Die alte Heimat mit neuen Augen gesehen
Miku Sophie Kühmels Zeit als Gothas Stadtschreiberin geht zu Ende. Für die aufstrebende Autorin bleibt die Rückkehr ein Intermezzo
Gotha. Mit Tristesse grüßt der Hauptbahnhof die dort Aussteigenden – Das Gefühl beim Ankommen in Gotha sei fast dasselbe geblieben, sagt Miku Sophie Kühmel.
Vor mehr als zehn Jahren war sie weggezogen. Die Rückkehr in die alte Heimat hat ihr keine völlig neue Perspektive auf die Stadt gegeben, und doch, sagt sie, habe sich ihre Sicht erweitert.
Nach knapp sechs Monaten Aufenthalt neigt sich ihre Zeit als Stadtschreiberin dem Ende zu. Daraus nimmt sie Inspiration zum Schreiben neuer Bücher mit, und den Mut, die eigene Herkunft mehr zu erkunden – „Über Ostdeutsche zu schreiben, davor habe ich mich eine Zeit lang gedrückt“, sagt sie.
Miku Sophie Kühmel ist die bislang erste Trägerin der Kurd-Laßwitz-Preises, die aus Gotha kommt. Das mag dabei geholfen haben, sich nicht fremd zu fühlen, obwohl die Pandemie den Aufenthalt der Stadtschreiberin erneut schwierig gestaltet hat. Vorgenommen hatte sie sich unter anderem, mit Jugendlichen in Kontakt zu treten. Immerhin kennt sie Gotha aus ihrer eigenen Jugend.
Gelungen ist das mit einem Hörspiel-Workshop, den Kühmel mit Schülerinnen und Schülern des Ernestinums im Sommer veranstaltete. Dabei diente ihr die Erfahrung als Podcast-Produzentin. Ansonsten gestaltete sich der Zugang durch den wenigen Präsenzunterricht schwierig.
Umso mehr konzentrierte sie sich auf das Schreiben. Fertiggestellt habe sie ihr zweites Buch über drei Schwestern in unterschiedlichen Lebensphasen. Der Nachfolger ihres Romans „Kintsugi“, der es 2019 auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat, falle mehr in die Belletristik und erscheint voraussichtlich im Herbst 2022. Miku Sophie Kühmel plant zudem, ein Buch mit Bezug zur Künstlerin Hannah Höch zu schreiben, ebenfalls eine Tochter Gothas.
Figuren schreiben, die keine Klischees bedienen
Das gerade fertiggestellte Buch spielt in Sachsen-Anhalt und Berlin. Zuletzt habe sie erstmals bewusst über junge Menschen geschrieben, die aus dem Osten kommen. „Das war eine Überwindung“, sagt sie, auch weil sie beim Thema Ostdeutschland nicht in Klischees über Rechtsruck und Demokratiemüdigkeit verfallen wolle.
Gleichwohl will sie die politische Stimmung thematisieren. Angesichts der Bundestagswahlergebnisse im Landkreis sagt sie: „Es macht mir Angst zu sehen, wie sich alles verschoben hat.“Zum Diskurs über Ostdeutschland gehört auch das Sprechen über die DDR, die die 1992 geborene Autorin nicht mehr miterlebt hat, sich dazu dennoch äußern will. „Man wird in dieser Generation eher damit konfrontiert, wie jung man sei und wie wenig man davon wüsste“, sagt Kühmel. Der Diskurs müsse jedoch auch jene einschließen, die wenig über die Zeit sagen können. „Ich traue mir jetzt zu, als Nachwendekind eine Perspektive auf Ostdeutschland zu haben.“
Ihren Erfahrungen gibt Miku Sophie Kühmel insbesondere durch die Kolumnen Ausdruck, die sie alle zwei Wochen in dieser Zeitung veröffentlicht. Das sei für sie anfangs ein schwieriges Format gewesen, weil sie auch sehr persönliche Erfahrungen anspricht.
Sie schreibt über Geschlechterrollen, sogenannte Problemzonen ihres Körpers und ihre Schulzeit, in der sie von der Flucht aus der Kleinstadt träumte. Für Gotha wünscht sie sich in Zukunft noch mehr kulturelle Anreize, so dass ein Angebot entsteht, dass möglichst viele Menschen verschiedenster Altersgruppen gleichsam anspricht.
Für die nachfolgenden Jahre hofft Miku Sophie Kühmel, dass auch Schreibende mit Kind erwägen, nach Gotha zu kommen. Dort wären mit der Stadtschreiberwohnung und der flächendeckenden Kinderbetreuung gute Voraussetzungen gegeben – ganz anders als bei den meisten Stipendien. Ende des Monats geht es für Miku Sophie Kühmel zurück nach Berlin. Sie brauche die Großstadt und die Vielfalt dort. „Ich bin aber nicht auf und davon“, sagt sie. Durch das HannahHöch-Buchprojekt bleibe sie mit Gotha verbunden.