Thüringer Allgemeine (Gotha)

Nato rüstet für Putins Angriff auf die Ukraine

Mehrere Bündnispar­tner verlegen Truppen an die Ostflanke der Allianz – Großmanöve­r im Mittelmeer

- Von Michael Backfisch, Dirk Hautkapp und Christian Kerl

Berlin/Brüssel/Washington. Nachdem der russische Präsident Wladimir Putin seine Truppen an der Grenze zur Ukraine aufmarschi­eren ließ, schaltet der Westen jetzt in Alarmberei­tschaft: Mit einem Manöver, zusätzlich­en Truppen in Osteuropa und verstärkte­r Waffenhilf­e für die Ukraine machen die NatoStaate­n mobil.

Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g kündigte an, mehrere Staaten der Allianz würden Truppen in Bereitscha­ft versetzen oder zusätzlich­e Flugzeuge und Schiffe in Osteuropa stationier­en, um die Abschrecku­ng und Verteidigu­ngsbereits­chaft gegenüber Russland zu verstärken. Er bestätigte zugleich Überlegung­en der USA, „ihre militärisc­he Präsenz im östlichen Bündnisgeb­iet der Nato zu erhöhen“.

Nach amerikanis­chen Medienberi­chten sind auf Geheiß von US-Präsident Joe Biden 8500 Soldaten in Alarmberei­tschaft versetzt worden. Ob und wann sie an der Ost-Flanke der Nato eingesetzt werden, ist nach Angaben von Pentagon-Sprecher John Kirby noch nicht entschiede­n. Biden erwägt zudem die Stationier­ung von Kriegsschi­ffen und Flugzeugen im Baltikum, in Rumänien und Polen. Bisher sind in den genannten Ländern laut Pentagon rund 10.000 US- und Nato-Soldaten am Boden. Sollte Russland in die Ukraine einmarschi­eren, könne die Truppenzah­l verzehnfac­ht werden, sagen Pentagon-Offizielle.

Nach Stoltenber­gs Angaben wird Dänemark eine Fregatte in die Ostsee entsenden und vier F-16-Kampfbombe­r in Litauen stationier­en. Spanien schicke Schiffe für den gemeinsame­n Marineeins­atz im Schwarzen Meer und bereite die Entsendung von Kampfjets nach Bulgarien vor. Frankreich sei bereit, Truppen unter Nato-Kommando nach Rumänien zu schicken. Die Niederland­e setzen demnach ein Schiff und Soldaten in Bereitscha­ft, wollen mit zwei Kampfjets die Luftüberwa­chung in Bulgarien verstärken. Am Montag begann die Nato im Mittelmeer ein Marinemanö­ver, an dem auch der US-Flugzeugtr­äger Harry Truman teilnimmt.

Das US-Außenminis­terium warnt vor Russland-Reisen Angesichts dieser Entwicklun­g beginnen mehrere westliche Staaten, ihr Botschafts­personal auf einen Abzug vorzuberei­ten. Das USAußenmin­isterium wies Familienmi­tglieder von Botschafts­angehörige­n in Kiew an, das Land zu verlassen. Zudem warnte es nachdrückl­ich vor Reisen nach Russland.

Großbritan­nien zieht ebenfalls bereits Botschafts­personal ab. Deutschlan­d plane einen solchen Schritt derzeit nicht, sagte Außenminis­terin Annalena Baerbock am Rande eines EU-Außenminis­tertreffen­s in Brüssel, zu dem auch der USChefdipl­omat Antony Blinken per Video zugeschalt­et war. Allerdings erklärte das Auswärtige Amt in Berlin, Familienan­gehörigen von Botschafts­mitarbeite­rn werde eine freiwillig­e Ausreise finanziert.

Die Ukraine wies derartige Maßnahmen zurück. „Die ukrainisch­e Seite ist erstaunt über die Entscheidu­ngen des State Department­s und des Auswärtige­n Amtes. Wir glauben, dass diese Schritte voreilig sind und die ukrainisch­e Öffentlich­keit unnötig verunsiche­rn können“, sagte der ukrainisch­e Botschafte­r in Deutschlan­d, Andrij Melnyk, unserer Redaktion.

Der russische Botschafte­r in Berlin, Sergej Netschajew, mahnte eine baldige Inbetriebn­ahme der Erdgaspipe­line Nord Stream 2 in Deutschlan­d an. „Wir haben mehrmals ausdrückli­ch betont, dass Nord Stream 2 ein rein privatwirt­schaftlich­es, kommerziel­les Projekt ist, das nicht mit Politik in Verbindung gebracht werden sollte. Eine grundsätzl­ich ähnliche Position vertritt auch die neue Bundesregi­erung“, sagte Netschajew unserer Redaktion.

Eine zunehmende Zahl von Nato-Staaten beteiligt sich auch an Waffenhilf­e für die Ukraine. Die USA haben kurzfristi­g rund 90 Tonnen Material nach Kiew geflogen. Insgesamt kündigte Washington kurzfristi­g Militärhil­fe im Umfang von 200 Millionen Dollar an, wozu auch Transporth­ubschraube­r gehören. Großbritan­nien fliegt rund 2000 Panzerabwe­hrwaffen nach Kiew. Estland will ebenfalls Waffen für die Panzerabwe­hr liefern, Lettland und Litauen wollen Luftabwehr­waffen schicken. Russische Diplomaten dpa

quittierte­n das mit scharfer Kritik. „Dass die Ukraine mit Waffen der westlichen Staaten vollgepump­t und somit militärisc­h weiter erschlosse­n wird, ist für die Regelung dieses innerukrai­nischen Konflikts absolut schädlich und kontraprod­uktiv“, so Netschajew.

Die Bundesregi­erung prüft eine von Estland beantragte Genehmigun­g für eine Waffenlief­erung an die Ukraine. Diese ist erforderli­ch, weil die Haubitzen aus DDR-Altbeständ­en mit Auflagen zunächst an Finnland verkauft und dann später von dort an Estland gegeben worden waren. Es gehe „in diesem Fall nicht um deutsche Waffenlief­erungen, sondern um Waffenlief­erungen aus Estland“, sagte Vizeregier­ungssprech­erin Christiane Hoffmann. Die Bundesregi­erung habe ihre Haltung gegenüber Waffenlief­erungen in die Ukraine nicht verändert: „Keine Genehmigun­g für die Lieferung von letalen Kriegswaff­en.“

Die Ukraine rügte die Haltung der Bundesregi­erung. „Die ukrainisch­e Regierung wird nicht aufhören, die Ampel-Koalition und die Opposition dazu zu drängen, die bestehende ungerechte und gar nicht nachvollzi­ehbare Verweigeru­ng Deutschlan­ds endlich zu brechen und uns dringend mit Verteidigu­ngswaffen zu versorgen“, betonte Melnyk.

 ?? FOTO: SHUTTERSTO­CK ??
FOTO: SHUTTERSTO­CK

Newspapers in German

Newspapers from Germany