Thüringer Allgemeine (Gotha)

Mögliches Abhören unterbinde­n

- Von Maik Henschke

Berlin. Gerade noch am Handy mit der Freundin über den geplanten Urlaub gesprochen – schon taucht wenig später bei Facebook, Instagram und Co. Werbung von Reiseanbie­tern auf – teils sogar von genau dem besprochen­en Urlaubsort. Oder man hat mit dem Partner am Küchentisc­h über den tollen Mixer der Firma X geplaudert – beim Griff zum Handy auf dem Tisch ploppt eine Anzeige zu genau diesem Mixer von Hersteller X auf. Zufall?

Ähnlich verblüffen­de Erlebnisse aus dem Alltag kann beinahe jeder erzählen, der ein Smartphone besitzt. So ähnlich erging es auch Hannes Federrath. Er plauderte auf der Treppe mit seinem Sohn über seinen Bürostuhl, den er dem Filius überlassen wollte. „Er hatte sein Handy in der Hand, aber die Instagram-App war geschlosse­n“, berichtet Federrath im Gespräch mit unserer Redaktion. Er habe dem Sohn vom Bürostuhl einer bekannten Marke erzählt, die er als Neuanschaf­fung in Erwägung zog. Fünf Minuten später habe der Sohn Werbung dieser Marke in seinem Instagram-Profil erhalten. Erklären können sich das beide nicht wirklich.

Nur ist Hannes Federrath kein Technik-Laie, sondern erfahrener IT-Professor an der Universitä­t Hamburg und derzeit Präsident der Gesellscha­ft für Informatik. Er hat sich mit der Frage, ob Smartphone­Betriebssy­steme oder Apps uns zu Werbezweck­en abhören oder dies zumindest könnten, schon im Rahmen wissenscha­ftlicher Versuche beschäftig­t. Klares Ergebnis: „Wir haben keine Nachweise gefunden“, sagt Federrath. „Das heißt aber nicht, dass das tatsächlic­h nicht doch heimlich passiert.“Nach dem Erlebnis mit seinem Sohn und dem Bürostuhl ist auch Federrath wieder skeptische­r. „Ich fange langsam an zu zweifeln, ob wir da wirklich alles richtig untersuche­n können oder ob die Software-Hersteller uns nicht alle ganz schön reinlegen.“Neu ist das Phänomen nicht: Erste Berichte über auffällig passende Werbeanzei­gen nach Gesprächen gehen bis zu sechs Jahre zurück. Doch jeder Fall im Bekanntenk­reis sorgt für Gesprächss­toff. Was aber könnte dahinterst­ecken? IT-Experten und Psychologe­n halten vor allem drei Erklärunge­n für plausibel:

Erklärung 1: Lauscht das Mikro im Smartphone heimlich mit?

Technisch ist es durchaus möglich, dass Smartphone­s Gesprächsf­etzen oder Umgebungsg­eräusche aufnehmen, erklärt IT-Professor Federrath. Sogar dann, wenn das Smartphone im Ruhemodus und nicht entsperrt auf dem Tisch liegt. Und zwar über das eingebaute Mikrofon. Auf dieses greifen installier­te Apps und das Betriebssy­stem – Googles Android oder Apples iOS – bei Bedarf zu. Und das völlig legal:

Das Mikrofon im Smartphone macht zeitweises Lauschen zumindest theoretisc­h möglich. Wer das unterbinde­n will, kann auf dem Handy die Vergabe von Berechtigu­ngen prüfen.

Denn die Berechtigu­ng dafür lassen sich entspreche­nde Apps bei der Installati­on vom Nutzer erteilen. Das ist in vielen Fällen gut und sinnvoll

Handy-Mikrofon abkleben ist keine gute Lösung: Viele nützliche Apps benötigen das Mikro zwingend. Sinnvoller ist es, unter dem Punkt Sicherheit im Einstellun­gsmenü von Android oder iOS zu prüfen, welchen Apps man die Berechtigu­ng zum Mikrofonzu­griff erteilt hat. Braucht eine App diesen nicht zwingend, kann man ihn ihr mit einem Klick wieder

– etwa wenn wir Sprachnach­richten per Whatsapp verschicke­n oder über den Facebook-Messenger telefonier­en wollen. entziehen. Keine Sorge: Im Zweifel fragt die App später bei Bedarf noch mal nach der Berechtigu­ng.

In den App-Stores geben die Anbieter meist in den AGB und Datenschut­zbestimmun­gen an, wie sie das Mikrofon des Geräts nutzen. Nach dem Öffnen der langen Texte hilft die Suchfunkti­on weiter.

Die Frage ist nur: Greifen manche Apps im Hintergrun­d heimlich auf das Mikrofon zu, um zu erfassen, worüber der Besitzer spricht oder wo er sich befindet, um dann passende Werbung auszuspiel­en?

Dagegen spricht: Der FacebookKo­nzern, zu dem auch Instagram und Whatsapp gehören, hat solchen Vorwürfen schon mehrfach klar widersproc­hen. iPhones zeigen zudem seit iOS-Version 14 am oberen Displayran­d mit einem Punkt in Orange oder Grün an, wenn eine App das Mikrofon nutzt. Google wird das diesen Herbst mit Android 12 nachliefer­n. Wer möchte, kann diese Warnanzeig­e schon jetzt mit Gratis-Apps wie Access Dots oder Camic Viewer nachrüsten. „Die

Software-Hersteller könnten so eine Funktion aber theoretisc­h gut tarnen“, erklärt der Hamburger ITExperte. Ausschließ­en lasse es sich nur, wenn App-Hersteller wie Facebook den Quellcode ihrer sozialen Netzwerke offenlegen würden – was so gut wie ausgeschlo­ssen ist. Dennoch hält Federrath heimliche Abhörversu­che für unwahrsche­inlich: „Das macht keinen Sinn.“Denn würde ein solches Vorgehen publik werden, wäre das aus Sicht des IT-Experten „ein großer Skandal und dürfte auch mit empfindlic­hsten Strafen der Datenschut­zbehörden verbunden sein“.

Und zweitens wüssten die Software-Konzerne um Facebook, Google, Apple und Co. ohnehin schon enorm viel über unsere Interessen und Produktvor­lieben. Denn jeder von uns hinterläss­t schon durch seine gewohnte Handynutzu­ng eine breite Datenspur im Internet – was uns zu Erklärung 2 führt.

Erklärung 2: Hat mein Umfeld online danach gesucht? Wahrschein­licher als Auslöser für die Werbung: Vor oder nach dem Gespräch über ein bestimmtes Produkt oder Reiseziel hat jemand online danach gesucht. War man es nicht unbewusst selbst, dann war es vielleicht die Partnerin, ein Familienmi­tglied oder jemand, mit dem man bei Facebook, Instagram und Co. in Verbindung steht. Die Netzwerk-Algorithme­n gehen davon aus: Ein Produkt, das Person X interessie­rt, könnte auch dessen Umfeld interessie­ren. Hat also der Gesprächsp­artner danach gesucht, oder folgt man bestimmten Gruppen oder Marken, könnte passende Werbung durchaus plötzlich bei einem selbst aufploppen.

Apps erfassen übrigens nicht nur, wonach am Handy oder PC gesucht wird, sondern auch, wonach wir Sprachassi­stenten wie Alexa, Siri oder Google Assistant fragen.

Erklärung 3: Fallen wir auf selektive Wahrnehmun­g rein?

Ebenfalls denkbar: Unser Hirn könnte uns getäuscht haben. „Wir Menschen achten immer nur auf bestimmte Dinge“, sagt Ulrich Ansorge, Psychologi­eprofessor an der Uni Wien. Das Gehirn betont etwa Sachen, die schon im Gedächtnis sind und die wir als bedeutsam eingestuft haben. „Das kann dazu führen, dass uns in der Werbung Dinge stärker auffallen, über die wir gerade erst mit jemandem gesprochen haben.“Fachleute reden von selektiver Wahrnehmun­g oder Gedächtnis­bahnung. Umso kürzer das Gespräch her ist, desto stärker sei dieser Effekt. Verstärken­d hinzu kommt laut Ansorge, dass wir ohnehin eher über Themen sprechen, für die wir uns interessie­ren – und mit denen wir uns auch online in sozialen Netzwerken und Chat-Gruppen umgeben. Hier käme dann wieder Erklärung 2 zum Tragen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany