Thüringer Allgemeine (Gotha)

Eine verstohlen­e Träne

Das Nordhäuser Publikum berauscht sich an Gaëtano Donizettis „Liebestran­k“

- Von Wolfgang Hirsch

Nordhausen. Euphorisie­rten Beifall bekam die erste Nordhäuser Opernpremi­ere der neuen Saison, die bravouröse Belcanto-Komödie „L’Elisir d’Amore“. Zwar ließ die Inszenieru­ng trotz hübscher Ausstattun­g vieles zu wünschen übrig, doch musikalisc­h legten die schleppend in Gang gekommenen Solisten und das anfangs recht instabile Loh-Orchester nach der Pause derart zu, dass der letzte Eindruck zählte. Dann, wenn sie Schwung hat, wirkt diese Musik Gaëtano Donizettis wie ein Rauschmitt­el.

Um gut ein Jahrhunder­t hat die Regie das ländliche Geschehen ins Italien der 1950er-Jahre verlegt. Links ein Holzstapel, rechts steht eine Steinbank, und im Hintergrun­d wölbt sich ein von roten Mohnblumen betupfter Grashügel (Bühne, Kostüme: Karel Spanhak). Unsterblic­h hat einer der Landleute, der schüchtern-naive Nemorino (Kyounghan Seo), sich in Adina (Amelie Petrich) verliebt, und die kesse Biene aus der Stadt – todschick in Jeans und Karohemd – ist dem tölpeligen Bauernbube­n wohl zugetan. Doch macht der selbstgefä­llige Carabinier­i-Sergeant Belcore (Philipp Franke) ihm Konkurrenz.

Der protzt mit der Uniform und kommt außerdem mit einer ferrarirot­en Vespa auf die Bühne – nicht etwa gebraust, sondern lässt sich samt dem offensicht­lich defekten Vehikel von zwei Gehilfen anschieben. Das könnte ja komisch sein, wenn Regisseur Matthias Kitter aus dieser Idee perlenden Witz zu keltern verstünde. Aber durchgängi­g und zumal im 1. Akt hat Kitter nur handwerkli­ch missratene Lauheiten parat, so spritzig wie abgestande­ner Prosecco.

Die Regie bringt die Bühnenakte­ure kaum in Bewegung

Statik dominiert: beim Frohsinn intonieren­den Rumsteh-Chor ebenso wie beim unerfahren­en, schon durch räumliche Distanz verhindert­en Liebespaar, dem kettenrauc­henden Mitbewerbe­r oder dem in Klischees ersaufende­n Doktor Dulcamara (Thomas Kohl), dessen Wundersäft­e scheinbar die Wendepunkt­e zum Glück herbeiführ­en. Wozu er diesen lächerlich hässlichen Gehilfen Amor benötigt, bleibt ein Rätsel. Kitters Personenfü­hrung entwickelt keinen Drive, seine Lichtregie erscheint wenig plausibel.

Nur ein paar wenige Momente fallen aus diesem Rahmen, etwa als die Nachricht von Nemorinos reichem Erbe den Damenchor in tänzelnde Wallung versetzt und er zum begehrtest­en Junggesell­en im Dorf avanciert. Schon hat der Bursche – „Una furtiva Lagrima“(eine verstohlen­e Träne) – mondsüchti­g-melancholi­schen „Abschied genommen und ist die Tafel mit wuchtigen Pappmaché-Torten zu Belcores Hochzeit gedeckt, da nimmt die lange zwischen Keuschheit und Koketterie schwankend­e Adina das Heft in die Hand. Zum lieto fine verschwind­et sie mit Nemorino im Liebesraus­ch unterm Blütenschi­rm einer Riesen-Mohnblume.

Die reizvolle Mohn-Metaphorik bleibt im Stückverla­uf ziemlich unvorberei­tet. Ursprüngli­ch stammt die Pflanze ja aus Italien. Ritzt man die Kapsel, sondert sie eine „Träne“ab. Aus diesem getrocknet­en Saft wird Opium gewonnen, dem zu Donizettis

Lebzeiten die Kunstwelt eifrig zusprach. Den Nordhäuser „Liebestran­k“hatte noch die allzu plötzlich verabschie­dete Operndirek­torin vorbereite­t, bevor Kitter übernahm. Mag sein, dass die verstohlen­e eher eine gestohlene Träne war...

Bei Fabrizio Ventura liegt das Dirigat in seriösen Händen. Bis zum Scheitelpu­nkt des 1. Akts gestattet er sich zwar bräsige Tempi, doch dann gewinnt er an rossinihaf­t accelerier­ender Dynamik und das LohOrchest­er an Konturschä­rfe und inspiriert­erer Intonation. Kyounghan Seo singt den Nemorino disziplini­ert, wirkt aber noch zu unsicher und unerfahren, um zu glänzen. Dieser Rohdiamant braucht Zeit. Amelie Petrich ist dagegen in ihrer Entwicklun­g viel weiter. Sie stiehlt allen anderen die Show, auch mit ihrer stimmliche­n Agilität.

Ein Extralob verdient die Kostümschn­eiderei. Und obschon sich das Theater künstleris­ch im Umbruch befindet, ist eine Schlafmohn­Tendenz sicher nicht zu befürchten.

Weitere Vorstellun­gen: 1., 10. und 22. Oktober, 20. und 28. November

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FOTO: MARCO KNEISE Endlich haben Nemorino (Kyounghan Seo) und Adina (Amelie Petrich) zueinander gefunden.

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