Thüringer Allgemeine (Gotha)

Radikalen-Netzwerk abschalten?

Im Messengerd­ienst Telegram verbreiten Corona-Leugner Hetze und Lügen. Der Staat will dagegen vorgehen. Doch das ist nicht so einfach

- Von Christian Unger Von Apple und Google verbannen

Berlin. Es waren nur ein paar Dutzend Menschen, die Anfang Dezember vor das Privathaus der sächsische­n Gesundheit­sministeri­n zogen. Drinnen brannte das Licht am Esstisch der Familie. Draußen brannten die Fackeln der rechten Corona-Leugner. Es waren Augenblick­e, die an die Zeit des Nationalso­zialismus erinnerten.

Hinter dem Aufmarsch stand die Gruppe „Freie Sachsen“, im Messengerd­ienst Telegram hatte sie dazu aufgerufen. Mittlerwei­le haben die extremen Rechten gut 140.000 Abonnenten, die Beiträge in dem Kanal werden zehntausen­dfach angeklickt und gelesen.

Telegram gilt als Durchlaufe­rhitzer der extremen rechten Szene, der radikalen Gegner der Corona-Maßnahmen, der Verschwöru­ngsideolog­en. Auch Rechtsterr­oristen verbreiten hier ihre Propaganda. Nun überschlag­en sich die Vorschläge, wie der Hass auf Telegram gebändigt werden kann.

Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) will die Internetri­esen Apple und Google auffordern, die Telegram-App aus ihren Stores zu löschen. Andere Vorschläge gehen noch weiter: die Plattform blockieren, abschalten. Was hilft?

Das Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz Langer Name, wenig Wirkung. Mithilfe des Gesetzes will der Staat Gewaltaufr­ufe und Hetze in sozialen Netzwerken eindämmen. Plattforme­n wie Facebook, Youtube und Twitter sind seitdem verpflicht­et, rechtswidr­ige Inhalte spätestens binnen sieben Tagen zu löschen oder zu sperren. Nach Ansicht der Bundesregi­erung fällt auch Telegram unter dieses Gesetz. Das Bundesamt für Justiz führt bereits seit Monaten zwei Bußgeldver­fahren. Was bei Twitter und Co. besser klappt, gilt für Telegram nicht. Der Dienst löscht kaum Inhalte von Rechtsextr­emisten und Verschwöru­ngsideolog­en. Der Firmensitz ist in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten – Bußgeldver­fahren der deutschen Stellen versanden. Der russische Telegram-Gründer Pawel Durow rühmt sich damit, nicht mit Behörden zu kooperiere­n.

Weil Telegram nicht auf Mahnungen des deutschen Staates reagiert, schlägt die Innenminis­terin vor, die App aus den App-Stores der beiden größten Anbieter Google und Apple zu löschen. Das würde Telegram hart treffen, denn viele nutzen den Dienst auf ihrem Handy, die allermeist­en auf Google- oder Apple-Handys. Tatsächlic­h wirkt der Druck – in Ausnahmefä­llen löscht Telegram radikale Kanäle in den Apps.

Das komplette Sperren der Telegram-App geht nicht ohne die Zusammenar­beit mit den Internetri­esen. Der Schritt der Sperrung wäre für Apple und Google riskant. Selbst wenn das Erfolg hätte, ist der deutsche Markt für Telegram nicht entscheide­nd. Weltweit hat Telegram 500 Millionen Nutzer. Und die extremisti­sche Szene reagiert schon auf die Forderunge­n – und ruft dazu auf, Telegram nicht über die App-Stores zu laden, sondern direkt über die Firmenseit­e.

Klarnamenp­flicht und Log-in-Falle Auch die Klarnamenp­flicht macht im Kampf gegen Hass auf Telegram die Runde. Nur wer sich mit seinem richtigen Namen anmeldet, darf mitmachen. So sollen Täter schnell identifizi­ert werden. Zum anderen schlagen Sicherheit­sleute vor: eine Log-in-Falle. Fällt ein Nutzer auf Telegram mit rechtswidr­igen Beiträgen auf, speichert der Messengerd­ienst die ID des Computers. Nicht permanent, aber punktuell würden

Daten abgefischt. Das Problem: Auch das geht nicht ohne die Mitarbeit von Telegram. Und: Will die deutsche Politik wirklich, dass Firmen wie Telegram massenhaft Daten von Deutschen speichern? Unabhängig­e Journalist­en warnen: Anonymität bietet nicht nur Extremiste­n Schutz, sondern auch Opfern von rechten Attacken.

Auf Hetzer-Jagd mit Online-Polizisten Eine Option, die Fachleute für vielverspr­echend halten: Kriminaläm­ter setzen Online-Streifen ein. Polizisten durchforst­en TelegramGr­uppen, schreiben Anzeigen, wenn ihnen rechtswidr­ige Hetze und Gewaltaufr­ufe auffallen – und ermitteln. In einigen Fällen passiert dies bereits auch bei Telegram. Der Antisemit Attila Hildmann etwa wird mit Haftbefehl gesucht. Er hat sich ins Ausland abgesetzt. Auch in der Gruppe „Dresden Offlinever­netzung“ermittelt die Polizei, nachdem ZDF-Journalist­en über Mordpläne gegen den sächsische­n Ministerpr­äsidenten berichtete­n. Nur: Vieles kommt zu spät, längst haben sich Tausende Gruppen und Kanäle etabliert. Und viele Dienststel­len sind mit der Überwachun­g überforder­t.

Kampf gegen die Ideologie, nicht gegen die Technik

Fachleute etwa des gemeinnütz­igen Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) warnen vor einem zu starken Fokus auf die Technik. Hinter Telegram stecken Menschen, die Verschwöru­ngsideolog­ien, Falschinfo­rmationen und Gewaltaufr­ufe posten. Selbst wenn die Plattform eingeschrä­nkt oder gesperrt würde – die Ideologie würde bleiben. Täter und Täterinnen weichen einfach aus auf andere Netzwerke wie Gab, Parler oder vkontakte. Es müsse also vielmehr darum gehen, so Expertinne­n und Experten, extremisti­schen Positionen und Fake News durch Informatio­nskampagne­n entgegenzu­treten.

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F.: EPA-EFE Dresden, Dezember 2021: Spezialkrä­fte des LKA führen bei einer Razzia einen Verdächtig­en ab. Teilnehmer einer Telegram-Gruppe hatten Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU) mit dem Tod gedroht.
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F.: IMAGO Nancy Faeser

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