Nato rüstet für Putins Angriff auf die Ukraine
Mehrere Bündnispartner verlegen Truppen an die Ostflanke der Allianz – Großmanöver im Mittelmeer
Berlin/Brüssel/Washington. Nachdem der russische Präsident Wladimir Putin seine Truppen an der Grenze zur Ukraine aufmarschieren ließ, schaltet der Westen jetzt in Alarmbereitschaft: Mit einem Manöver, zusätzlichen Truppen in Osteuropa und verstärkter Waffenhilfe für die Ukraine machen die NatoStaaten mobil.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg kündigte an, mehrere Staaten der Allianz würden Truppen in Bereitschaft versetzen oder zusätzliche Flugzeuge und Schiffe in Osteuropa stationieren, um die Abschreckung und Verteidigungsbereitschaft gegenüber Russland zu verstärken. Er bestätigte zugleich Überlegungen der USA, „ihre militärische Präsenz im östlichen Bündnisgebiet der Nato zu erhöhen“.
Nach amerikanischen Medienberichten sind auf Geheiß von US-Präsident Joe Biden 8500 Soldaten in Alarmbereitschaft versetzt worden. Ob und wann sie an der Ost-Flanke der Nato eingesetzt werden, ist nach Angaben von Pentagon-Sprecher John Kirby noch nicht entschieden. Biden erwägt zudem die Stationierung von Kriegsschiffen und Flugzeugen im Baltikum, in Rumänien und Polen. Bisher sind in den genannten Ländern laut Pentagon rund 10.000 US- und Nato-Soldaten am Boden. Sollte Russland in die Ukraine einmarschieren, könne die Truppenzahl verzehnfacht werden, sagen Pentagon-Offizielle.
Nach Stoltenbergs Angaben wird Dänemark eine Fregatte in die Ostsee entsenden und vier F-16-Kampfbomber in Litauen stationieren. Spanien schicke Schiffe für den gemeinsamen Marineeinsatz im Schwarzen Meer und bereite die Entsendung von Kampfjets nach Bulgarien vor. Frankreich sei bereit, Truppen unter Nato-Kommando nach Rumänien zu schicken. Die Niederlande setzen demnach ein Schiff und Soldaten in Bereitschaft, wollen mit zwei Kampfjets die Luftüberwachung in Bulgarien verstärken. Am Montag begann die Nato im Mittelmeer ein Marinemanöver, an dem auch der US-Flugzeugträger Harry Truman teilnimmt.
Das US-Außenministerium warnt vor Russland-Reisen Angesichts dieser Entwicklung beginnen mehrere westliche Staaten, ihr Botschaftspersonal auf einen Abzug vorzubereiten. Das USAußenministerium wies Familienmitglieder von Botschaftsangehörigen in Kiew an, das Land zu verlassen. Zudem warnte es nachdrücklich vor Reisen nach Russland.
Großbritannien zieht ebenfalls bereits Botschaftspersonal ab. Deutschland plane einen solchen Schritt derzeit nicht, sagte Außenministerin Annalena Baerbock am Rande eines EU-Außenministertreffens in Brüssel, zu dem auch der USChefdiplomat Antony Blinken per Video zugeschaltet war. Allerdings erklärte das Auswärtige Amt in Berlin, Familienangehörigen von Botschaftsmitarbeitern werde eine freiwillige Ausreise finanziert.
Die Ukraine wies derartige Maßnahmen zurück. „Die ukrainische Seite ist erstaunt über die Entscheidungen des State Departments und des Auswärtigen Amtes. Wir glauben, dass diese Schritte voreilig sind und die ukrainische Öffentlichkeit unnötig verunsichern können“, sagte der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, unserer Redaktion.
Der russische Botschafter in Berlin, Sergej Netschajew, mahnte eine baldige Inbetriebnahme der Erdgaspipeline Nord Stream 2 in Deutschland an. „Wir haben mehrmals ausdrücklich betont, dass Nord Stream 2 ein rein privatwirtschaftliches, kommerzielles Projekt ist, das nicht mit Politik in Verbindung gebracht werden sollte. Eine grundsätzlich ähnliche Position vertritt auch die neue Bundesregierung“, sagte Netschajew unserer Redaktion.
Eine zunehmende Zahl von Nato-Staaten beteiligt sich auch an Waffenhilfe für die Ukraine. Die USA haben kurzfristig rund 90 Tonnen Material nach Kiew geflogen. Insgesamt kündigte Washington kurzfristig Militärhilfe im Umfang von 200 Millionen Dollar an, wozu auch Transporthubschrauber gehören. Großbritannien fliegt rund 2000 Panzerabwehrwaffen nach Kiew. Estland will ebenfalls Waffen für die Panzerabwehr liefern, Lettland und Litauen wollen Luftabwehrwaffen schicken. Russische Diplomaten dpa
quittierten das mit scharfer Kritik. „Dass die Ukraine mit Waffen der westlichen Staaten vollgepumpt und somit militärisch weiter erschlossen wird, ist für die Regelung dieses innerukrainischen Konflikts absolut schädlich und kontraproduktiv“, so Netschajew.
Die Bundesregierung prüft eine von Estland beantragte Genehmigung für eine Waffenlieferung an die Ukraine. Diese ist erforderlich, weil die Haubitzen aus DDR-Altbeständen mit Auflagen zunächst an Finnland verkauft und dann später von dort an Estland gegeben worden waren. Es gehe „in diesem Fall nicht um deutsche Waffenlieferungen, sondern um Waffenlieferungen aus Estland“, sagte Vizeregierungssprecherin Christiane Hoffmann. Die Bundesregierung habe ihre Haltung gegenüber Waffenlieferungen in die Ukraine nicht verändert: „Keine Genehmigung für die Lieferung von letalen Kriegswaffen.“
Die Ukraine rügte die Haltung der Bundesregierung. „Die ukrainische Regierung wird nicht aufhören, die Ampel-Koalition und die Opposition dazu zu drängen, die bestehende ungerechte und gar nicht nachvollziehbare Verweigerung Deutschlands endlich zu brechen und uns dringend mit Verteidigungswaffen zu versorgen“, betonte Melnyk.