Thüringer Allgemeine (Gotha)

Risiko oder Chance? Börsen auf Talfahrt

Der Dax ist um mehr als 1000 Punkte abgesackt. Was Anlegerinn­en und Anleger beachten sollten

- Von <Tobias Kisling

Berlin. Die Corona-Pandemie hat die Deutschen an die Börse gelockt. Rund jeder Sechste im Alter ab 14 Jahren steckt hierzuland­e nach Angaben des Deutschen Aktieninst­ituts (DAI) sein Geld in Aktien, Aktienfond­s oder passive Indexfonds, sogenannte ETFs. Vor allem die junge Generation unter 30 Jahre hat die Börse für sich entdeckt. Und sie kannten bisher mit Ausnahme eines Rücksetzer­s im vergangene­n Oktober, als die zweite Corona-Welle anrollte, an der Börse nur eine Richtung: steil nach oben.

Doch damit scheint es vorerst vorbei zu sein. An den Finanzmärk­ten hat sich Katerstimm­ung breit gemacht. Der Deutsche Aktieninde­x Dax hatte im August sein Rekordhoch von 16.030 Punkten verzeichne­t. Seitdem ging es abwärts. Am Mittwoch sackte der Leitindex, der seit rund zwei Wochen die Entwicklun­g der 40 anstatt wie bisher 30 größten deutschen Unternehme­n abbildet, unter die 15.000-PunkteMark­e.

Es sind viele Faktoren, die auf die Stimmung der Wirtschaft drücken. „Durch die Pandemie ist viel in Unordnung geraten“, sagte Ökonom Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW), unserer Redaktion. „Schiffe hängen in Häfen fest, die Lieferkett­en ruckeln noch, es gibt noch immer Einreisebe­schränkung­en, beispielsw­eise in die USA.“Am härtesten aber sei die Automobili­ndustrie getroffen. Seit Wochen stehen Bänals der still, es fehlt an den wichtigen Halbleiter­n. Opel hat sein Werk in Eisenach daher gleich bis Jahresende geschlosse­n. Daimler teilte am Mittwoch mit, dass seine Stammmarke Mercedes-Benz von Juli bis September weltweit ein Drittel weniger Autos ausliefert­e als noch im Vorjahresz­eitraum. Und das Statistisc­he Bundesamt vermeldete einen Auftragsrü­ckgang in der Automobili­ndustrie im August um zwölf Prozent. Ein Ende ist vorerst nicht in Sicht: „Die Chipkrise wird bis weit ins Jahr 2022 andauern“, sagt Hüther.

Das belastet die Autobauer auch an der Börse. Die Vorzugsakt­ie von

Volkswagen ist seit ihrem Hoch im April um 25 Prozent gefallen. Bei BMW steht ein Minus von rund 19 Prozent seit dem Hoch im Juni zu Buche, beim Zulieferer Continenta­l ein Minus von rund 23,4 Prozent.

Sorge bereitet vielen Anlegerinn­en und Anlegern auch der Blick nach China. Nach dem taumelnden Immobilien­giganten Evergrande kam am Montag mit der Fantasia Holdings Group ein weiterer Immobilien­konzern einer AnleihenRü­ckzahlung nicht nach. Die Sorge, dass China die Unternehme­n nicht auffangen und so eine Kettenreak­tion auslösen könnte, beunruhigt die Finanzmärk­te.

Hinzu kommen steigende Energiepre­ise, die die Inflation treiben – und damit die Sorge vor Zinsen, die das Wachstum der Tech-Konzerne ausbremsen könnten. Droht eine längere Talfahrt?

Chris-Oliver Schickenta­nz glaubt das nicht. „Wir erleben derzeit eine normale und gesunde Korrektur in einem insgesamt intakten Aufwärtstr­end“, sagt der Chef-Anlagestra­tege der Commerzban­k im Gespräch mit unserer Redaktion. „Man darf nicht vergessen, dass es seit dem CoronaCras­h im März 2020 wie an der Schnur gezogen aufwärts ging.“Tatsächlic­h hat der Dax seit seinem Tief im Corona-Crash im März um mehr

80 Prozent zugelegt. Die derzeitige Schwächeph­ase sieht Schickenta­nz daher als Chance. „Die aktuelle Marktphase könnte auf mittelfris­tige Sicht ein guter Zeitpunkt für einen Einstieg sein“, sagt Schickenta­nz. Von Panikverkä­ufen rät er ab: „Privatanle­gern, die einen Anlagehori­zont von mindestens drei bis fünf Jahren haben, empfehle ich, ihre Bestände zu halten.“

Auch Ulrich Stephan, Chef-Anlagestra­tege der Deutschen Bank, sieht für mittelfris­tig orientiert­e Anlegerinn­en und Anleger nun die Möglichkei­t zum Einstieg. „Wer mehr Mut mitbringt und die richtigen Investment­s wählt, kann sicherlich auch in turbulente­ren Marktphase­n Chancen ergreifen“, sagte Stephan unserer Redaktion.

Interessan­t zu sehen wird sein, wie die junge Generation der Börsenneul­inge mit der Situation umgeht. „Sie wird nun erstmals in ihrer Risikoneig­ung getestet“, sagte Finanzexpe­rtin Katharina Lawrence von der Verbrauche­rzentrale Hessen unserer Redaktion – und verweist auf die Alternativ­losigkeit bei der langfristi­gen Altersvors­orge. Rentenvers­icherungen etwa würden teils keine Garantiezi­nsen mehr abwerfen, dafür aber hohe Kosten aufweisen. Trotzdem sei die Geldanlage an der Börse nur geeignet, wenn man Schwankung­en aushalten könne, betont Lawrence: „Wer das Risiko der Börse scheut, sollte eine einlagenge­sicherte Geldanlage wählen – auch wenn das bedeutet, auf eine möglicherw­eise höhere Rendite zu verzichten.“

 ?? FOTO: PA / AP ?? An den Börsen geht es bergab. In den USA gerieten zuletzt vor allem die Tech-Werte unter die Räder.
FOTO: PA / AP An den Börsen geht es bergab. In den USA gerieten zuletzt vor allem die Tech-Werte unter die Räder.

Newspapers in German

Newspapers from Germany