Katar kann kommen
Das Länderspieljahr und Hansi Flicks Start sind nach dem 4:1 in Armenien geschafft
Man darf schon mit Fug und Recht behaupten, dass die deutsche Fußball-Nationalmannschaft Katar noch nie so nah war wie am Mittag nach dem 4:1 in Armenien. Zumindest geografisch. Gegen 12 Uhr Ortszeit enterten die müden Fußballer den Charterflieger auf dem Flughafen von Jerewan und waren in diesem Moment nur noch 1800 Kilometer vom Wüstenstaat entfernt, in dem in einem Jahr die 22. Fußball-Weltmeisterschaft stattfinden soll. Doch statt sich auf den knapp zweistündigen Weg in Richtung Südosten zu machen, besann sich der Flugkapitän eines Besseren und blieb der vereinbarten Route gen Westen treu. Knapp viereinhalb Stunden später waren die 3000 Kilometer nach Frankfurt/Main genauso geschafft wie die seit Wochen feststehende WM-Qualifikation.
„Wir wollten uns mit einem Sieg verabschieden. Das hat die Mannschaft gut gemacht“, hatte ein zufriedener Hansi Flick am Vorabend gesagt, als seine Mannschaft das Länderspieljahr 2021 positiv beendet hatte. „Wir wissen, dass wir auf einem guten Weg sind“, sagte Flick, der nach dem Rücktritt Joachim Löws in Rekordzeit geschafft hatte, was kaum einer im vergangenen Sommer erwartet hätte. „Die Mannschaft hat viel Spaß am Fußball“, sagte Flick. Viel wichtiger: Diese Mannschaft macht wieder Spaß.
Flicks Bilanz: Sieben Siege aus sieben Spielen, dazu ein Torverhältnis von 31:2 Toren. „Wir haben auf jeder Position zwei, drei Spieler, wo wir vielleicht im Vorfeld immer wieder händeringend gesucht haben. Zum Beispiel auf der Neun, dem zentralen Stürmer. Jetzt sind da auf einmal Karim Adeyemi, da ist Lukas Nmecha“, führte Flick aus. „Das sind Dinge, die gut sind.“Wie gut diese Dinge aber tatsächlich sind, wird sich erst gegen stärkere Gegner als Armenien oder Liechtenstein zeigen. „Wir haben gegen Mannschaften gespielt, die jetzt nicht zu den Besten Europas oder Welt gehören“, räumte Flick ein. „Aber die kommen irgendwann, wenn wir dahin kommen wollen, wo wir hingehören.“
Dabei müssen Deutschlands Fußballfans nicht einmal bis zur WinterWM in Katar warten. Bereits im März will Flick mindestens gegen einen Hochkaräter testen lassen. Es folgen vier mutmaßliche Top-Spiele in der Nations League im Juni, ehe im September schon die Generalprobe für die WM ansteht. Ob es vor dem WM-Start im November noch ein Kurz-Trainingslager (möglicherweise in Dubai) geben wird, will Flick erst nach der Auslosung am 1. April in Doha entscheiden.
Und obwohl der Flieger gestern statt nach Katar doch nach Frankfurt flog, werden Flick und DFB-Direktor Oliver Bierhoff schon sehr bald dem Emirat einen Besuch abstatten. Kurz vor Weihnachten wollen die beiden mit Teammanager Thomas Beheshti drei Tage lang mögliche WM-Quartiere unter die Lupe nehmen. Dabei soll die Tendenz zu einem Hotel außerhalb der Millionenmetropole Doha gehen.
Spannender als die Frage, wo die Nationalmannschaft im kommenden Winter wohnen wird, ist die Frage, wer dort eigentlich wohnen wird. Nachdem in Jerewan 17 potenzielle Kandidaten aus dem erweiterten WM-Kader gefehlt haben und die, die stattdessen dabei waren, ihre Sache gut gemacht haben, wird eine endgültige Antwort erst in knapp einem Jahr fallen. Klar ist aber, dass neben den etablierten Kräften vor allem Gladbachs Jonas Hofmann (Flick: „Ein sehr intelligenter Spieler“) und Paris-Allrounder Thilo Kehrer unter dem NeuBundestrainer die größten Sprünge nach vorne gemacht haben. Von den einstigen Stammkräften am meisten zittern muss dagegen Dortmunds Routinier Mats Hummels.
Auf dem Spielfeld kann Flick im WM-Jahr also viele Antworten geben. Die schwierigste Frage muss der Bundestrainer aber in den kommenden Wochen abseits des Platzes beantworten. Wie geht es weiter mit den ungeimpften Spielern rund um Joshua Kimmich? Denn Katar kann zwar kommen. Aber Corona ist längst da.