Das falsche Signal
In „Die Kunst, Recht zu behalten“, einem Klassiker der Rhetorik von 1830, beschreibt der Philosoph Arthur Schopenhauer die Tatsache, dass es in vielen Streitgesprächen nicht um den Sieg der Wahrheit geht, sondern um den Sieg der eigenen Haltung. Sehr anschaulich lässt sich dieses Prinzip derzeit in der Politik beobachten. Die Ampelparteien wollen die Feststellung der epidemischen Notlage am 25. November auslaufen lassen. Dabei stört es sie offenbar auch nicht, dass Virologen und Intensivmediziner vor einem solchen Schritt warnen.
Die „Epidemische Lage von nationaler Tragweite“wurde erstmals im März 2020 festgestellt. Es ist ein schwieriger Begriff, da er der Regierung ohne genauere Definition eine Reihe von Sonderbefugnissen gewährt. Im Infektionsschutzgesetz ist deshalb festgehalten, dass der Ausnahmezustand „unverzüglich“aufgehoben werden muss, wenn die Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind.
Diesen Eindruck konnte man im Sommer gewinnen. Doch inzwischen hat sich die Lage wieder dramatisch geändert. Die Zahl der Neuinfektionen sowie die SiebenTage-Inzidenz sind so hoch wie nie zuvor. Nicht notwendige Operationen werden wieder verschoben, die Intensivbetten wieder knapp.
Inzwischen dämmert es auch den Ampelparteien, dass das von ihnen vorgelegte Corona-Maßnahmenpaket nicht ausreicht. Hektisch wird nun nachgebessert. Ausgangssperren, Reiseverbote sowie Schulschließungen sollen aber ausgeschlossen bleiben.
Die vierte Welle könnte die schlimmste werden, wenn jetzt nicht schnell ein Weg gefunden wird, die Neuinfektionen einzudämmen. Dazu sollte man kein Instrument ausschließen. Auch symbolisch wäre es völlig falsch, ausgerechnet jetzt auf den Begriff der „Notlage“zu verzichten.