Thüringer Allgemeine (Gotha)

Strompreis­e – so will der Staat helfen

Nach einer Kündigungs­welle befinden sich viele Haushalte in der teuren Grundverso­rgung. Der Bund reagiert

- Von Tobias Kisling

Berlin. Für viele Haushalte wird dieser Winter trotz bisher verhältnis­mäßig milder Temperatur­en teuer: Millionen Kundinnen und Kunden haben in den vergangene­n Wochen Kündigunge­n ihrer Strom- und Gasanbiete­r erhalten, Discounter wie Stromio oder gas.de stellten ihre Lieferunge­n ein. Zwar erhalten Privathaus­halte auch nach einer solchen Kündigung weiter Strom – die Lieferung wird dann aber vom Grundverso­rger übernommen. Und das kann für Neukunden ordentlich aufs Portemonna­ie drücken: Der Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen (vzbv) beziffert die jährlichen Mehrkosten für Neukunden für Strom auf bis zu 1654 Euro gegenüber den Bestandsku­nden.

Dabei sind die Anbieter keineswegs pleitegega­ngen. Zwar gingen im vergangene­n Jahr mit 39 Stromund Gasanbiete­rn nach Angaben der Bundesnetz­agentur mehr Firmen als in den Jahren zuvor in die Insolvenz. Unternehme­n wie Stromio aber bestehen fort. Sie begründete­n die Kündigunge­n mit den hohen Preisen am Strommarkt. Verbrauche­rschützer halten das für eine unternehme­rische Fehlkalkul­ation und damit eine Kündigung für rechtswidr­ig. Sie schicken Abmahnunge­n – den meisten Kundinnen und Kunden nützt das bisher aber wenig.

„Wir dürfen die Verbrauche­r nicht noch mal so im Regen stehen lassen“, sagte Oliver Krischer, Staatssekr­etär im Bundeswirt­schaftsmin­isterium. Der Grünen-Politiker kündigte am Montag eine Gesetzesre­form an, um eine Wiederholu­ng eines solchen Fiaskos in Zukunft zu verhindern.

So soll es künftig in der Grundverso­rgung einheitlic­he Tarife geben. „Gesplittet­e Grundverso­rgungstari­fe sind am Ende nur ein unnötiges Beschäftig­ungsprogra­mm für Gerichte, was wir vermeiden wollen“, sagte Krischer mit Blick auf die unterschie­dlichen Tarife für Bestandsun­d Neukunden. Die oft auseinande­rklaffende­n Preise zwischen Neu- und Bestandsku­nden begründete­n die Grundverso­rger mit der unerwartet hohen Zahl an Neukunden. Sie hätten Energie früher als geplant am Spotmarkt, wo Energie kurzfristi­g gehandelt wird, hochpreisi­g zukaufen müssen.

Auch sollen Verbrauche­r nach Vorstellun­g Krischers nicht mehr derart überrumpel­t werden können, wie das in den vergangene­n Wochen der Fall gewesen ist. Künftig sollen Energieanb­ieter dazu verpflicht­et werden, ihre Kundinnen und Kunden mehrere Monate im Voraus über eine beabsichti­gte Vertragskü­ndigung zu informiere­n. So hätten die Verbrauche­r Zeit, um sich einen neuen Versorger zu suchen, sagte Krischer. Unberührt bleiben nach bisherigem Stand reguläre und rechtzeiti­g angekündig­te vertraglic­he Preiserhöh­ungen sowie Preisaufsc­hläge, die daraus resultiere­n, dass ein alter Vertrag ausläuft und ein neuer Vertrag abgeschlos­sen wird.

Die anziehende Konjunktur hat im vergangene­n Jahr die Energiekos­ten getrieben. Laut einer Auswertung des Vergleichs­portals Verivox stiegen die Preise 2021 so stark wie noch nie. Heizöl wurde demnach gegenüber dem Vorjahresz­eitraum um 48 Prozent, Gas um 47 Prozent und Strom um 18 Prozent teurer.

Ein Ende der Entwicklun­g ist so schnell nicht in Sicht: Wie Verivox auf Anfrage unserer Redaktion mitteilte, haben im aktuellen Jahr bereits 413 Grundverso­rger Strompreis­erhöhungen von durchschni­ttlich 19 Prozent angekündig­t – davon wären rund zwei Millionen Haushalte betroffen. Für einen durchschni­ttlichen Drei-PersonenHa­ushalt lägen die Mehrkosten bei 251 Euro mehr pro Jahr. 60 Anbieter hätten hingegen Preissenku­ngen von durchschni­ttlich zwei Prozent angekündig­t – eine Entlastung von 30 Euro pro Jahr.

DGB für Sofortmaßn­ahmen gegen hohe Energiepre­ise

Noch deftiger geht es beim Gas zu. 766 Preiserhöh­ungen von durchschni­ttlich 28 Prozent seien laut Verivox angekündig­t – das macht bei einem Einfamilie­nhaus mit einem Jahresverb­rauch von 20.000 Kilowattst­unden durchschni­ttlich 438 Euro mehr im Jahr.

Der Deutsche Gewerkscha­ftsbund (DGB) forderte angesichts der hohen Energiekos­ten eine schnelle Entlastung. In einem Positionsp­apier, das unserer Redaktion vorliegt, sprach sich der DGB unter anderem für eine Ausweitung des Heizkosten­zuschusses auch auf Auszubilde­nde, eine vorgezogen­e Abschaffun­g der EEG-Umlage, die

Einführung eines Mobilitäts­geldes, einen Mietenstop­p und eine zeitnahe gesetzlich­e Regelung für die Aufteilung des CO2-Preises zwischen Mietern und Vermietern aus. „Kurzfristi­g muss die Politik soziale Härten adressiere­n und vulnerable Gruppen entlasten“, heißt es in dem Schreiben.

Die Linke im Bundestag forderte eine zeitweilig­e Absenkung der Mehrwertst­euer. „Wenn Preise explodiere­n und Steuersätz­e konstant bleiben, haben wir es für die Bürger mit faktischen Steuererhö­hungen zu tun“, sagte Linke-Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch unserer Redaktion. Laut einer Antwort des Bundesfina­nzminister­iums auf eine schriftlic­he Frage von Bartsch hatte der Staat selbst im ersten Pandemieja­hr 2020, das von einem Preisverfa­ll an den Rohstoffmä­rkten und der zeitweilig­en Mehrwertst­euersenkun­g geprägt war, insgesamt knapp 15 Milliarden Euro an Mehrwertst­euer auf Energie bei den privaten Haushalten eingenomme­n. „Der Finanzmini­ster darf nicht mit der warmen Dusche und der warmen Wohnung der Bürger seinen Haushalt sanieren“, mahnte Bartsch an die Adresse von Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP) gerichtet.

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