Rekordzahlen an offenen Stellen
Die Chancen auf dem Thüringer Arbeitsmarkt sind so gut wie nie. Doch junge Absolventen zieht es eher in Ballungsräume und große Städte
Erfurt. Das Vorhaben ist ehrgeizig: für Thüringer Unternehmen Fachkräfte sowie geeignete Bewerber für Ausbildung oder Praktika finden. Führungskräfte sollen von einer Tätigkeit in Thüringen überzeugt werden, bevor sie sich für Jobs in Metropolen wie München, Hamburg oder Frankfurt entscheiden. Seit gut 15 Jahren betreibt die Thüringer Agentur für Fachkräftegewinnung (ThAFF) eine Stellenbörse. Diesen Sommer sind die Zahlen der offenen Stellen explodiert. Dennoch lockt es gerade Studenten weiter in die großen Ballungsregionen.
Derzeit bietet die ThAFF etwa 10.500 offene Stellen an. Üblich waren bisher zwischen 3000 und 3500, sagt Teamleiter Andreas Knuhr. Mit den Jobangeboten sollen gezielt Pendler und potenzielle Rückkehrer angesprochen werden, aber auch Hochschulabsolventen und ausländische Fachkräfte. Klar sei: Der Job, die Bezahlung sowie das Umfeld müssten passen, sagt Knuhr. Da habe Thüringen aufgeholt. Der Freistaat sei nicht mehr Billiglohnland, der Lohn habe sich in vielen Bereichen den alten Bundesländern angeglichen. Häufig seien jedoch die großen Leuchttürme wie Berlin oder Leipzig sowie große Firmen bei jungen Absolventen gefragter, so Knuhr: „Kleinere Unternehmen sind häufig unterrepräsentiert.“Die politischen Verhältnisse im Freistaat spielten hingegen für Bewerber keine Rolle.
Zwei von drei Unternehmen sehen im Fachkräftemangel größtes Risiko Die Lageeinschätzung der IHK Erfurt verdeutlicht die prekäre Situation. Zwei von drei Unternehmen würden den Fachkräftemangel inzwischen als größtes Risiko für ihre Entwicklung sehen. Im Frühjahr war es nur gut die Hälfte. Wenn qualifiziertes Personal fehle, könne es zu einer Mehrbelastung der Belegschaft und zur Ablehnung von Aufträgen kommen, sagt IHK-Hauptgeschäftsführerin
Cornelia HaaseLerch. Die brenzlige Lage auf dem Thüringer Arbeitsmarkt zeigen die Zahlen der zuständigen Agentur für Arbeit in Halle. Im Oktober waren dort 22.911 offene Stellen für den Freistaat registriert, ein Drittel mehr als vor einem Jahr. Zudem ist inzwischen ein Viertel der Beschäftigten 55 Jahre und älter. Vor zehn Jahren lag der Anteil dieser Generation noch bei 17,2 Prozent.
Bei jungen Studienabsolventen hat es der Standort Thüringen nicht leicht. Das kann Ute Schönfelder von der Pressestelle der FriedrichSchiller-Universität Jena bestätigen: „Für junge Absolventen und Berufseinsteiger sind Städte wie Leipzig oder Berlin oft interessanter.“Zudem scheint die politische Entwicklung im Freistaat zumindest auf die Bewerberzahlen einen Einfluss zu haben. Die Anzahl der Studierenden
aus westdeutschen Bundesländern sei mit einem Anteil von 40,9 Prozent im Wintersemester 2015/2016 und 37,3 Prozent im Wintersemester 2020/2021 rückläufig. Hierbei zeichne sich ein Trend ab, sagt Schönfelder.
Es müsse beobachtet werden, ob das Ansehen der ostdeutschen Studienorte wegen des hohen Anteils an AfD-Wählern gelitten habe, sagt Schönfelder: „Unter den Studierenden aus anderen Bundesländern ist es ein Gesprächsthema. Sie werden von Freunden und Familien zuhause darauf angesprochen.“
Kleinere Unternehmen bei Absolventen wenig präsent
Auch an der Universität Erfurt sei ein Rückgang von Studienanfängern aus den alten Bundesländern von 369 im Jahr 2019 auf 223 dieses Jahr zu verzeichnen, informiert Carmen
Voigt, Leiterin der Hochschulkommunikation Erfurt. Diesen Trend bestätigt auch Bettina Wegner von der Pressestelle der Universität Ilmenau: „In persönlichen Gesprächen wird diese Entscheidung oft mit den regionalen Ergebnissen der Bundestagswahl 2021 und dem Erstarken der AfD in den neuen Ländern in Verbindung gebracht.“
Die Zahl der Studierenden an der Universität Ilmenau aus den alten Bundesländern fällt vom Wintersemester 2018/2019 von 2417 auf 1728 im Wintersemester 2020/21. Problematisch für einen Verbleib von jungen Absolventen sei zudem eine zu geringe Präsenz der Thüringer Arbeitgeber bei den Studierenden, sagt Wegner. Bei den Studienabsolventen stünden überregional bekannte Unternehmen im Fokus, die Unternehmen vor Ort jedoch kaum.