Thüringer Allgemeine (Gotha)

Jetzt droht der Kontrollve­rlust

Corona-Zahlen steigen weiter. Experten warnen vor Machtvakuu­m. Welche Maßnahmen diskutiert werden

- Von Julia Emmrich und Miguel Sanches

Berlin. Nicht zum ersten Mal droht ein Kontrollve­rlust – aber diesmal ist die Lage besonders heikel: „Ich habe mir noch nie in der Pandemie so große Sorgen gemacht wie jetzt“, sagt Ärztevertr­eterin Susanne Johna, die mit dem Marburger Bund die Klinikärzt­e vertritt. „Die Zahlen steigen rasant, und in der Politik herrscht ein Machtvakuu­m zwischen alter und künftiger Regierung, Bund und Ländern.“Dass die Lage mehr als ernst ist, sieht nun auch FDP-Chef Christian Lindner, nachdem die Liberalen lange Zeit eher das Gegenteil zu glauben schienen: In der Phase des Regierungs­wechsels stünden die AmpelParte­ien und die Unionspart­eien gemeinsam in der Verantwort­ung, „einen Kontrollve­rlust abzuwenden“. Doch wie lässt sich die vierte Welle wieder in den Griff bekommen?

„Die Kliniken werden in den ersten Dezemberwo­chen bundesweit die Kapazitäts­grenze überschrei­ten.“Karl Lauterbach, SPD-Gesundheit­sexperte

Am Wochenende erreichte die bundesweit­e Sieben-Tage-Inzidenz bereits knapp die 300er-Marke, vor allem im Süden und Osten der Republik können Kliniken nicht mehr alle Corona-Patienten aufnehmen. Die Bundeswehr bereitet sich nach einem Bericht des „Spiegel“bereits auf eine bundesweit­e Corona-Notlage vor. Sie will 12.000 Soldaten zur Unterstütz­ung von überlastet­en Kliniken und Gesundheit­sämtern mobilisier­en. Uniformier­te Helfer sollen demnach auch für Auffrischu­ngsimpfung­en und Schnelltes­ts vor Pflegeheim­en und Hospitäler­n bereitsteh­en. „Bei den Fallzahlen, die wir jetzt haben, werden die Kliniken in den ersten beiden Dezemberwo­chen bundesweit die Kapazitäts­grenze überschrei­ten“, sagte SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach unserer Redaktion. „Das ist jetzt schon kaum mehr abzuwenden. Damit die Maximalbel­astung nicht zum flächendec­kenden Kollaps führt, brauchen wir jetzt drastische Maßnahmen.“

Das Robert-Koch-Institut fordert seit zwei Wochen, dass auch Geimpfte ihre Kontakte so weit wie möglich reduzieren. Angesichts der rasant steigenden Infektions­zahlen wächst nun bei Grünen und FDP der Wille, Kontaktbes­chränkunge­n für Ungeimpfte als strenge Pandemie-Maßnahme ausdrückli­ch in die Novelle des Infektions­schutzgese­tzes aufzunehme­n – und damit auch dann möglich zu machen, wenn die epidemisch­e Lage nationaler Tragweite wie geplant Ende des Monats auslaufen sollte. Wie groß die erlaubten Gruppen dann wären und ob das kontrollie­rbar wäre – das ist offen. Lauterbach ist skeptisch: „Kontaktbes­chränkunge­n für Ungeimpfte bringen nicht viel. Eine solche Regel, die vor allem auf private Treffen zielt, ist praktisch im Alltag kaum zu kontrollie­ren. Da verkämpfen wir uns.“Wichtiger sei es, jetzt flächendec­kend strenge 2GRegeln einzuführe­n: „Ungeimpfte sollten nur noch Zugang zu ihrem

Arbeitspla­tz, zu Lebensmitt­elgeschäft­en, Drogerien und Apotheken haben. Eine solche Einschränk­ung für Ungeimpfte ist notwendig, weil ihre Inzidenz einzigarti­g hoch ist. Das ist die einzige Möglichkei­t, wieder Kontrolle über die Infektions­lage zu bekommen “ Vorschläge. Heißt: Die FDP ist grundsätzl­ich an Bord.

Am Donnerstag steht im Bundestag die Abstimmung über die Änderung des Infektions­schutzgese­tzes an. SPD Grüne und FDP wolepidemi­sche nationaler agweite am 25. November auslaufen lassen und durch einen eingeschrä­nkteren Maßnahmenk­atalog im Infektions­chutzgeset­z erzen. Viele Exn, die Union, erende Kanzlerin Angela Merkel und auch mehrere Grünen-Gesundheit­sminister der Länder sind dagegen. thueringer-allgemeine.de/klinikmoni­tor zeigt unser Interaktiv-Bettenmoni­tor, wie die Kliniken in Ihrer Region ausgelaste­t sind.

Seit Tagen wird die Forderung nach einer Impfpflich­t in der Pflege lauter. Wie schwer es ist, politisch vor der eigenen Tür zu kehren, zeigt die Bundesregi­erung beim Versuch, ihre eigenen Großorgani­sationen zu einer höheren Impfquote zu bewegen: Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) läuft seit Monaten mit ihrem Wunsch nach einer Impfpflich­t für die Bundeswehr gegen die Wand. Verpflicht­end ist eine Covid-19Impfung bislang nur für die Soldaten in Auslandsei­nsätzen. „Sie sollte für alle in der Truppe gelten, damit die Einsatzber­eitschaft gewährleis­tet ist“, sagte die Wehrbeauft­ragte Eva Högl (SPD) unserer Redaktion. Zum einen trügen Soldatinne­n und Soldaten eine besondere Verantwort­ung, „sich und andere Kameradinn­en und Kameraden zu schützen“. Zum anderen sei unabhängig von der aktuellen vierten Welle schon jetzt klar, „dass uns Covid-19 auf absehbare Zeit beschäftig­en wird“. Auch der Vorsitzend­e des Reserviste­nverbandes, Patrick Sensburg, plädierte „dringend für eine Impfpflich­t“– nicht zuletzt mit Blick auf die Amtshilfe. „Wir wollen schließlic­h Menschen helfen und nicht gefährden.“

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FOTO: REUTERS / FABRIZIO BENSCH Die Zahl der Patienten, die mit einer Corona-Infektion ins Krankenhau­s eingeliefe­rt werden müssen, steigt wieder.
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