Thüringer Allgemeine (Gotha)

735 Abgeordnet­e: So riesig wird das neue XXL-Parlament

So viele Abgeordnet­e wie nie zuvor ziehen in den Bundestag ein. Die Volksvertr­etung wächst seit Jahren – so wie die Kritik

- Von Christian Unger

Berlin. Es ist wieder ein Rekord: Bevor der neue Bundestag zusammentr­itt, müssen die Hausmeiste­r des Parlaments 735 Sitze zu den Bänken im Reichstags­gebäude schrauben. Schon in der vergangene­n Wahlperiod­e hatte es die bis dahin höchste Zahl an Abgeordnet­en gegeben: 709. Seit 20 Jahren wächst der Bundestag.

Voraussich­tlich am 26. Oktober tritt der neue Bundestag erstmals zusammen. Er wird so riesig und teuer sein wie kein anderes westliches Parlament. Manche spotten schon, dass nur der Parteitag der Kommunisti­schen Partei Chinas gigantisch­er sei. Doch was lustig klingt, erntet scharfe Kritik. Per Gesetz darf der Bundestag nur 598 Mitglieder haben. Nun sollen es also 735 werden – viele fragen sich, wie teuer das wird. Und wie arbeitsfäh­ig dieses Parlament noch ist.

Aber warum steigt die Zahl der Mandatsträ­ger im Bundestag überhaupt so stark an? Das liegt am deutschen Wahlsystem: Die Zweitstimm­e auf dem Wahlzettel bestimmt den Anteil der Sitze im Parlament. Bekommt eine Partei 20 Prozent dieser Stimmen, soll sie auch 20 Prozent der Abgeordnet­en im Bundestag stellen. Doch gewinnt eine Politikeri­n mit der Erststimme ihren Wahlkreis, darf sie ebenfalls direkt einziehen.

Obwohl die großen Parteien insgesamt an Zustimmung verlieren, holen sie dennoch zahlreiche Direktmand­ate – mehr als ihnen nach Zweitstimm­en an Sitzanteil­en im Parlament zustehen. Es entstehen sogenannte Überhangma­ndate. Damit dadurch die von den Wählerinne­n und Wählern per Zweitstimm­e beschlosse­nen Mehrheitsv­erhältniss­e nicht durchbroch­en werden, gibt es für die anderen Parteien sogenannte Ausgleichs­mandate. Zu den einen zusätzlich­en Mandaten reihen sich die nächsten.

Noch etwas schlägt zu Buche: Die Linke schafft es nur auf 4,9 Prozent der Zweitstimm­en, gewinnt aber drei Wahlkreise direkt. Daher greift die sogenannte Grundmanda­tsklausel – wer drei Mandate in Wahlkreise­n direkt holt, für den gilt die Fünf-Prozent-Hürde nicht. Die Linke zieht mit 39 Abgeordnet­en in den Bundestag ein.

Der neue Riesen-Bundestag ist teuer. Schon das vergangene Parlament kostete die Steuerzahl­er laut Medienrech­erchen knapp eine Milliarde Euro – etwa im Jahr 2019. Rund die Hälfte dieser Kosten geht für die Diäten der Parlamenta­rierinnen und Parlamenta­rier drauf. Hinzu kommen unter anderem Bürokosten, Zuschüsse für Mieten, Dienstreis­en und Zuschüsse für Versicheru­ngen. Klar ist: Demokratie kostet – und daran sollte ein Staat nicht sparen. Auch das mit rund 10.000 Euro im Monat veranschla­gte Gehalt eines Abgeordnet­en erscheint hoch. Jedoch ist der Job im Parlament hart, die Tage oft lang, der Druck hoch. Zudem soll die Diät nicht zu gering sein, damit kluge Köpfe nicht abziehen in die Wirtschaft. Oder das Parlament anfälliger wird für Korruption.

Dennoch: Der Bund der Steuerzahl­er fordert eine Obergrenze von 500 Abgeordnet­en. „Schluss mit dem XXL-Bundestag als Dauerzusta­nd“, sagt Steuerzahl­erchef Reiner Holznagel. „Dazu braucht es eine umfassende Reform des Wahlrechts.“Doch genau diese Reform habe die Politik bisher ignoriert.

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