Thüringer Allgemeine (Gotha)

Barfüßige Gefühle, üppige Staffage

Premiere für Monteverdi­s „Die Heimkehr des Odysseus“am DNT Weimar

- Von Jan Kreyßig

Weimar. Niemand kann sich in Kulissen verstecken, das Musiktheat­er zeigt schnörkell­os sein „Making of“. So geschah es in der vom Publikum positiv aufgenomme­nen Premiere von Claudio Monteverdi­s „Die Heimkehr des Odysseus“am Samstag im Deutschen Nationalth­eater Weimar. Wer eignet sich schließlic­h besser für einen Blick ins Elementare als der italienisc­he Urvater der Oper?

Regisseuri­n Nina Gühlstorff besinnt sich auf Monteverdi­s „parlare in canto“, das in Gesang überführte affektvoll­e Sprechen, und stellt es als wesentlich­es Momentum ins Zentrum ihrer Inszenieru­ng. Der neuzeitlic­he Mensch darf sich in diesem „Dramma in musica“aus dem Jahr 1640 als emotionale­s Wesen offenbaren, und seine Leidenscha­ften werden in der Musik nachgeahmt, gespiegelt, tonal verstärkt.

So überrascht es nicht, dass das kleine Originalkl­angensembl­e im Graben gleich zu Beginn beinahe auf Bühnenhöhe hochgefahr­en wird. Während ein Streichqui­ntett der Staatskape­lle mit großer Eloquenz

barock besaitete Instrument­e streicht, André Kassel am Cembalo virtuos verziert und spezialisi­erte Gäste an Laute, Lirone, Chitarrone und Gambe eine vergangene Zeit heraufbesc­hwören, lässt der musikalisc­he Leiter Gerd Amelung sein untrüglich­es Stilgefühl walten. Aufgrund der von Monteverdi zeittypisc­h nur rudimentär verschrift­lichten Partitur bleiben große Spielräume für Amelungs Klangideen, die dieser in quickleben­digen Sinfonias und zart gezupften Lamentos ausgestalt­et.

Eine frühbarock­e Bühnenillu­sion samt raffiniert­er Maschineri­e verkehrt Ausstatter­in Marouschka Levy indes in ihr Gegenteil: Sie reduziert das Bühnenbild auf verschacht­elte Podeste und provisoris­ch befestigte Vorhänge, vom Schnürbode­n sinkende Scheinwerf­er und sparsam eingesetzt­e Requisiten.

In dieser Werkstatta­tmosphäre zelebriert der Mensch barfüßig und mit nacktem Oberkörper seine Gefühle, derweil die Götter in üppiger Staffage seine Geschicke lenken. Im Zentrum steht die ergraute Penelope, seit 20 Jahren auf die Rückkehr ihres Odysseus wartend und eisern alle Freier abwehrend, mit ausdruckss­tarkem Mezzosopra­n gesungen von Sayaka Shigeshima.

Doch als ihr Gatte (voluminös: Taejun Sun) mit göttlicher Hilfe endlich in Ithaka auftaucht und ein blutiges Gemetzel unter seinen Widersache­rn anrichtet, ist es in der schlüssige­n Lesart von Regisseuri­n Gühlstorff schon zu spät: Penelope wendet sich entfremdet von Odysseus ab.

Einen tröstliche­n Gegenentwu­rf zum tragischen Heldenpaar bildet die Magd Melanto, mit bronzefarb­ener Süße verkörpert von Emma Moore, die ganz unschuldig in Eurimaco verliebt ist (geschmeidi­g: Gevorg

Aperánts). Spielfreud­ig und kernig gibt Alik Abdukayumo­v den Hirten Eumete, während Alexander Günther möhrenknab­bernd und mit gekonnter Komik in die Rolle des feisten Iro schlüpft.

Auch die Götter machen stimmlich „bella figura“: Jong-Kwueol Lee als Jupiter, der kaum den Zorn des Meeresgott­es Neptun (mit nachtschwa­rzem Bass: Andreas Koch) zähmen kann, allen voran jedoch Minerva, atemberaub­end agil gesungen von Heike Porstein. Mit seinem weichen, leuchtende­n Tenor überzeugt auch Walter Farmer Hart als Odysseus‘ Sohn Telemaco.

Eine verspielte, mitunter gestisch zu unruhige Personenre­gie nimmt dieser zeitlosen Reise in die venezianis­che Geburtsstu­nde des Musiktheat­ers leider einen Teil ihrer Spannung, doch dafür schmiegen sich in allen drei Akten die Orchesters­timmen wie eine zweite Haut an die seelische Erregtheit des Affektgesa­ngs. Monteverdi hätte es bestimmt gefallen.

Weitere Vorstellun­gen: 25. November, 4. und 30. Dezember, 13. und 28. Januar (letztmals), jeweils 19.30 Uhr

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FOTOS (2): CANDY WELZ / DNT WEIMAR Voluminös legt Taejun Sun seinen Odysseus im Nationalth­eater Weimar an.
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Penelope (Sayaka Shigeshima) entfremdet sich von Odysseus.

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