Wie Konzerne die Frauenquote umgehen
Studie: Unternehmen wandeln sich in Europäische Aktiengesellschaften ohne Mitbestimmungspflicht um
Berlin. Die gleichberechtigte Mitbestimmung in Aufsichtsräten großer Unternehmen gilt als wichtiger Grundpfeiler der sozialen Marktwirtschaft. Seit 45 Jahren müssen diese Gremien in deutschen Konzernen mit mehr als 2000 Mitarbeitern paritätisch – also gleich stark durch Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter – besetzt sein. Doch dies wird von immer mehr Unternehmen zulasten der Beschäftigten und Frauen ausgehöhlt.
Der Grund: Immer mehr deutsche Unternehmen schlüpfen unter die Rechtsform einer Europäischen Aktiengesellschaft (SE). Ob die Autokonzern-Holding Porsche, der Onlinehändler Zalando, der Autovermieter Sixt oder die Wohnungsbauunternehmen Vonovia sowie Deutsche Wohnen – mittlerweile gibt es in Deutschland 424 Unternehmen, die als SE firmieren.
Die meisten SE-Konzerne vermeiden paritätische Mitbestimmung mehr als 300.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betroffen, die Tendenz ist seit Jahren steigend.“
„Die meisten Unternehmen gehen den Schritt, um die Mitbestimmung in Aufsichtsräten zu umgehen. Sie schließen damit zugleich die Anwendung der Frauenquote in Aufsichtsräten und Vorständen aus“, analysiert Sebastian Sick, I.M.U.-Experte für Unternehmensrecht und Mitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex.
Dem stehen 211 große deutsche Aktiengesellschaften (AG) mit paritätischer Mitbestimmung gegenüber. Durch die Erweiterung des Deutschen Aktienindex (Dax) auf 40 Mitglieder sind nun 14 SE-Konzerne im wichtigsten Börsenindex vertreten. „Doch nur vier davon – Allianz, BASF, E.ON und SAP – haben noch einen paritätisch besetzten Aufsichtsrat“, so Sick.
Die Entwicklung sei nicht nur für die Beschäftigten von Nachteil, sondern auch eine weitere Hürde für den Zugang von Frauen in die Vorstände und Aufsichtsräte, wie er gesetzlich für deutsche Unternehmen geregelt ist. „Diese Ungleichbehandlung läuft dem gesetzlichen
Ziel zuwider, die Gleichstellung zu fördern“, so Sick. „Die meisten Verweigerer der Mitbestimmung sind oft auch keine Freunde von Betriebsräten und Tarifverträgen. Im Gegenteil. Viele betreiben Tarifflucht zulasten der Mitarbeiter.“
Grundsätzlich sollen Kapitalgesellschaften europäischen Rechts (SE) den Unternehmen die Möglichkeit erleichtern, europaweit tätig zu sein. Gleichzeitig entfallen mehrere Auflagen des deutschen Rechts, die die Beschäftigten stärken. Während deutsche Kapitalgesellschaften – wie AG oder GmbH – ab 500 inländischen Mitarbeitern den Aufsichtsrat mit einem Drittel und ab 2000 Beschäftigten paritätisch mit Arbeitnehmervertretern besetzen müssen, entfällt diese Vorgabe in der europäischen Form. „Der Mitbestimmungsstatus ist bei der europäischen Rechtsform keine Pflicht, sondern reine Verhandlungssache“, so Sick. Dieser Status werde oft zulasten der Beschäftigten festgeschrieben, egal ob das Unternehmen weiter wachse.
Auch die Pflichten für eine EinDrittel-Besetzung des Aufsichtsrats mit Frauen und die Besetzung von mehr als vierköpfigen Vorständen von börsennotierten Unternehmen mit mindestens einer Frau ist für die SE nicht verpflichtend.
Selbst das europaweite Geschäft scheint oft nur vorgeschoben. „Ein Viertel – 20 von 83 Unternehmen – aller großen deutschen SE ist entgegen deren eigentlichem Zweck ausschließlich oder überwiegend im Inland aktiv“, so die Analyse. „Dazu gehören die Deutsche Wohnen, Alloheim Senioren-Residenzen oder noch etwas kleiner die LEG Immobilien SE“, so Sick.
Unter den großen SE-Unternehmen befinden sich allein 45 in Familienhand – wie Sixt, die Schön Klinik oder die KMG Kliniken und die IT-Gruppe Allgeier – von denen 44, und damit fast alle, die paritätische Mitbestimmung vermeiden. Um den Trend zu stoppen, fordern Gewerkschaften, die Mitbestimmungsrechte unabhängig von Rechtsformen zu verankern.