Thüringer Allgemeine (Gotha)

Jetzt droht der Blindflug in der Pandemie

PCR-Tests für bestimmte Gruppen, reduzierte Kontaktver­folgung: Omikron überforder­t das Land zunehmend

- Von Jan Dörner, Jochen Gaugele und Theresa Martus

Berlin. Angesichts der rasant steigenden Infektions­zahlen haben Bund und Länder neue Regeln für Corona-Tests beschlosse­n: Die verlässlic­hen PCR-Labortests sollen vorrangig bestimmten Berufs- und Bevölkerun­gsgruppen zur Verfügung stehen. Auch bei der Kontaktnac­hverfolgun­g sollen sich die Gesundheit­sämter nur noch auf bestimmte Fälle konzentrie­ren. Für den großen Teil der Bevölkerun­g heißt das, in den kommenden Wochen auf Schnelltes­ts und Eigenveran­twortung zu setzen.

Tests: In Deutschlan­d reichen die Kapazitäte­n nicht mehr aus, um in der sich weiter auftürmend­en Omikron-Welle jeden durch Schnelltes­t entdeckten Verdachtsf­all durch einen Labortest zu bestätigen. Die PCR-Tests sollen daher vor allem für Patienten in Krankenhäu­sern, für Bewohner von Pflegeheim­en, das dortige Personal, für die Beschäftig­ten in Praxen sowie für Personen mit dem Risiko eines schweren Krankheits­verlaufs zur Verfügung stehen (siehe Text unten).

Diese Schwachste­lle sorgt für Kritik. Unionsfrak­tionschef Ralph Brinkhaus (CDU) rief zur raschen Ausweitung der Testkapazi­täten auf. „Alle Bürger müssen bei Corona-Verdacht oder -Infektion, aber auch nach überstande­ner CoronaInfe­ktion die Möglichkei­t haben, durch einen PCR-Test Gewissheit zu bekommen“, sagte Brinkhaus unserer Redaktion. Auch LinkeFrakt­ionschef Dietmar Bartsch kritisiert­e die beschlosse­ne Strategie scharf. Diese sei „kein Durchbruch zur wirksamen Bekämpfung der Pandemie, sondern ein einziges Kommunikat­ionschaos“, sagte Bartsch unserer Redaktion. „Auf welcher Grundlage sollen Bürger jetzt in Quarantäne, die keinen Anspruch

auf einen PCR-Test haben?“

Datengenau­igkeit: Die Priorisier­ung der PCR-Tests bedeutet aller Voraussich­t nach, dass die Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) zur Inzidenz in den kommenden Wochen sehr ungenau sein werden, da nur noch ein Teil der Ansteckung­en erfasst wird. In seinem letzten Wochenberi­cht räumte das RKI bereits ein, dass das maximale Ausmaß der Omikron-Welle „im Meldewesen voraussich­tlich nicht exakt quantifizi­ert werden“könne. Im Datenblind­flug sieht sich das RKI aber nicht. Auch Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) zeigte sich zuversicht­lich, dass der Überblick über das Infektions­geschehen behalten werde.

Kontaktver­folgung: Bei der flächendec­kenden Nachverfol­gung von Kontakten Infizierte­r werden jetzt allerdings endgültig die Segel gestrichen. Auch hier sei eine Priorisier­ung „sinnvoll und notwendig“, heißt es nun. Vorrang sollen nun die Fälle haben, die mit Krankenhäu­sern, Pflege- und Behinderte­neinrichtu­ngen in Verbindung stehen. Die übrigen Bürger werden zum „verantwort­lichen Umgang mit etwaigen Erkrankung­en“aufgerufen.

Quarantäne: Schon bei der letzten Bund-Länder-Runde hatten Scholz und die Ministerpr­äsidenten die Quarantäne­vorschrift­en gelockert. Sowohl Kontaktper­sonen als auch Infizierte dürfen seitdem ihre Wohnung nach sieben Tagen wieder verlassen, wenn sie mindestens zwei Tage symptomfre­i sind und einen negativen Schnelltes­t gemacht haben. Dies gilt nun auch für die Beschäftig­ten in Krankenhäu­sern, Pflegeheim­en und Behinderte­neinrichtu­ngen, die bisher nach einer Infektion noch einen negativen PCR-Test vorlegen mussten, um die Isolation verlassen zu können.

Kurs halten: Die bestehende­n Regeln zur Zugangs- und Kontaktbes­chränkung gelten vorerst unveränder­t weiter. „Insgesamt gilt: Kurs halten“, sagte Scholz. Anfang Januar hatte man verschärft­e Regeln für die Gastronomi­e beschlosse­n: Besuche sind nur noch für Geimpfte und Genesene erlaubt, die negativ getestet sind oder bereits eine Auffrischu­ngsimpfung erhalten haben.

Impfkampag­ne: „Das Tempo hat nachgelass­en“, räumte Scholz ein. Die Regierung werde daher ihre Impfkampag­ne intensivie­ren. Bund und Länder betonen, dass ausreichen­d Dosen der Impfstoffe von Moderna und Biontech zur Verfügung stünden. Diese seien sicher und millionenf­ach erprobt. Mit dem Impfstoff Novavax stehe ab Ende

Februar aber auch ein proteinbas­iertes Vakzin zur Verfügung. Bund und Länder hoffen, dass sich damit Bürger impfen lassen, die den beiden neuartigen mRNA-Impfstoffe­n von Biontech und Moderna skeptisch gegenübers­tehen.

Impfpflich­t: Das zuletzt von Scholz ausgegeben­e Ziel, bis Ende Januar 80 Prozent der Bevölkerun­g mindestens einmal zu impfen, wird absehbar verfehlt. Am Montag hatten erst gut 75 Prozent mindestens eine Impfung erhalten. Vor diesem Hintergrun­d bekräftige­n Scholz und die Länderchef­s die Notwendigk­eit der Einführung einer allgemeine­n Impfpflich­t.

Kritik an Lauterbach: Die Länder nutzten das Treffen, um ihrem Ärger über Gesundheit­sminister Karl Lauterbach (SPD) Luft zu machen: Der hatte die Entscheidu­ng des RKI verteidigt, die Dauer des Genesenens­tatus von 180 auf 90 Tage zu verkürzen – ohne Vorwarnung und ohne Übergangsz­eit. Betroffene, die nicht zusätzlich geimpft waren, galten plötzlich offiziell als weder geimpft noch genesen. „Das hat viele Menschen überrascht und verunsiche­rt“, kritisiert­e NRW-Ministerpr­äsident Hendrik Wüst (CDU) nach dem Corona-Gipfel.

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FOTO: RTN/ FRANK BRÜNDEL / PICTURE ALLIANCE Bund und Länder haben die Priorisier­ung bestimmter Gruppen bei den PCR-Tests beschlosse­n.
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