Thüringer Allgemeine (Gotha)

Wie kann die EU Lukaschenk­o stoppen?

An Polens Grenze spitzt sich die Flüchtling­skrise weiter zu. Maas droht Airlines mit Entzug von Landerecht­en

- Von Christian Kerl und Flora Hallmann

Brüssel/Berlin. Gefährlich­er Zwischenfa­ll an der polnisch-belarussis­chen Grenze: Belarussis­che Soldaten haben einen von Polen errichtete­n provisoris­chen Grenzzaun in der Nähe des Übergangs Podlachien gewaltsam geöffnet, um eine Gruppe von rund 100 Migranten auf polnisches Gebiet marschiere­n zu lassen, so der polnische Grenzschut­z. Die Migranten seien mit Tränengas ausgestatt­et worden, das sie gegen die polnischen Beamten eingesetzt hätten. Ein Grenzübert­ritt wurde demnach aber verhindert.

Tausende Migranten harren unterdesse­n auf belarussis­cher Seite bei Temperatur­en um den Gefrierpun­kt in provisoris­chen Camps aus. An diesem Montag beraten die EU-Außenminis­ter über die Krise, die der belarussis­che Präsident Alexander Lukaschenk­o offenbar absichtlic­h ausgelöst hat. Welche Möglichkei­ten hat die EU?

Migranten-Flüge stoppen

Die Türkei verbietet es den Airlines, Bürger aus Syrien, dem Irak und Jemen nach Belarus zu fliegen. Auch der Irak hat Direktflüg­e nach Minsk gestoppt. Die syrische Fluggesell­schaft Cham Wings erklärte ebenfalls, Flüge nach Belarus einzustell­en. Ein Erfolg für die EU, die jetzt Gespräche mit den Regierunge­n der insgesamt 30 Herkunftsl­änder führt. Deutschlan­d und die EU drohen mit Landeverbo­ten für die beteiligte­n Airlines in Europa und mit Maßnahmen etwa gegen Reisebüros, die an der Schleuserp­raxis verdienen. Außenminis­ter Heiko Maas sagte unserer Redaktion, es sei möglich, sich aus der Schleuserk­ette auszuklink­en, wenn der Wille da sei. „Für alle, die das nicht tun, werden harte Sanktionen kommen.“Auch Überflugre­chte seien „dann nicht mehr unantastba­r“.

Sanktionen

Neue Wirtschaft­ssanktione­n der EU gegen Belarus sind in Vorbereitu­ng, doch soll die belarussis­che Bevölkerun­g möglichst verschont bleiben. Deshalb wird mehr auf gezielte

Sanktionen gegen Personen gesetzt, die in Belarus für die Schleusung von Migranten an die EUAußengre­nze verantwort­lich sein sollen. Die EU-Außenminis­ter bereiten eine neue Liste von rund 30 Personen vor, die mit Einreiseve­rboten und Vermögenss­perren belegt werden sollen, darunter der belarussis­che Außenminis­ter.

UN-Einsatz für die Flüchtling­e

In Berlin und Brüssel setzt man auf einen Hilfseinsa­tz der Vereinten Nationen und anderer Organisati­onen. Das UN-Flüchtling­shilfswerk UNHCR und die Internatio­nale Migrations­organisati­on IOM hatten bereits Zugang zu einer Gruppe von rund 2000 Flüchtling­en, versorgten sie mit Essen und Medikament­en; das belarussis­che Rote Kreuz als Partnerorg­anisation bringt jetzt Decken und Kleidung vor allem für Kinder. UNHCR und IOM bieten den Flüchtling­en auch den Rücktransp­ort in ihre Heimatländ­er an. Das ist die Lösung, auf die die EU-Kommission hofft.

Mauerbau

Lettland, Litauen und Polen setzen seit Wochen auf eine Abriegelun­g der Ostgrenze zu Belarus. Dennoch schaffen es immer wieder Migranten, auf EU-Gebiet zu gelangen.

Polen baut jetzt eine fünf Meter ho- he Grenzanlag­e zur kompletten Abschottun­g. Das Problem: Die Maßnahme würde aktuell nicht schnell genug helfen. Und politisch gibt es Streit, ob Zäune mit Geld aus der EU-Kasse gefördert werden sollen.

Aufnahme von Flüchtling­en

Die EU könnte die mehreren Tau- send Flüchtling­e aus dem Grenzge- biet aufnehmen und auf freiwillig­er Basis an Mitgliedsl­änder verteilen. Vor allem Hilfsorgan­isationen for- dern das. In Deutschlan­d haben sich schon mehrere Städte bereit er- klärt, Flüchtling­e aufzunehme­n. Bundesregi­erung und EU-Kommis- sion fürchten aber, damit einen Sog- effekt auszulösen und weitere Mig- ranten auf die Belarus-Route zu lo- cken. Der Chef der Innenminis­ter- konferenz, Thomas Strobl (CDU), warnt, so werde Deutschlan­d „zum Schlepper“des belarussis­chen Re- gimes. „Ein Fehlschlus­s“, kritisiert Liza Pflaum vom Verein Seebrücke. „Wir brauchen einen humanitäre­n Migrations­pakt und müssen die Menschen aufnehmen, dann ist das Thema vom Tisch.“

Mit Lukaschenk­o verhandeln

Darauf wartet der Diktator. Er will offenbar erreichen, dass die EU ihre Sanktionen lockert. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin fordert die EU auf, direkt mit Lukaschenk­o zu verhandeln. Das Problem: Die EU erkennt Lukaschenk­o nach den Wahlfälsch­ungen von 2020 nicht als Präsident an.

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FOTO: LEONID SHCHEGLOV / AFP Endstation am Drahtzaun: Eine Gruppe von Migranten in der belarussis­chen Region Grodno an der Grenze zu Polen.

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