran. Der Wahlsieger im Iran stand schon fest, bevor der erste Stimmzette­l in der Urne lag: Um sicherzuge­hen, hatte der Wächterrat alle ernst zu nehmenden Gegenkandi­daten bei der Präsidente­nwahl gar nicht erst zugelassen. Er siegte schon im ersten Durchgang. Der ultrakonse­rvative Kleriker und Hardliner Ebrahim Raeissi ist neuer iranischer Präsident. Wer ist dieser Mann mit dem schwarzen Turban? Und was bedeutet seine Wahl für die Atomverhan­dlungen?

„Wir werden das Abkommen respektier­en, die Bedingunge­n dafür stellen aber wir.“Ebrahim Raeissi,

Als Politiker hat sich der 60 Jahre alte Justizchef bisher nicht hervorgeta­n. Aber schon heute ist klar, dass er den moderaten Kurs seines Vorgängers Hassan Ruhani nicht fortsetzen wird. Ihm war Raeissi 2017 in der letzten Präsidente­nwahl noch unterlegen – damals hatten noch 70 Prozent der Iraner ihre Stimme abgegeben. Dieses Mal waren es nach offizielle­n Angaben weniger als 50 Prozent. Iranische Exilopposi­tionelle sprechen sogar von nur zehn Prozent. Das war ein klares Misstrauen­svotum gegen den Favoriten des politische­n Establishm­ents. Seine Auswahl durch den Wächterrat zeigte, dass er nicht nur Präsident bleiben soll, sondern wohl eines Tages auch Nachfolger des 82 Jahre alten Ajatollah Ali Khamenei, der schon lange als sein Förderer gilt. Raeissi war in den vergangene­n 30 Jahren Staatsanwa­lt, Richter und seit 2019 Chef der Justizbehö­rde. 1988 war er eines der vier Mitglieder der „Todeskommi­ssion“, die kurz vor dem Ende des Krieges mit dem Nachbarlan­d Irak Tausende Iraner hinrichten ließ. Als Justizchef ging er vor zwei Jahren mit großer Härte gegen zwei Protestwel­len vor. Menschenre­chtler kritisiere­n, dass der Iran weltweit zu den Staaten mit den meisten Hinrichtun­gen zählt.

Erst im August, wenn seine Vereidigun­g ansteht, könnte sein Kabimit nett Hinweise auf seinen eigenen Kurs geben. Das gilt besonders für die Posten des Außenminis­ters und des Chefunterh­ändlers für die Atomverhan­dlungen in Wien. Beide vertreten Iran in den Gesprächen. Raeissi selbst steht wegen Menschenre­chtsverlet­zungen auf der Sanktionsl­iste der EU und der USA.

Der designiert­e Präsident hatte den Vertrag früher oft scharf kritisiert, seine Position zuletzt etwas abgemilder­t. „Wir werden das Abkommen respektier­en, die Bedingunge­n dafür stellen aber wir, nicht die USA“, sagte er während des Wahlkampfs. Eine Verhärtung der Fronten erwarten Experten dagegen mit Blick auf Israel. „Ein Regime brutaler Henker darf niemals Massenvern­ichtungswa­ffen besitzen“, sagte Israels Ministerpr­äsident Naftali Bennett am Sonntag.

Trotzdem gingen nach Bekanntgab­e des Wahlsieges von Raeissi in Wien die Atomgesprä­che mit Teheran weiter. Der Vertrag, an dem 2015 neben dem Iran und den USA auch Russland, China, Großbritan­nien, Frankreich und Deutschlan­d mitgewirkt hatten, beschränkt Teherans Kapazitäte­n zum Bau von Nuklearwaf­fen. Dass die Gespräche am Sonntag fortgesetz­t wurden, ist Indiz dafür, dass der künftige iranische Präsident auch hier im Geleitzug Khameneis fährt. Er erhofft sich von einer Neuauflage des Deals unter Federführu­ng des US-Präsidente­n Joe Biden eine Aufhebung der Sanktionen, die den Iran wirtschaft­lichen strangulie­ren.

Über den konkreten Stand der Gespräche weiß man offiziell nichts. US-Kreise gehen jedoch davon aus, dass sich bis zur Amtseinfüh­rung Raeissis im August nun ein „enges Zeitfenste­r“geöffnet hat, um die Verhandlun­gen unterschri­ftsreif zu machen. Ein Entwurf soll bereits vorliegen. Dass die iranische Führung den Vertrag jetzt unter Dach und Fach bringen will, folgt aus Sicht von US-Analysten einer perfiden Strategie. Wenn das gelingt, was

erhebliche­n Zugeständn­issen Teherans verbunden wäre, aber die iranische Wirtschaft nicht sofort anspringt, könnten die Hardliner das noch den Gemäßigten der ausscheide­nden Regierung Ruhanis anhängen. Funktionie­rt eine Neuauflage des Abkommens jedoch aus iranischer Sicht, könnte das Duo Khamenei/Raeissi gestärkt werden.

Der Teufel bei den Verhandlun­gen steckt im Detail. Um das Abkommen wieder ins Werk zu setzen, verlangt der Iran eine schriftlic­he Erklärung, die keine künftige USRegierun­g wieder nichtig machen könnte – wie es Bidens Vorgänger Donald Trump gemacht hatte. Die US-Seite wird das nicht liefern können.

Die Biden-Regierung will wiederum Schwachste­llen des alten Abkommens korrigiere­n. Danach darf der Iran bisher ab dem Jahr 2030 atomwaffen­fähiges Uran herstellen. Es soll eine Verlängeru­ng in Richtung 2050 her.

Biden will zudem ein schärferes zweites Abkommen, das die Raketenpro­gramme Teherans einhegt und einen Verzicht auf terroristi­sche Aktivitäte­n im Nahen Osten festklopft. Sollten die Wirtschaft­ssanktione­n einmal gelockert sein, verlöre Biden den „entscheide­nden Hebel“, um die Mullahs zu Konzession­en zu bewegen. mit dpa

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FOTO: E. NOROOZI / DPA Ebrahim Raeissi, hier nach der Stimmabgab­e, ist neuer iranischer Präsident. Der Kleriker siegte bereits im ersten Wahlgang.

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