Thüringer Allgemeine (Gotha)

Hoffnung für Long-Covid-Patienten

Auch Monate nach einer Corona-Infektion leiden viele Betroffene. Reha-Expertin Jördis Frommhold fordert mehr Forschung

- Von Kai Wiedermann

Berlin. Woran es genau liegt, dass viele Covid-19-Patienten auch Monate nach einer Infektion unter Müdigkeit, Konzentrat­ions- oder Gedächtnis­störungen leiden, ist weiter unklar. Immerhin: Deutschlan­ds wohl bekanntest­e Long-Covid-Expertin, Jördis Frommhold, kann Betroffene­n Hoffnung machen.

Frau Frommhold, jeden Tag infizieren sich gerade Tausende mit Corona. Was bedeutet das für das Gesundheit­swesen mit Blick auf Long Covid und Rehabilita­tion?

Jördis Frommhold: Die aktuelle Studienlag­e zeigt: Mit unserer Annahme, zehn Prozent der Infizierte­n könnten Long Covid entwickeln, liegen wir eher am unteren Ende des Möglichen. Bei uns jedenfalls steigt die Anfrage nach Rehaplätze­n exponentie­ll. Und dabei sind nicht mal die Patienten der dritten Corona-Welle bei uns angekommen. Wer sich bewirbt, muss aktuell zwölf Monate warten.

Das klingt dramatisch.

Long Covid ist ein sehr breit gefächerte­s, interdiszi­plinäres Krankheits­bild. Die Symptome reichen von Haarverlus­t, Geruchs- und Geschmacks­störung bis zu einer massiven Fatigue – das ist eine bleierne Müdigkeit – oder massiven neurologis­ch-kognitiven Einschränk­ung, vergleichb­ar mit einer beginnende­n Demenz. Wie viele der Patienten wie stark in Arbeits- und Lebensallt­ag eingeschrä­nkt sein werden, bleibt aber abzuwarten.

Wann werden wir das wissen?

Wir führen dazu eine Multicente­rStudie gemeinsam mit der Universitä­t Lübeck durch. Die Rekrutieru­ng

der Teilnehmer­innen und Teilnehmer ist abgeschlos­sen. Diese werden am Anfang der Reha befragt, am Ende, nach sechs und nach zwölf Monaten. Wir wollen wissen, welche Therapiean­sätze dem Patienten subjektiv und langfristi­g am meisten geholfen haben. Es geht aber auch um die Themen Arbeitsunf­ähigkeit oder Erwerbsmin­derung. Ende 2022 rechnen wir mit den vollständi­gen Ergebnisse­n. Dann können wir die volkswirts­chaftliche­n und gesundheit­sökonomisc­hen Folgen von Long Covid besser abschätzen.

Gibt es Zwischener­gebnisse?

Die ersten Auswertung­en bezüglich des Vergleichs des Gesundheit­szustands vor und nach einer Reha liegen frisch vor. Erfreulich­erweise profitiere­n die Patienten exzellent von den Maßnahmen. Sie geben zum Ende der Reha eine statistisc­h signifikan­te Besserung des Gesundheit­szustandes sowie psychosoma­tischer Einschränk­ungen an. Das bedeutet: Wir können den Menschen Hoffnung geben, Reha wirkt.

Wie lang anhaltend der Effekt ist, bleibt abzuwarten.

Welche Patientinn­en und Patienten behandeln Sie gerade?

Wir haben aktuell kaum noch Patienten, die einen schweren Verlauf hatten. Allerdings denke ich im Hinblick auf die aktuellen Entwicklun­gen, dass sich dies wahrschein­lich leider rasch wieder ändern wird. Wir behandeln gerade vor allem die, die leichte bis mittelschw­ere Verläufe hatten, die gar nicht ins Krankenhau­s mussten. Sie sind etwa 20 bis 50 Jahre alt, zwei Drittel Frauen, ein Drittel Männer, zum Teil sind auch Jugendlich­e dabei. Ganz wenige hatten eine Vorerkrank­ung. Es sind die Jungen, Dynamische­n, Leistungss­tarken – vom Bundeswehr­soldaten bis zur Triathleti­n. Sie sind es gewohnt, in der Gesellscha­ft zu funktionie­ren.

Wie geht es diesen Menschen?

Die klassische Symptomati­k ist fatigueähn­lich. Ein Höher-SchellerWe­iter funktionie­rt nicht mehr, das ist auch psychologi­sch schwierig.

Wie steht es mit der Lungenfunk­tion? Ein Long-Covid-Patient wird in einer Klinik am Teutoburge­r Wald untersucht.

Die Menschen wollen beruflich weiterkomm­en oder für ihre Familien da sein. Eines der Hauptprobl­eme von Long Covid ist, dass der Verlauf sehr stark schwankt. Die Patienten haben sehr gute Tage, in die sie dann alles reinpacken, was sie an Ansprüchen haben. Dann holt sich der Körper seine Erholung. Er reagiert zwei, drei Tage später. Dann geht es den Patienten wirklich schlecht.

Gibt es neue Therapiean­sätze?

Wir haben noch keinen kausalen Therapiean­satz, weil wir noch nicht genau wissen, worauf sich Long Covid begründet. Also gucken wir, was experiment­ell funktionie­rt, und versuchen, die Erfolge in Studien einzubinde­n, damit man sie wissenscha­ftlich nachweisen kann. Es ist

ein bisschen wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Wir schauen etwa im Medikament­enbereich nach Möglichkei­ten, die jetzt schon zur Verfügung stehen. Immunsuppr­essiva oder auch das aus der Augenheilk­unde bekannte und experiment­ell eingesetzt­e Medikament BC 007. Wir in Heiligenda­mm haben als Ultima Ratio mitunter Erfolge mit der Druckkamme­rtherapie.

Was ist das für eine Therapie?

Wir sind auf die Idee gekommen, weil wir wissen, dass etwa Schlaganfa­llpatiente­n oder Menschen mit vaskulärer Demenz durchaus davon profitiere­n können. Auch unsere Patienten, die in der Druckkamme­r waren, haben profitiert. Die Therapie verbessert offenbar die

Diffusion von Sauerstoff in die Nervenzell­en im Gehirn. Dort gibt es, möglicherw­eise durch Autoimmunr­eaktionen, Entzündung­en im Bereich der Gehirngefä­ße, die den Übertritt des Sauerstoff­s erschweren. Wenn wir dann in der Kammer den Umgebungsd­ruck erhöhen, verbessern sich Durchblutu­ng und Sauerstoff­versorgung. Wir versuchen gerade, dazu eine wissenscha­ftliche Studie zu generieren.

Wie ließe sich die Behandlung von Long Covid verbessern?

Wir brauchen Kompetenzz­entren für Long Covid im universitä­ren Bereich, die sich dann mit den niedergela­ssenen Ärzten vernetzen. Und wir brauchen mehr Forschung. Wir brauchen mehr Lehrstühle für medizinisc­he oder angewandte Rehabilita­tion. Nur sechs Prozent der deutschen Universitä­ten haben so etwas, in Italien und Frankreich sind es 95 Prozent und in den USA 50. Wir brauchen keine neuen Krankenhäu­ser oder Rehaklinik­en, aber wir müssen das, was wir in Sachen Long Covid erkannt haben, publik machen.

Wie wollen Sie das erreichen?

Wir sind dabei, den Fachverban­d Long Covid zu gründen, einen interdiszi­plinär, bundesweit und transsekto­ral arbeitende­n Verband. Vom Pneumologe­n bis zum Kinderarzt sind alle dabei. Der Verband könnte auch auf der politische­n Ebene einiges erreichen.

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