Wenn der Struwwelpeter plötzlich spricht
Regelschüler aus Bad Tabarz lassen markante Orte in der Gemeinde zu Wort kommen
Bad Tabarz. Ein trauriger Junge macht eine alles verändernde Begegnung im Licht einer Straßenlaterne. Bei einer Beerdigung entspricht die Grabrede vielem, nur nicht dem Verstorbenem. – Geschichten wie diese sind das Ergebnis einer einwöchigen Schreibwerkstatt in Bad Tabarz. Während die mehr als 20 Texte inhaltlich nicht unterschiedlicher sein könnten, ist ihnen eines gemeinsam: In ihnen kommen die Orte, nicht die Menschen zu Wort.
Im Rahmen des Projektes „Interview mit einer Stadt“, initiiert vom Friedrich-Bödecker-Kreis, haben sich 23 Schülerinnen und Schüler der Staatlichen Gemeinschaftsschule „Am Inselsberg“vergangene Woche auf die Suche nach Orten gemacht, die ihre Geschichten erzählen. Von den Ergebnissen der Texte sind nicht nur die Mitwirkenden und ihre Lehrerin überrascht, sondern auch die Schüler selbst.
„Ich habe mich in meiner Geschichte auch ein bisschen wiedergefunden“, sagte Angelina Flachsbarth, die über den Jungen geschrieben hat, der von einer Straßenlaterne
beobachtet wird. Auch wenn die 14-Jährige aus Langenhain zugibt, dass sie am Anfang Schwierigkeiten hatte, sich auf das Schreiben einzulassen, findet sie fünf Tage später das Projekt „echt gut“.
Vor allem kreative Ideen schreibend in Form zu bringen, war für die meisten der Jugendlichen eine neue Erfahrung. Darum weiß auch Ellen Scherzer. Sie hatte die Idee zu dem Projekt, mit dem sie bereits in mehreren Orten zu Gast war. „Wir bieten damit auch sozial benachteiligten Kindern die Möglichkeit, Kultur zu schaffen, indem sie den Heimatort neu entdecken“, sagte Scherzer und wies daraufhin, dass vor allem in ländlichen Regionen kaum vergleichbare Angebote bereitstünden.
Wohl auch aus diesem Grund rannte die Projektkoordinatorin mit ihrem Angebot offene Türen bei der Bibliothekarin Sandra Große ein, die den Kontakt zu Deutschlehrerin Iris Bauer herstellte. Wenig später fanden sich die Jugendlichen nicht im Klassenraum, sondern in der Textwerkstatt im „Kukuna“wieder, wo sie unter anderem mit Autor Bernd Ritter an ihren Texten feilten.
„Man hat anfangs gespürt, dass es für die Jugendlichen ungewohnt ist, in sich zu schauen und mit den eigenen Gefühlen umzugehen“, meinte Ritter. Doch nicht nur für die Jugendlichen war das lange, konzentrierte Arbeiten am selben Text ein Aha-Erlebnis. „Für mich war das Projekt auch ein Gewinn. Ich erkenne mich selbst in den jungen Leuten wieder“, so der Autor.
Die fertigen Texte werden nun bald auch öffentlich vorgestellt. Zudem sei eine Ausstellung geplant.