Vier Jahreszeiten im Wandel
Das Tanztheater Erfurt übermalt Vivaldi mit neuer Musik und allegorischen Figuren
Erfurt. Frühling, Sommer und Herbst bereiten dem Winter die Bühne. Sie schieben die vielen einzelnen würfelförmigen weißen Pflanztische von Ausstatter Moritz Weißkopf, in denen domestizierte Reste von Natur hausen, zur großen Fläche zusammen. Dann machen sie ihm den Platz wieder streitig und ziehen dem Winter ein Element nach dem anderen unter den Füßen weg, bis ein einziges übrig bleibt, auf dem er noch stehen kann. Seine Räume sind eng geworden.
Dieses Bild einer recht brachial betriebenen Eisschmelze ist eher untypisch für diesen einstündigen Abend in der Zentralheize, wie das alte Heizwerk inzwischen heißt. Es gemahnt an Bilder von Eisbären auf Schollen im Nordpolarmeer und ist insofern doch recht eindeutig. Das lässt sich über Ester Ambrosinos neue Choreografie beim Tanztheater Erfurt insgesamt eher nicht sagen. Was durchaus ein Glück ist.
Das Stück „Four Seasons – Die vier Jahreszeiten“, hat zwar ein Thema und eine Form dafür, es hat aber keine klare Botschaft, es hat einen künstlerischen Ansatz, keinen pädagogischen. Angekündigt wurde es als Symbiose aus Tanz und Musik, „die den Umgang mit der Natur in den Mittelpunkt rückt.“Und das letzte der Worte, die darin immer wieder in mehreren Sprachen fallen, heißt „Wandel“. Gleichwohl bleiben die Räume der Kunst in der Auseinandersetzung damit weit.
Der Wandel ist vor allem hörbar, in der Musik: zum einen dadurch, dass Ambrosino hier einmal nicht mit ihrem Leib- und Magenmusiker Michael Krause zusammenarbeitet, sondern mit Miron Raczka, zum anderen dadurch, dass dieser sich die vier berühmten Violinkonzerte Antonio Vivaldis neu aneignet, sich ihrer geradezu bemächtigt. Der Komponist und Sounddesigner hat sie zeitgenössisch übermalt und zerlegt. Sie kommen in dieser Fassung für ein Streichquintett sowie ein Marimbaphon, das Raczka selbst spielt, wie ein verzerrtes Echo vor, als Nachhall einer verlorenen Welt. Vivaldis Klangdecke ist sozusagen in Teile aufgeschmolzen, zwischen denen es neue Brücken braucht.
Raczka unterbricht in seiner spannungsgeladenen Auseinandersetzung mit dem Original gleichsam den ewigen Kreislauf der Natur. So entlädt sich das Sommergewitter im Vivaldi-Presto aus einem stampfenden Rhythmus, um weniger herab zu prasseln als vielmehr durch die vertrocknete Gegend zu stottern.
Dazu lassen die vier Tänzer in der einzigen Gruppenchoreographie des Stücks bereits viel Herbstlaub auf die Bühne regnen. Hier hat sich, mag das heißen, etwas verschoben.
Die Tänzer bewegen sich nicht durch die vier Jahreszeiten, sie sind diese vielmehr selbst. Sie sind allegorische Figuren: Veronica Bracaccini als Frühling in Rosarot, Daniel Medeiros als Sommer in Gelb, später im gülden schimmernden Kleid, Maya Gomez als Herbst in sattem Orange, Javier Ferrer Machin als Winter in Weiß und Hellblau (Kostüme: Cornelia Mai). Sie sind aber auch die Elemente, die durcheinanderwirbeln: Luft, Feuer, Erde, Wasser. Und sie sind lebenslustige, aber zunehmend verstörte Kinder unter der prallen Sonne. Apokalyptische Reiter sind sie irgendwie aber auch.
Der Frühling niest und legt ein Ei, redet was von weißen weichen Wolken, die fort sind – die Textverständlichkeit hat insgesamt ein Akustikproblem. Der Winter rückt dem Herbst mit dem Laubbläser zu Leibe, mit dem ihn der Sommer später bedroht. Der Herbst verleiht dem Sommer buchstäblich Flügel, der lässt diesen in sich hineinpendeln.
Es ist am Ende dann doch der Tanz selbst, der diesen Abend mit kraftvollen Bildern und originellen, überraschenden Figuren sehenswert macht. Hier ist er ganz bei sich und zwingender als in der Konzeption, die ihm zugrunde liegt.
Noch einmal am 10. und 11. Dezember um 20 Uhr sowie am 12. Dezember um 18 Uhr in der Zentralheize Erfurt. Karten: www.ticketshop-thueringen.de