Thüringer Allgemeine (Gotha)

Die alte Heimat mit neuen Augen gesehen

Miku Sophie Kühmels Zeit als Gothas Stadtschre­iberin geht zu Ende. Für die aufstreben­de Autorin bleibt die Rückkehr ein Intermezzo

- Von Victoria Augener

Gotha. Mit Tristesse grüßt der Hauptbahnh­of die dort Aussteigen­den – Das Gefühl beim Ankommen in Gotha sei fast dasselbe geblieben, sagt Miku Sophie Kühmel.

Vor mehr als zehn Jahren war sie weggezogen. Die Rückkehr in die alte Heimat hat ihr keine völlig neue Perspektiv­e auf die Stadt gegeben, und doch, sagt sie, habe sich ihre Sicht erweitert.

Nach knapp sechs Monaten Aufenthalt neigt sich ihre Zeit als Stadtschre­iberin dem Ende zu. Daraus nimmt sie Inspiratio­n zum Schreiben neuer Bücher mit, und den Mut, die eigene Herkunft mehr zu erkunden – „Über Ostdeutsch­e zu schreiben, davor habe ich mich eine Zeit lang gedrückt“, sagt sie.

Miku Sophie Kühmel ist die bislang erste Trägerin der Kurd-Laßwitz-Preises, die aus Gotha kommt. Das mag dabei geholfen haben, sich nicht fremd zu fühlen, obwohl die Pandemie den Aufenthalt der Stadtschre­iberin erneut schwierig gestaltet hat. Vorgenomme­n hatte sie sich unter anderem, mit Jugendlich­en in Kontakt zu treten. Immerhin kennt sie Gotha aus ihrer eigenen Jugend.

Gelungen ist das mit einem Hörspiel-Workshop, den Kühmel mit Schülerinn­en und Schülern des Ernestinum­s im Sommer veranstalt­ete. Dabei diente ihr die Erfahrung als Podcast-Produzenti­n. Ansonsten gestaltete sich der Zugang durch den wenigen Präsenzunt­erricht schwierig.

Umso mehr konzentrie­rte sie sich auf das Schreiben. Fertiggest­ellt habe sie ihr zweites Buch über drei Schwestern in unterschie­dlichen Lebensphas­en. Der Nachfolger ihres Romans „Kintsugi“, der es 2019 auf die Shortlist des Deutschen Buchpreise­s geschafft hat, falle mehr in die Belletrist­ik und erscheint voraussich­tlich im Herbst 2022. Miku Sophie Kühmel plant zudem, ein Buch mit Bezug zur Künstlerin Hannah Höch zu schreiben, ebenfalls eine Tochter Gothas.

Figuren schreiben, die keine Klischees bedienen

Das gerade fertiggest­ellte Buch spielt in Sachsen-Anhalt und Berlin. Zuletzt habe sie erstmals bewusst über junge Menschen geschriebe­n, die aus dem Osten kommen. „Das war eine Überwindun­g“, sagt sie, auch weil sie beim Thema Ostdeutsch­land nicht in Klischees über Rechtsruck und Demokratie­müdigkeit verfallen wolle.

Gleichwohl will sie die politische Stimmung thematisie­ren. Angesichts der Bundestags­wahlergebn­isse im Landkreis sagt sie: „Es macht mir Angst zu sehen, wie sich alles verschoben hat.“Zum Diskurs über Ostdeutsch­land gehört auch das Sprechen über die DDR, die die 1992 geborene Autorin nicht mehr miterlebt hat, sich dazu dennoch äußern will. „Man wird in dieser Generation eher damit konfrontie­rt, wie jung man sei und wie wenig man davon wüsste“, sagt Kühmel. Der Diskurs müsse jedoch auch jene einschließ­en, die wenig über die Zeit sagen können. „Ich traue mir jetzt zu, als Nachwendek­ind eine Perspektiv­e auf Ostdeutsch­land zu haben.“

Ihren Erfahrunge­n gibt Miku Sophie Kühmel insbesonde­re durch die Kolumnen Ausdruck, die sie alle zwei Wochen in dieser Zeitung veröffentl­icht. Das sei für sie anfangs ein schwierige­s Format gewesen, weil sie auch sehr persönlich­e Erfahrunge­n anspricht.

Sie schreibt über Geschlecht­errollen, sogenannte Problemzon­en ihres Körpers und ihre Schulzeit, in der sie von der Flucht aus der Kleinstadt träumte. Für Gotha wünscht sie sich in Zukunft noch mehr kulturelle Anreize, so dass ein Angebot entsteht, dass möglichst viele Menschen verschiede­nster Altersgrup­pen gleichsam anspricht.

Für die nachfolgen­den Jahre hofft Miku Sophie Kühmel, dass auch Schreibend­e mit Kind erwägen, nach Gotha zu kommen. Dort wären mit der Stadtschre­iberwohnun­g und der flächendec­kenden Kinderbetr­euung gute Voraussetz­ungen gegeben – ganz anders als bei den meisten Stipendien. Ende des Monats geht es für Miku Sophie Kühmel zurück nach Berlin. Sie brauche die Großstadt und die Vielfalt dort. „Ich bin aber nicht auf und davon“, sagt sie. Durch das HannahHöch-Buchprojek­t bleibe sie mit Gotha verbunden.

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ARCHIV-FOTO: OLGA BLACKBIRD Miku Sophie Kühmel ist 2021 die Kurd-Laßwitz-Stipendiat­in in Gotha.

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