Eine verstohlene Träne
Das Nordhäuser Publikum berauscht sich an Gaëtano Donizettis „Liebestrank“
Nordhausen. Euphorisierten Beifall bekam die erste Nordhäuser Opernpremiere der neuen Saison, die bravouröse Belcanto-Komödie „L’Elisir d’Amore“. Zwar ließ die Inszenierung trotz hübscher Ausstattung vieles zu wünschen übrig, doch musikalisch legten die schleppend in Gang gekommenen Solisten und das anfangs recht instabile Loh-Orchester nach der Pause derart zu, dass der letzte Eindruck zählte. Dann, wenn sie Schwung hat, wirkt diese Musik Gaëtano Donizettis wie ein Rauschmittel.
Um gut ein Jahrhundert hat die Regie das ländliche Geschehen ins Italien der 1950er-Jahre verlegt. Links ein Holzstapel, rechts steht eine Steinbank, und im Hintergrund wölbt sich ein von roten Mohnblumen betupfter Grashügel (Bühne, Kostüme: Karel Spanhak). Unsterblich hat einer der Landleute, der schüchtern-naive Nemorino (Kyounghan Seo), sich in Adina (Amelie Petrich) verliebt, und die kesse Biene aus der Stadt – todschick in Jeans und Karohemd – ist dem tölpeligen Bauernbuben wohl zugetan. Doch macht der selbstgefällige Carabinieri-Sergeant Belcore (Philipp Franke) ihm Konkurrenz.
Der protzt mit der Uniform und kommt außerdem mit einer ferrariroten Vespa auf die Bühne – nicht etwa gebraust, sondern lässt sich samt dem offensichtlich defekten Vehikel von zwei Gehilfen anschieben. Das könnte ja komisch sein, wenn Regisseur Matthias Kitter aus dieser Idee perlenden Witz zu keltern verstünde. Aber durchgängig und zumal im 1. Akt hat Kitter nur handwerklich missratene Lauheiten parat, so spritzig wie abgestandener Prosecco.
Die Regie bringt die Bühnenakteure kaum in Bewegung
Statik dominiert: beim Frohsinn intonierenden Rumsteh-Chor ebenso wie beim unerfahrenen, schon durch räumliche Distanz verhinderten Liebespaar, dem kettenrauchenden Mitbewerber oder dem in Klischees ersaufenden Doktor Dulcamara (Thomas Kohl), dessen Wundersäfte scheinbar die Wendepunkte zum Glück herbeiführen. Wozu er diesen lächerlich hässlichen Gehilfen Amor benötigt, bleibt ein Rätsel. Kitters Personenführung entwickelt keinen Drive, seine Lichtregie erscheint wenig plausibel.
Nur ein paar wenige Momente fallen aus diesem Rahmen, etwa als die Nachricht von Nemorinos reichem Erbe den Damenchor in tänzelnde Wallung versetzt und er zum begehrtesten Junggesellen im Dorf avanciert. Schon hat der Bursche – „Una furtiva Lagrima“(eine verstohlene Träne) – mondsüchtig-melancholischen „Abschied genommen und ist die Tafel mit wuchtigen Pappmaché-Torten zu Belcores Hochzeit gedeckt, da nimmt die lange zwischen Keuschheit und Koketterie schwankende Adina das Heft in die Hand. Zum lieto fine verschwindet sie mit Nemorino im Liebesrausch unterm Blütenschirm einer Riesen-Mohnblume.
Die reizvolle Mohn-Metaphorik bleibt im Stückverlauf ziemlich unvorbereitet. Ursprünglich stammt die Pflanze ja aus Italien. Ritzt man die Kapsel, sondert sie eine „Träne“ab. Aus diesem getrockneten Saft wird Opium gewonnen, dem zu Donizettis
Lebzeiten die Kunstwelt eifrig zusprach. Den Nordhäuser „Liebestrank“hatte noch die allzu plötzlich verabschiedete Operndirektorin vorbereitet, bevor Kitter übernahm. Mag sein, dass die verstohlene eher eine gestohlene Träne war...
Bei Fabrizio Ventura liegt das Dirigat in seriösen Händen. Bis zum Scheitelpunkt des 1. Akts gestattet er sich zwar bräsige Tempi, doch dann gewinnt er an rossinihaft accelerierender Dynamik und das LohOrchester an Konturschärfe und inspirierterer Intonation. Kyounghan Seo singt den Nemorino diszipliniert, wirkt aber noch zu unsicher und unerfahren, um zu glänzen. Dieser Rohdiamant braucht Zeit. Amelie Petrich ist dagegen in ihrer Entwicklung viel weiter. Sie stiehlt allen anderen die Show, auch mit ihrer stimmlichen Agilität.
Ein Extralob verdient die Kostümschneiderei. Und obschon sich das Theater künstlerisch im Umbruch befindet, ist eine SchlafmohnTendenz sicher nicht zu befürchten.
Weitere Vorstellungen: 1., 10. und 22. Oktober, 20. und 28. November