Thüringer Allgemeine (Gotha)

„Viele sind zu schnell satt“

Olympiasie­gerin Kati Wilhelm über die Nachwuchsp­robleme im Biathlon und ihr Talente-Camp

- Von Marco Alles

Oberhof. Zum achten Mal lädt Kati Wilhelm die größten Biathlon-Talente Deutschlan­ds zum Trainingsc­amp nach Oberhof. Über ihr Herzenspro­jekt sprachen wir mit der 45-Jährigen ebenso wie über die Situation im Nachwuchs und den bevorstehe­nden Olympia-Winter.

Restaurant-Chefin, Fernseh-Expertin, Botschafte­rin für soziale Projekte, Familien-Managerin: Es verblüfft schon, wie Sie das alles unter einen Hut bekommen. Woher nehmen Sie die Zeit, auch noch das „KatiCamp“zu organisier­en?

Das mache ich ja nicht alleine, sondern habe eine Mitarbeite­rin, die mir viele Dinge abnimmt. Ansonsten würde ich es gar nicht schaffen. An den drei Tagen sind wir dann auch ein ganzes Team in Oberhof, das sich um die Jugendlich­en kümmert. Unter anderem konnte ich Axel Teichmann für die Laufeinhei­ten in der Skihalle gewinnen und Peter Sendel für das Schießtrai­ning. Insgesamt ist das Camp sogar umfangreic­her als in den Jahren zuvor.

Im Juni 2019 fand die letzte Veranstalt­ung statt. Dann folgte coronabedi­ngt eine fast zweieinhal­bjährige Zwangspaus­e. Wie schwer war die Wiederbele­bung?

Einfach war es nicht, weil ich einen neuen Werbepartn­er („Hylo“) finden musste, um alles finanziell abzusicher­n. Die Motivation aber ist nie gesunken; das Camp ist eine Herzensang­elegenheit von mir. Ich will dem Biathlon etwas zurückgebe­n, dem Nachwuchs Tipps mit auf den Weg geben. Mittlerwei­le ist auch der Deutsche Skiverband involviert. Auch dort weiß man ja, dass einiges im Argen liegt.

Was machen die Norweger oder Franzosen besser, bei denen immer wieder junge Biathleten im Weltcup für Furore sorgen?

Einerseits haben wir ein Generation­sproblem. Viele junge Athleten sind, meiner Meinung nach, zu schnell satt. Ihnen reicht oftmals der Kaderstatu­s, ein schickes Auto und ein paar tausend Follower auf Instagram. An die berühmte „Kotzgrenze“im Training gehen die wenigsten noch – oder zu selten. Anderersei­ts steckt der Fehler im System. In Deutschlan­d wurde bislang oft zu kurz gedacht. Bei der Förderung zählten immer nur die Ergebnisse des aktuellen Jahres. Dabei müsste es doch eigentlich um einen individuel­l angelegten, langfristi­gen Aufbau gehen. Mit dem Ziel, irgendwann einmal Olympiasie­ger zu werden.

Hat ein Umdenken eingesetzt?

Ich denke, es wurde zumindest erkannt, dass sich etwas ändern muss. Mit Zibi Szlufcik haben wir einen Bundestrai­ner, der ausschließ­lich für den Nachwuchs verantwort­lich zeichnet. Er wird am Wochenende auch in Oberhof dabei sein. Doch von heute auf morgen kann sich nichts verbessern. Das verlangt einen längeren Prozess. Noch sehe ich kein Licht am Ende des Tunnels.

Dürfen sich die Fans Hoffnungen machen, dass Ihre Kinder in die Fußstapfen der Mama treten?

Das ist noch zu früh; Lotta wird jetzt zehn. Aber sie hat sportliche­s Talent. Bei unserem Ski-Club in Steinbach-Hallenberg sichere ich einmal wöchentlic­h das Lauftraini­ng bei den Nordischen Kombiniere­rn ab. Da ist sie ziemlich flott unterwegs, hat auch eine gute Technik. Und sie springt schon von der 30-Meter-Schanze. Jakob rennt und springt lieber noch für sich umher. Aber er ist ja erst sieben – und Hauptsache in Bewegung.

Vor den deutschen Biathleten steht die erste Saison ohne Olympiasie­ger Arnd Peiffer. Wie sehr schmälert dies die Erfolgsaus­sichten? Die Lücke, die er hinterläss­t, ist natürlich groß. Arnd war über Jahre ein Erfolgsgar­ant und eine Persönlich­keit auch abseits der Strecken. Wenn ich überlege, er ist sogar noch mit mir gelaufen. Wie lange das her ist… Zu ersetzen wird er nicht sein, auch wenn Benni Doll und Erik Lesser in der Lage sind, punktuell Top-Ergebnisse zu bringen.

Bei den nationalen Skiroller-Meistersch­aften vor vier Wochen am Arber haben beispielsw­eise mit Marco Groß, Johannes Donhauser oder auch Danilo Riethmülle­r Athleten aus der zweiten Reihe auf sich aufmerksam gemacht. Erwarten Sie einen Umbruch im Team?

Ich glaube nicht, dass sie jetzt den Weltcup aufmischen werden. Es wird wieder auf Benni und Erik ankommen; wie bei den Frauen auf Denise Herrmann und Franziska Preuß, die bis zum Saisonstar­t hoffentlic­h ihre Form findet. Aber immer wenn jemand aufhört, bietet sich eine Chance für diejenigen, die bisher hinten dran waren. Ich bin gespannt, wer sie bei den Männern nutzt. Vielleicht Philipp Horn nach seinem verkorkste­n letzten Jahr.

Wie realistisc­h sind olympische Medaillen in Peking?

In den Staffeln ist immer etwas möglich. Und eine Einzelmeda­ille kann auch immer befreiend für eine gesamte Mannschaft wirken. Doch Grund für Euphorie besteht sicher nicht. Die Favoriten sind andere.

Einen Favoritens­ieg landete Frank Ullrich auf politische­m Terrain. Er verglich seine Wahl in den Bundestag mit einem Olympiasie­g. Was sagen Sie zur zweiten Karriere des einstigen Bundestrai­ners?

Ihm muss ja ziemlich langweilig gewesen sein… (lacht). Nein im Ernst: Ich denke, mit der knapp verlorenen Landtagswa­hl wurde sein Ehrgeiz erst so richtig geweckt. Da ist er eben noch ganz der Leistungss­portler. Und dass er uns jetzt in Berlin vertritt, kann für die Südthüring­er Region und den Sport nur gut sein.

 ?? FOTO: SUSANN EBERLEIN ?? Tipps von der Meisterin: Kati Wilhelm beim jüngsten Talente-Camp im Juni 2019 in der Oberhofer Arena.
FOTO: SUSANN EBERLEIN Tipps von der Meisterin: Kati Wilhelm beim jüngsten Talente-Camp im Juni 2019 in der Oberhofer Arena.

Newspapers in German

Newspapers from Germany