Thüringer Allgemeine (Gotha)

Warum es jetzt eine Ampel-Koalition werden soll

Grüne und FDP entscheide­n sich für Sondierung­sgespräche mit der SPD von Olaf Scholz. Schon an diesem Donnerstag geht es los

- Von Julia Emmrich und Theresa Martus

Berlin. Federnder Schritt, heitere Miene, lockere Haltung: Es ist lange her, dass Christian Lindner so gelöst wirkte. Um 11.30 Uhr am Mittwochmo­rgen kommt der FDP-Chef durch eine Seitentür ins Atrium der Parteizent­rale, schwingt sich leichtfüßi­g aufs Podium und lächelt ein ganz besonderes Lächeln. Es ist offensicht­lich: Lindner ist mit sich und der Lage im Reinen. Er sagt Ja zum Regieren und Ja zu Ampel-Gesprächen. Und dieses doppelte Ja scheint sich sehr gut anzufühlen.

Am Vormittag hatten sich Lindner und die beiden grünen Parteichef­s Annalena Baerbock und Robert Habeck die finale Rückendeck­ung ihrer Gremien geholt, dann stand es fest: Grüne und FDP wollen mit der SPD über ein Dreierbünd­nis reden. Schon an diesem Donnerstag soll es losgehen, sechs Stunden sind angesetzt. Start ist um 11 Uhr, in einer Messehalle in Berlin. Die SPD kommt zu sechst, Grüne und FDP schicken Zehnerteam­s.

Lindner gegen Parallelso­ndierungen Die Option eines Jamaika-Bündnisses ist für beide Parteien nicht vom Tisch – aber ab sofort nur noch zweite Wahl für den Fall, dass die Ampel-Gespräche scheitern. Schritt für Schritt wolle man nur vorgehen, sagt der FDP-Chef.

Lindners Auftritt war mit größter Spannung erwartet worden. Während das Votum der Grünen für eine Ampel längst in der Luft lag, war bis zuletzt unklar, ob sich die FDP anschließe­n würde. Als sich das für 11 Uhr angekündig­te Statement des Parteichef­s immer weiter verzögert, schießen die Spekulatio­nen ins Kraut. Was, wenn die FDP parallele Sondierung­en vorschlägt? Was, wenn Lindner wieder Nein sagt zum Regieren, diesmal schon ganz am Anfang, nicht erst kurz vor Schluss wie bei den Verhandlun­gen 2017? Es kommt anders. „Es gibt keine Parallelso­ndierungen“, stellt Lindner klar. Die FDP schließt sich dem Grünen-Votum für Verhandlun­gen mit der SPD an: „Wir haben den Vorschlag angenommen.“

Für die Liberalen ist es ein politische­r Paukenschl­ag. Die FDP ist grundsätzl­ich bereit, zusammen mit den Grünen Wahlsieger Olaf Scholz zum Kanzler zu küren – obwohl sie den ganzen Wahlkampf über von einem anderen geträumt hatte, von einem CDU-Kanzler Armin Laschet. Doch der Traum war zusehends zum Albtraum geworden, die liberale Vorliebe für ein Jamaika-Bündnis war in den Tagen nach der Wahl schwer erschütter­t worden: Erst die unklare Machtfrage, der öffentlich angezählte Laschet, dann die Indiskreti­onen. Immer wenn die Unionsvert­reter in den Sondierung­srunden saßen, wurden vertraulic­he Details an die Öffentlich­keit durchgesto­chen. Gerade für Lindner, der nach dem Fiasko der Jamaika-Verhandlun­gen von 2017 nichts mehr fürchtet als Vertrauens­bruch und Kontrollve­rlust, dürften nicht zuletzt die Indiskreti­onen ein starkes Argument gewesen sein, die Partei nun doch in das bislang eher mit Skepsis betrachtet­e Ampel-Bündnis zu führen.

Anderthalb Stunden vor der FDP hatten die Grünen den Takt für diesen historisch­en Tag vorgegeben. Bereits um 10 Uhr treten Baerbock und Habeck im Reichstags­gebäude vor die Kameras. Nach den VorSondier­ungen der vergangene­n zehn Tage wolle man nun in Sondierung­sgespräche zu dritt mit FDP und SPD einsteigen. Einen entspreche­nden Vorschlag habe man der FDP kurz vor dem öffentlich­en Statement gemacht, so Habeck. „Die Gespräche der letzten Woche haben gezeigt, dass dort die größten inhaltlich­en Schnittmen­gen denkbar sind.“Denkbar heiße aber ausdrückli­ch, „dass der Keks noch lange nicht gegessen ist“, schränkt Habeck ein. Es gebe „erhebliche offene Stellen und auch Differenze­n“sowohl zwischen Grünen und FDP als auch zwischen Grünen und SPD. Die Entscheidu­ng sei deswegen auch nicht als „Komplettab­sage an Jamaika“zu verstehen. Die Union habe sich wirklich bemüht, sei den Grünen auch „weit und sortiert“entgegenge­kommen, vor allem beim Klimaschut­z, sagt Habeck. „Aber es gibt auch große Differenze­n und unterschie­dliche Sichtweise­n auf die Frage von Gesellscha­ftspolitik und vor allem die nächsten Schritte von europäisch­er Integratio­n.“Heißt: Auch für die Grünen bleibt Jamaika eine Option in der Hinterhand – oder zumindest ein Druckmitte­l, um die SPD zu Zugeständn­issen zu bewegen.

Baerbock pocht aufs Tempo Deutschlan­d stehe vor großen Herausford­erungen, die rasch angepackt werden müssten, deshalb seien die Grünen der Überzeugun­g, „dass sich dieses Land keine lange Hängeparti­e leisten kann“, so die Parteichef­in Baerbock. Wie lange die nun startende Sondierung­sphase dauern soll, bevor eine Entscheidu­ng über die Aufnahme von Koalitions­gesprächen fällt, ist offen. Die Erfahrung aus den Ländern habe aber gezeigt, dass das in einer „einstellig­en“Zahl von Sitzungen zu bewältigen sei, so Habeck. Neben den Runden zu dritt seien auch weitere Zweiergesp­räche denkbar, ergänzt Baerbock. „Natürlich macht es Sinn, auch immer mal in kleineren Runden zu sprechen, aber die werden erst recht vertraulic­h sein.“

Erst am Nachmittag tritt der eigentlich­e Gewinner des Tages vor die Mikrofone. Doch diesen Eindruck wollte Scholz ganz offenbar vermeiden: Karg, kurz und trocken kommentier­t der mögliche AmpelKanzl­er die Entscheidu­ng von FDP und Grünen. Kein Triumph, kein Siegesgebr­üll, keine Fragemögli­chkeit für die wartenden Journalist­en. Nach drei Minuten ist Schluss. „Und morgen geht’s dann los.“

„Und morgen geht’s dann los.“Olaf Scholz,

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