Weltbürger der klassischen Musik
Kent Nagano wird 70. Der Chefdirigent des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg hat sich sofort in die Hansestadt verliebt
Wenige Wochen vor seinem 70. Geburtstag reist Kent Nagano wieder von Konzertsaal zu Konzertsaal. Erst die Saisoneröffnung an der Hamburgischen Staatsoper mit Jacques Offenbachs Oper „Les Contes d’Hoffmann“, dann Brittens „War Requiem“in der Tonhalle Zürich, die Uraufführung von Bruneau-Boulmiers Klavierkonzert „Terra Nostra“mit dem Deutschen Symphonie-Orchester in Berlin, Messiaens „Turangalîla“-Sinfonie in der neuen Isarphilharmonie und Beethovens „Missa Solemnis“im Kölner Dom mit Concerto Köln. Wie er das alles schafft? „Musik ist eine besondere Kunstform. Sie lebt von Energie und sie gibt Energie. Energie verschwindet nicht, sondern kommt immer wieder zurück“, verrät Nagano.
Die Corona-Zeit hat der Amerikaner mit japanischen Wurzeln zum Üben, Lesen und Batterieaufladen genutzt. „Auf meinem Klavier stapelten sich Berge von Büchern, die ich irgendwann mal lesen wollte. Jetzt liegen dort keine Bücher mehr“, lacht Nagano, der stets sanft und freundlich wirkt. Zum ersten Mal habe er seine Ehefrau, die Pianistin Mari Kodama, so oft gesehen, weil sie beide keine Konzerte mehr geben konnten und in ihrer Pariser Wohnung festsaßen. „Normalerweise sehen wir uns nicht so oft. Das war ein sehr schönes Erlebnis:
Frühstück, Mittagessen und Abendessen gemeinsam zu verbringen.“Auch ihre Tochter Karin Kei Nagano war zufällig in Paris gestrandet.
Kritiker loben den profilierten Neustart
Seit 2015 ist Nagano Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper und Chefdirigent des Philharmonischen Staatsorchesters. Zusammen mit Opernintendant Georges Delnon startete er eine neue Ära, Kritiker lobten den profilierten Neustart und Nagano, weil er die Hamburger Oper musikalisch wieder vorangebracht habe. Vom ersten Tag an habe er sich in die Hansestadt verliebt, sagt Nagano: „Die Gesellschaft, die Kultur, die musikalische Tradition“. Und natürlich die Elbphilharmonie – für ihn einer der besten Konzertsäle der Welt. „Ich liebe den Saal. Er ist sehr ehrlich. Man hört alles. Das ist auch eine sehr große Herausforderung, man muss wirklich gut spielen“.
Aufgewachsen ist Nagano in Morro Bay, einem kleinen Fischerdorf an der kalifornischen Küste – ohne Fernsehen, Kino und Stereoanlage. Ein engagierter Musiklehrer weckte in ihm die Leidenschaft für Musik – schon früh lernte er Klavier, Klarinette und Bratsche zu spielen. Mit acht Jahren dirigierte er den Kirchenchor in seinem Dorf. Nach seiner Ausbildung in den USA setzte der Dirigent, der für seine leisen Töne und seine unorthodoxe
Programmauswahl bekannt ist, seine Karriere in Europa fort. Er dirigierte Werke des französischen Komponisten Olivier Messiaen oder spielte mit dem London Symphony Orchestra Orchesterwerke des anarchischen Rockmusikers Frank Zappa ein.
Die Corona-Zeit hat Nagano auch genutzt, um seiner Tochter in seiner kalifornischen Heimat das Surfen beizubringen. „Das war für mich eine Rückkehr zu meinen Wurzeln, als ich ein Junge war. Ich surfe immer. Jedes Jahr. Das ist ein idealer Sport, um sich fit zu halten.“Zu seinem 70. Geburtstag am 22. November wünscht er sich, „dass unsere Musik so viele Menschen wie möglich erreicht.“dpa