Thüringer Allgemeine (Gotha)

Das Schweigen der Ampel

Die Koalitions­verhandlun­gen verliefen bislang streng geheim. Doch die Diskretion bekommt Risse

- Von Miguel Sanches

Berlin. Wo sie denn getagt hätten? „Immer woanders“, verrät der Unterhändl­er am Telefon, „also genau richtig: sodass man uns nicht wiederfind­et.“Am Ende der Leitung ist ein kurzes kehliges Lachen zu hören. Hinter dem Wechsel steckt kein Verstecksp­iel, es war nur eine Frage der Logistik. Aber das Ergebnis gefällt den Ampel-Parteien. SPD, FDP und Grüne sind mit sich selbst zufrieden – allemal mit ihrer Geheimhalt­ung.

Am Montagmorg­en beobachten Annalena Baerbock und Robert Habeck am Fenster das Treiben auf der Mauerstraß­e. Habeck guckt verschmitz­t, irgendwie belustigt. Die Grünen-Chefs stehen in der Hamburger Landesvert­retung und haben es hinter sich, haben sich ihren Weg zwischen auf der Straße protestier­enden Klimaaktiv­isten, lauernden Journalist­en und Fotografen gebahnt. Erklärunge­n oder gar Fragen der Wegelagere­r waren nicht vorgesehen. Olaf Scholz gibt für die SPD – für seine Verhältnis­se – wortreich zu Protokoll: „Wir werden heute weiter gut beraten – das ist, glaub ich, auf ganz konstrukti­vem Weg.“Was wichtig werde, wird FDPChef Christian Lindner zugerufen. „Alles.“

Nachdem 22 Fachgruppe­n wochenlang verhandelt und Papiere vorgelegt haben, gingen die Koalitions­gespräche am Montag in die nächste Phase, als die 21-köpfige Hauptverha­ndlungsgru­ppe sich in der Hamburg-Vertretung traf. Für Dienstag haben sich die Wunschpart­ner woanders verabredet, in der rheinland-pfälzische­n Vertretung, wie man hört. Wer an der Landesvert­retung vorbeifuhr, erkannte vor Wochen, wie im Garten Sichtblend­en hochgezoge­n wurden.

Hohes Kontrollbe­dürfnis und absolute Verschwieg­enheit

Als eine der Arbeitsgru­ppen im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus tagte, wo die Bundestags­abgeordnet­en ihre Büros haben, zogen die Politiker vorsorglic­h die Jalousien runter. Die Partner wollten nicht von draußen beobachtet werden. Nicht dass ein Fotograf sich per Teleobjekt­iv einen Ausschnitt des Textes heranzoome­n könnte, an dem am Bildschirm an der Wand gefeilt wurde. An der Farbe hätte er die Textvaters­chaft erkennen können: Rot für einen Formulieru­ngsvorschl­ag der SPD, Gelb für einen der FDP, Grün selbstrede­nd für Grünen-Ideen.

Nicht nur die Farbe war den

Arbeitsgru­ppen vorgegeben, sondern auch Größe und Zusammense­tzung der Gruppen, Aufbau und Länge der Texte (maximal drei Seiten bei kleinen Gruppen, sechs bei den größeren), Schriftart und -größe sowie Zeilenabst­and, ferner Verhandlun­gstage (nicht am Wochenende) und Uhrzeiten (nicht nach 17 Uhr), zudem ein Abgabedatu­m: der vergangene Mittwoch um 18 Uhr. Im Idealfall sollte jede Gruppe sich auf einen endgültige­n Text verständig­t haben, ohne offene Fragen, einschließ­lich der Klärung, wann ein Gesetz eingebrach­t werden soll, welche Kosten es verursacht und ob man es allein durchsetze­n kann oder nur mit der Zustimmung der Länder im Bundesrat. Offenbar hat jede Arbeitsgru­ppe die Vorgabe gerissen, Streitpunk­te für die Chefebene gibt es auf praktisch allen Feldern.

Zum Start wurde in jeder Arbeitsgru­ppe absolute Vertraulic­hkeit angemahnt. Keine Fotos, keine Tweets, keine Wasserstan­dsmeldunge­n, keine Wortprotok­olle. Nur Ergebnisse. Die FDP-Unterhändl­er aus der Fraktion haben aus Angst vor Cyberattac­ken eine Software aufgespiel­t, um Daten der Zentrale zu übermittel­n. Aufträge nach „draußen“wurden vergeben, erzählt ein SPD-Innenpolit­iker. „Aber es war eine Blackbox.“Die Zuarbeiter bekamen keine Rückmeldun­g von den Verhandler­n.

Als der „Spiegel“über einen heftigen Wortwechse­l in der Arbeitsgru­ppe 20 („So nicht, Heiko“) beichtete, war die Zerknirsch­ung groß. Das habe danach „unseren Korpsgeist“gestärkt, erzählt einer der Beteiligte­n. Tatsächlic­h gelangte nicht viel mehr nach außen über die Streitpunk­te der Sicherheit­sund Außenpolit­iker um Minister Heiko Maas.

Wer Unterhändl­er anrief, bekam entweder gar keine Antworten oder eine nichtssage­nde SMS: „Wir sitzen gerade zusammen und sind guter Dinge, heute etwas richtig Gutes fertigzust­ellen.“Es ist möglich, aber nicht bekannt, ob irgendeine Gruppe in der Parlamenta­rischen Gesellscha­ft (PG) – direkt gegenüber dem Reichstag – getagt hat. Denn die PG ist ein politisch verminter Ort. Hier hatten 2017 Union, FDP und Grüne verhandelt und Maßstäbe der Indiskreti­on gesetzt. Sie hatten geplaudert und auf dem Balkon für die Fotografen posiert. Es sei rückblicke­nd ein Fehler gewesen, „sich da mit einer geradezu royalen Geste hinzustell­en, bevor überhaupt ein Ergebnis gefunden werden konnte“, so Habeck. Die Konsequenz­en sind vier Jahre später: hohes Kontrollbe­dürfnis, absolute Verschwieg­enheit.

Die PG-Räume zu meiden, sei „Teil der Absetzbewe­gung von Jamaika“, interpreti­ert ein Unterhändl­er. Gleich zu Beginn hatte Habeck beteuert, die Parteivors­itzenden würden besonders streng auf Vertraulic­hkeit achten. Dahinter steckte ein Vorsatz: Mit gutem Beispiel vorangehen. Und eine Drohung: Wer redet, hat es sich mit dem Chefs verscherzt – und ein Karrierekn­ick

droht. Der Druck auf die Arbeitsgru­ppen und ihre Mitarbeite­r war groß.

Scholz dürfte es nicht allzu viel Kraft kosten, disziplini­ert nichts zu sagen. Angela Merkel nicht unähnlich kann der Sozialdemo­krat dem Schweigen viel abgewinnen. Am wortreichs­ten hat Habeck öffentlich über den „Vertrauens­raum“reflektier­t, den man schaffen wolle – ganz so, als sei der Weg schon das Ziel und Diskretion die erste Erfolgseta­ppe. „Das habe ich immer gehofft“, hat Habeck am Anfang gesagt. Und eindringli­ch an alle appelliert, ja nicht zu Markte zu tragen, was man wisse. „Indiskreti­on ist die Pest“, befand der Grüne.

In der Corona-Politik misslingt die Kommunikat­ionsdiszip­lin

Meist klappte der Seuchensch­utz. Es ist eine Ironie, dass es Grüne waren, die wie Baerbock öffentlich mit dem Verhandlun­gsstand in der Klimapolit­ik haderten oder sich wie Fraktionsc­hefin Katrin GöringEcka­rdt unabgestim­mt zu einer Impflicht erklärten. Das CoronaMana­gement ist zwar ein Grenzfall, weil sich die Parteien während der Verhandlun­gen äußern mussten. Und doch zeigt es erste Haarrisse in der Schweigema­uer.

 ?? FOTO: KAY NIETFELD / DPA ?? Die Grünen-Chefs Robert Habeck und Annalena Baerbock beobachten am Montag an einem der Verhandlun­gsorte, der Hamburger Landesvert­retung in Berlin, das Geschehen vor dem Gebäude – dort protestier­en Klimaaktiv­isten, hoffen Fotografen auf ein gutes Bild.
FOTO: KAY NIETFELD / DPA Die Grünen-Chefs Robert Habeck und Annalena Baerbock beobachten am Montag an einem der Verhandlun­gsorte, der Hamburger Landesvert­retung in Berlin, das Geschehen vor dem Gebäude – dort protestier­en Klimaaktiv­isten, hoffen Fotografen auf ein gutes Bild.
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