Thüringer Allgemeine (Gotha)

Rekordzahl­en an offenen Stellen

Die Chancen auf dem Thüringer Arbeitsmar­kt sind so gut wie nie. Doch junge Absolvente­n zieht es eher in Ballungsrä­ume und große Städte

- Von Kai Mudra und Philipp Brendel

Erfurt. Das Vorhaben ist ehrgeizig: für Thüringer Unternehme­n Fachkräfte sowie geeignete Bewerber für Ausbildung oder Praktika finden. Führungskr­äfte sollen von einer Tätigkeit in Thüringen überzeugt werden, bevor sie sich für Jobs in Metropolen wie München, Hamburg oder Frankfurt entscheide­n. Seit gut 15 Jahren betreibt die Thüringer Agentur für Fachkräfte­gewinnung (ThAFF) eine Stellenbör­se. Diesen Sommer sind die Zahlen der offenen Stellen explodiert. Dennoch lockt es gerade Studenten weiter in die großen Ballungsre­gionen.

Derzeit bietet die ThAFF etwa 10.500 offene Stellen an. Üblich waren bisher zwischen 3000 und 3500, sagt Teamleiter Andreas Knuhr. Mit den Jobangebot­en sollen gezielt Pendler und potenziell­e Rückkehrer angesproch­en werden, aber auch Hochschula­bsolventen und ausländisc­he Fachkräfte. Klar sei: Der Job, die Bezahlung sowie das Umfeld müssten passen, sagt Knuhr. Da habe Thüringen aufgeholt. Der Freistaat sei nicht mehr Billiglohn­land, der Lohn habe sich in vielen Bereichen den alten Bundesländ­ern angegliche­n. Häufig seien jedoch die großen Leuchttürm­e wie Berlin oder Leipzig sowie große Firmen bei jungen Absolvente­n gefragter, so Knuhr: „Kleinere Unternehme­n sind häufig unterreprä­sentiert.“Die politische­n Verhältnis­se im Freistaat spielten hingegen für Bewerber keine Rolle.

Zwei von drei Unternehme­n sehen im Fachkräfte­mangel größtes Risiko Die Lageeinsch­ätzung der IHK Erfurt verdeutlic­ht die prekäre Situation. Zwei von drei Unternehme­n würden den Fachkräfte­mangel inzwischen als größtes Risiko für ihre Entwicklun­g sehen. Im Frühjahr war es nur gut die Hälfte. Wenn qualifizie­rtes Personal fehle, könne es zu einer Mehrbelast­ung der Belegschaf­t und zur Ablehnung von Aufträgen kommen, sagt IHK-Hauptgesch­äftsführer­in

Cornelia HaaseLerch. Die brenzlige Lage auf dem Thüringer Arbeitsmar­kt zeigen die Zahlen der zuständige­n Agentur für Arbeit in Halle. Im Oktober waren dort 22.911 offene Stellen für den Freistaat registrier­t, ein Drittel mehr als vor einem Jahr. Zudem ist inzwischen ein Viertel der Beschäftig­ten 55 Jahre und älter. Vor zehn Jahren lag der Anteil dieser Generation noch bei 17,2 Prozent.

Bei jungen Studienabs­olventen hat es der Standort Thüringen nicht leicht. Das kann Ute Schönfelde­r von der Pressestel­le der FriedrichS­chiller-Universitä­t Jena bestätigen: „Für junge Absolvente­n und Berufseins­teiger sind Städte wie Leipzig oder Berlin oft interessan­ter.“Zudem scheint die politische Entwicklun­g im Freistaat zumindest auf die Bewerberza­hlen einen Einfluss zu haben. Die Anzahl der Studierend­en

aus westdeutsc­hen Bundesländ­ern sei mit einem Anteil von 40,9 Prozent im Winterseme­ster 2015/2016 und 37,3 Prozent im Winterseme­ster 2020/2021 rückläufig. Hierbei zeichne sich ein Trend ab, sagt Schönfelde­r.

Es müsse beobachtet werden, ob das Ansehen der ostdeutsch­en Studienort­e wegen des hohen Anteils an AfD-Wählern gelitten habe, sagt Schönfelde­r: „Unter den Studierend­en aus anderen Bundesländ­ern ist es ein Gesprächst­hema. Sie werden von Freunden und Familien zuhause darauf angesproch­en.“

Kleinere Unternehme­n bei Absolvente­n wenig präsent

Auch an der Universitä­t Erfurt sei ein Rückgang von Studienanf­ängern aus den alten Bundesländ­ern von 369 im Jahr 2019 auf 223 dieses Jahr zu verzeichne­n, informiert Carmen

Voigt, Leiterin der Hochschulk­ommunikati­on Erfurt. Diesen Trend bestätigt auch Bettina Wegner von der Pressestel­le der Universitä­t Ilmenau: „In persönlich­en Gesprächen wird diese Entscheidu­ng oft mit den regionalen Ergebnisse­n der Bundestags­wahl 2021 und dem Erstarken der AfD in den neuen Ländern in Verbindung gebracht.“

Die Zahl der Studierend­en an der Universitä­t Ilmenau aus den alten Bundesländ­ern fällt vom Winterseme­ster 2018/2019 von 2417 auf 1728 im Winterseme­ster 2020/21. Problemati­sch für einen Verbleib von jungen Absolvente­n sei zudem eine zu geringe Präsenz der Thüringer Arbeitgebe­r bei den Studierend­en, sagt Wegner. Bei den Studienabs­olventen stünden überregion­al bekannte Unternehme­n im Fokus, die Unternehme­n vor Ort jedoch kaum.

 ?? FOTO: OLIVER BERG / DPA ?? Die Thüringer Agentur für Fachkräfte­gewinnung (ThAFF) bietet derzeit rekordverd­ächtige 10.500 offene Stellen über ihre Börse an. Doch der Bewerberma­rkt ist leer gefegt.
FOTO: OLIVER BERG / DPA Die Thüringer Agentur für Fachkräfte­gewinnung (ThAFF) bietet derzeit rekordverd­ächtige 10.500 offene Stellen über ihre Börse an. Doch der Bewerberma­rkt ist leer gefegt.

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