Wie Scholz die FDP in eine Koalition lotsen will
Der SPD fehlen für ein Bündnis der „Fortschrittsparteien“noch die Partner – die Grünen und Liberalen
Nach seinem Wahlsieg will Olaf Scholz zügig mit Grünen und FDP reden. Sondieren, verhandeln, koalieren. Mit einer Regierungsbildung bis Weihnachten. „Natürlich gibt es Kontakte“, verriet der SPDSpitzenkandidat am Montag. „Das werden wir in aller Ruhe und Klarheit vorantreiben.“
Reihenfolge, Realisierungschancen, Format und Zeitplan der Gespräche blieben ebenso unkonkret wie der Teilnehmerkreis. Scholz hat kein Ass im Ärmel. Der SPD-Politiker lässt sich von einfachen Überlegungen leiten.
Pragmatismus und Führungskunst Erstens: SPD, Grüne und FDP haben Stimmen gewonnen – Union, AfD und Linke verloren. Niemand könne an dem Votum der Wählerinnen und Wähler „ohne Schaden vorbeigehen“.
Zweitens: Für eine sozial-ökologisch-liberale Koalition müssten die Partner nicht bei null anfangen. Scholz erinnerte vor der Presse daran, dass seine Partei mit der FDP zwischen 1969 und 1982 „sehr erfolgreich“regiert habe – und mit den Grünen zwischen 1998 und 2005. „Wenn drei Parteien, die den Fortschritt am Beginn der 20er-Jahre im Blick haben, zusammenarbeiten, kann das etwas Gutes werden, selbst wenn sie dafür unterschiedliche Ausgangslagen haben.“
Nach Ansicht von Scholz sind Pragmatismus und Führungskunst gefragt. Zum Pragmatismus gehört, keine roten Linien zu ziehen; nicht zu sagen, was nicht geht. Scholz lieferte bloß Überschriften: mehr Respekt, industrielle Modernisierung, den von Menschen gemachten Klimawandel aufhalten. Zur Führungskunst gehört, jeden Anschein von Überheblichkeit zu vermeiden: keine Koch-Kellner-Attitüde, stattdessen das Versprechen von Augenhöhe. „Völlig okay“sei, dass Grüne und FDP sich untereinander abstimmen wollten; auch weil eine Regierung
auf Vertrauen aufbauen muss. Das muss man unabhängig von einem Koalitionsvertrag sehen und schon die Aufgaben mit bedenken, „die man am Anfang gar nicht erkennen kann“. Was er damit sagen will: Man kann wochenlang verhandeln und jedes Detail festlegen – und dann kommt eine Bankenkrise oder eine Pandemie. Da hilft nur, dass Partner einander vertrauen. „Ich möchte eine Regierung bilden, die auf Vertrauen beruht.“
Von seinen Anhängern erwartet Scholz, dass sie vom Wahlkampfmodus auf Kooperation umschalten und genauso wie er auf einen Erfolg der „Fortschrittsparteien“fokussiert sind. „Keiner will schuld sein, wenn wir das Momentum verlieren“, beschreibt einer aus der Führung die Stimmung in den Gremien.
Auf die Union ging der Wahlsieger von sich aus weder im Präsidium noch im Vorstand oder vor der Presse ein; ganz so, als sei für ihn klar, dass die Geschlossenheit am Wahlabend nicht von Dauer sein würde. Im Verlauf der Sitzung haben sich Führungsmitglieder gegenseitig Meldungen aus der Union auf ihren Handys gezeigt, aus denen hervorging, dass Spitzenkandidat Armin Laschet in den CDU-Gremien massiv in der Kritik stand. Vor Journalisten bemerkte Scholz, einige von ihnen seien bei der Union „embedded“. Der Begriff stammt von den US-Militärs aus dem ersten IrakKrieg und bedeutet, dass Kriegsberichterstatter einer kämpfenden Einheit zugewiesen werden – eine ironische Anspielung darauf, dass die Medien in der eigentlich internen Auseinandersetzung in der Union keine Zaungäste waren.
Nach dem Aufwachen hatte Scholz am Morgen am Handy mit Genugtuung festgestellt, dass sich über Nacht nichts verändert hatte. Er war immer noch Wahlsieger. „Und ich hab mich dann noch mal gefreut“, erzählte er. Von Euphorie war bei ihm ansonsten wenig zu spüren – umso mehr von einem in- formellen Machtzuwachs.
Scholz ist zwar formal immer noch Finanzminister, Vizekanzler und Spitzenkandidat, aber über Nacht hat er eine Macht dazuge- wonnen, die in keinem Statut gere- gelt wird: Alle richten sich schon nach ihm. Er wird gefragt, wer SPD- Vorsitzender – er will es nicht – wer- den soll und ob Rolf Mützenich Fraktionschef bleiben soll. Darf er. „Wir sind uns einig, dass der jetzige Fraktionsvorsitzende ein ganz tol- ler Mann ist“, sagte Scholz. Mehrere Auslandskorrespondenten richteten Fragen an ihn, auch um sein Englisch zu testen. Scholz hat über die Schulden der EU geredet, über den Brexit, den Ukraine-Konflikt, die Gas-Pipeline Nordstream 2 und das Verhältnis zu Russland. Im Grunde wurden ihm bereits Kanzlerfragen gestellt.
„Ich möchte eine Regierung bilden, die auf Vertrauen beruht.“Olaf Scholz,
Das Gesetz der Serie in Pinneberg Dabei ist er längst nicht im Amt. Die FDP hat eine Präferenz für Laschet. Bei den Grünen schauen viele Genossen argwöhnisch auf Parteichef Robert Habeck. Das Verhältnis zwi- schen beiden Parteien ist geprägt von Sympathie – und Konkurrenz- denken. Habeck ist jemand, dem Sozialdemokraten zutrauen, die SPD in die Schranken weisen zu wollen. Und so bleibt Scholz nur das Prinzip Hoffnung und das Ge- setz der Serie in Pinneberg.
Das ist der norddeutsche Wahl- kreis, der seit 68 Jahren immer von einem Bewerber geholt wird, des- sen Partei auch die Kanzlerin oder den Kanzler stellt. Am Sonntag ge- wann hier Ralf Stegner.
Ein Sozialdemokrat.