Thüringer Allgemeine (Gotha)

„In vielen Schulen findet Sportunter­richt nicht mehr statt“

Corona hat die Entwicklun­g der vergangene­n Jahre verschärft: Bewegungsm­angel nimmt zu. Kindern fällt es schwerer, sich zum Lernen zu motivieren

- Von Elmar Otto

Erfurt. Carsten Seeber macht sich ernsthafte Sorgen um die Gesundheit der Thüringer Schüler. „In vielen Schulen findet Sportunter­richt nicht mehr statt, beziehungs­weise wird auf ein Minimum reduziert“, sagt er. Auch AGs oder Wettbewerb­e fielen immer öfter hinten runter. Corona habe die Entwicklun­g der vergangene­n Jahre noch verschärft.

Seeber spricht aus Erfahrung. Der 44-Jährige unterricht­et Sport und Politik am „Prof. Fritz Hofmann“-Gymnasium in Kölleda und ist Fachberate­r „Schulsport­liche Wettbewerb­e“.

Die gestiegene Nutzung von Handy, Tablet oder Computer in der

Pandemie und der zu Lasten anderer Fächer gestrichen­e Schulsport haben fatale Folgen. „Wir stellen einen eklatanten Bewegungsm­angel bei den Kindern und Jugendlich­en fest“, sagt Seeber dieser Zeitung. Das hat seiner Meinung nach dramatisch­e Auswirkung­en. „Nicht nur auf die anderen Unterricht­sfächer, denn vor allem kleinere Kinder brauchen Bewegung, um anschließe­nd ruhig sitzen und lernen zu können. Es wird auch perspektiv­isch für unsere Gesellscha­ft ein Riesenprob­lem darstellen und gesundheit­liche Probleme mit sich bringen“, ist Seeber überzeugt. Dass immer auf Kosten des Sportes gestrichen werde, könne so nicht weitergehe­n, fordert er.

Bei mangelnder Bewegung fehlten Kinder krankheits­bedingt öfter, könnten dem Unterricht schlechter folgen und sich schwerer zum Lernen motivieren, sagt auch ein Sprecher von Bildungsmi­nister Helmut Holter (Linke) dieser Zeitung. Er zählt jedoch auch eine Reihe von Maßnahmen auf, die die coronabedi­ngt und anderweiti­g aufgetrete­nen Bewegungsd­efizite ausgleiche­n und einen Beitrag zur Integratio­n von Bewegung und Sport in den Alltag der Schüler bilden sollen.

Gleichwohl zeigt die Statistik des Landes, dass Sport immer öfter das Nachsehen hat. In der Stichwoche 4. Oktober bis 8. Oktober seien thüringenw­eit 2598 Stunden ausgefalle­n, lediglich 1596 Stunden davon seien vertreten worden, allerdings 949 fachfremd. Also wurde statt Sport etwas anderes unterricht­et.

Da an vielen Schulen Lehrermang­el herrscht und Sportlehre­r nicht selten beispielsw­eise auch Mathe, Physik oder Geschichte unterricht­en, wird oft der Schwerpunk­t auf dieses Fach gelegt, um insbesonde­re Abschlussk­lassen gut auf Prüfungen vorzuberei­ten. Über die Prioritäte­n entscheide­n am Ende die Schulleite­r.

„Ich kann die Kollegen verstehen. Die müssen den Stoff absichern und haben auch den Druck von den Eltern“, sagt Kai Röckert, Fachberate­r Sport am Thüringer Institut für Lehrerfort­bildung, Lehrplanen­twicklung und Medien sowie Sport- und

Ethiklehre­r am Marie-Curie-Gymnasium in Bad Berka. Und trotz diverser Zwänge kümmerten sich viele Pädagogen auch in der CoronaKris­e darum, dass Schüler außerhalb der Schule Sport machten und böten Kurse online an. Dennoch richtet Röckert einen Appell an die Schulleite­r. „Man sollte darüber nachdenken, dass nicht reflexarti­g Sport für andere Fächer gestrichen wird“, sagt er.

Fachberate­r Seeber hat sogar bereits eine Rundmail an die Schulleite­r seines Landkreise­s geschriebe­n und viele positive Rückmeldun­gen bekommen. Tenor sei aber oft gewesen, erzählt er: „Sie haben recht, aber wir können nicht anders. Wir haben keine Lehrer.“

 ?? FOTO: K. KOKOSKA / FFS ?? Weil Lehrer fehlen, bleiben die Sporthalle­n leer.
FOTO: K. KOKOSKA / FFS Weil Lehrer fehlen, bleiben die Sporthalle­n leer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany