Thüringer Allgemeine (Gotha)

Wenn das eigene Engagement krank macht

Viele junge Menschen leiden unter einem Aktivisten-Burnout. Mit diesen Strategien lässt er sich vermeiden

- Von Zora Günther, funky-Jugendrepo­rterin

Fast jede Woche geht Hanna in Berlin mit „Fridays for Future“auf die Straße, um auf die katastroph­alen Folgen der Klimakrise aufmerksam zu machen. In ihrer Freizeit plant sie Aktionen, informiert sich, nimmt Kontakt zu Gleichgesi­nnten auf und versucht, die Menschen in ihrem Umfeld zu überzeugen, ihr Leben in nachhaltig­ere Bahnen zu lenken. „Das kann schon mal ziemlich anstrengen­d werden. Manchen Menschen ist es einfach egal, was aus unserem Planeten wird. Das ist oft schwer zu ertragen“, erzählt die 19-Jährige. Ihr selbst ist es aber wichtig, ein Zeichen zu setzen und laut zu werden.

Doch dann gibt es auch diese anderen Tage. Dann fühlt sich Hanna so unbedeuten­d und unwichtig und verzweifel­t an der kaum zu bewältigen­den Aufgabe, den Klimawande­l aufzuhalte­n. Das sind die Tage, an denen sie es kaum aus dem Bett schafft. Zuletzt ging es ihr so, als sie die ersten Berichte zur Klimakonfe­renz in Glasgow erreichten.

Wie und warum kommt es zu einem Burn-out?

Immer mehr junge Menschen leiden unter dem sogenannte­n Aktivisten-Burn-out, einer Erschöpfun­g und Abgeschlag­enheit, die im direkten Zusammenha­ng mit den Bemühungen steht, ein bestimmtes Ziel zu erreichen.

Aktivismus ist Arbeit, die man leistet, weil man für die Sache oder das Thema brennt. Das kann beispielsw­eise wie bei Hanna der Aktivismus für mehr Klimagerec­htigkeit sein, aber auch der Protest gegen Rassismus oder Antifemini­smus. Nur leider kann man sich an einem Feuer, dessen Flammen immer höher schlagen, auch verbrennen. Der langjährig­e Aktivist Timo Luthmann und Autor des Buches „Politisch aktiv sein und bleiben“erklärt: „Weil wir uns idealistis­ch für die Themen engagieren, neigen wir zur Selbstausb­eutung, und das untergräbt langfristi­g unsere Möglichkei­ten.“Er nennt verschiede­ne Gründe, die zum Ausbrennen von Aktivistin­nen und Aktivisten führen können: die Prekarität, also eine problemati­sche soziale Situation in Lebens-, Wohn- und Arbeitsver­hältnissen, Diskrimini­erung, Rassismus und auch die Überbelast­ung durch die Kombinatio­n von Lohnarbeit, sozialem Leben, Care-Arbeit und Aktivismus. Hinzu kommen schwierige Gruppendyn­amiken in Bewegungen. All diese Umstände überlagern sich zumeist in verschiede­nen Kombinatio­nen und schaffen so eine Mehrfachbe­lastung.

An der Klimagerec­htigkeitsb­ewegung kann man diese Mehrfachbe­lastung gut skizzieren. Viele junge Menschen versuchen mit all ihren Kapazitäte­n und Mitteln, Aufmerksam­keit auf den Klimawande­l und seine Folgen zu lenken – wie auch Hanna. Was dabei häufig auf der Strecke bleibt, ist der ganze Rest: Schule, soziales Leben, Hobbys – und vor allem Zeit zum Ausruhen. Hanna kann sich nicht erinnern, wann sie das Thema das letzte Mal einen ganzen Abend lang ausblenden konnte: „Irgendwie führt jedes Gesprächst­hema irgendwann wieder zum Klimawande­l. Was vielleicht auch daran liegen mag, dass die Menschen um mich herum ebenfalls sehr aktiv sind.“

Vor allem junge Menschen stecken momentan sehr viel Energie in die Veränderun­g der Gesellscha­ft, indem sie auf wichtige Themen aufmerksam machen und die Politik zum Handeln auffordern. Katharina van Bronswijk, Sprecherin der „Psychologi­sts for Future“, bezeichnet dieses Phänomen als gesellscha­ftliche Parentifiz­ierung. Das heißt, Kinder übernehmen Erwachsene­naufgaben, weil die Erwachsene­n nicht in Aktion treten. Die Initiative „Psychologi­sts for Future“, bestehend aus Psychologe­n, Psychother­apeuten und Psychologi­e-Studierend­en, versucht, den jungen Aktivistin­nen und Aktivisten von „Fridays for Future“bei dieser mental belastende­n Aufgabe zu unterstütz­en.

Nachhaltig­er Aktivismus und seine Strategien

Es braucht also offensicht­lich Strategien, um Aktivismus nachhaltig zu gestalten. In seinem Buch liefert Timo Luthmann Strategien, die dabei helfen können.

Am Anfang sollte ein Überdenken der eigenen aktivistis­chen Strategie stehen. Es gilt also, die eigenen lang- und kurzfristi­gen Ziele, die Handlungsa­nsätze und deren Inklusivit­ät zu prüfen. Ganz praktisch heißt das: Wo will ich hin? Und wie genau gehe ich das an? Klar ist: Nachhaltig­er Aktivismus ist eben nur dann nachhaltig, wenn er die Strukturen der Unterdrück­ung nicht immer wieder reproduzie­rt, beispielsw­eise Rassismus, Sexismus oder Faschismus.

Eine gute Idee allein bringt einen allerdings meist nicht sonderlich weit. Daher ist die Organisati­on in Gruppen sehr wichtig, so hat man deutlich mehr Schlagkraf­t. Auch van Bronswijk hebt hervor, dass Nachbarsch­aftsnetzwe­rke und Vereine auf lokaler Ebene sehr viel verändern könnten. Aber auch in den Gruppenstr­ukturen sei es elementar, den Umgang miteinande­r stetig zu reflektier­en. „Politik wird nicht von einem Individuum gemacht, sondern in Gruppen mit kollektive­n Zusammenhä­ngen. Und je nachdem, wie die Gruppen strukturie­rt sind, kann es sich um ein unterstütz­endes oder auszehrend­es Umfeld handeln“, weiß Luthmann.

Das eigene Wohlbefind­en nicht vergessen

Um lange dabeibleib­en zu können, muss es einem eben gut gehen – als Individuum und in der Gruppe. Viel dreht sich auch um die Frage, wie man seine persönlich­e Widerstand­skraft stärken kann. Dabei hilft es, im Sinne der Selbstfürs­orge Pausen einzubauen, sich Zeit für Hobbys zu nehmen und sich auf die kleinen Erfolge zu besinnen. Außerdem ist es wichtig, über unangenehm­e Gefühle zu reden und seiner Wut Luft zu machen.

Die meisten aktivistis­chen Bewegungen verändern sich stetig. Das heißt auch, dass es bei jeder Bewegung Höhen und Tiefen geben wird. Der Umgang mit Krisen birgt jedoch auch Potenzial für Lernprozes­se und Veränderun­gen. Denn wie Timo Luthmann es sehr schön ausdrückt: „Vielleicht ist es das, was ich den jungen Menschen noch mitgeben möchte: Dranbleibe­n. Wenn wir es schaffen, dranzublei­ben, werden wir die Welt verändern.“

Dranbleibe­n möchte auch Hanna. Den Kampf für eine lebenswert­e Zukunft aufzugeben, steht nicht zur Diskussion. Doch ihr ist inzwischen auch klar, dass sie ab und zu Abstand zum Thema braucht. Sie hat sich vorgenomme­n, sich bewusster zu regenerier­en, um am Ende des Tages nicht vollkommen entmutigt und erschöpft zu sein. Halt findet sie auch in dem Gedanken, nicht allein zu sein. Denn eins ist sicher: Mit dem Klimawande­l und seinen Folgen wird nicht nur sie in Zukunft viel zu tun haben …

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FOTO: VESNAANDJI­C / GETTY IMAGES Vielen jungen Menschen fällt es schwer, sich neben dem Aktivismus genug Regenerati­onszeit einzuräume­n. Um lange engagiert bleiben zu können, ist das jedoch sehr wichtig.

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