Markenzeichen: Mittelnaht
Unteres Schloss in Greiz erinnert an Ostthüringer Puppenmacherin Brunhilde Einenkel
Greiz. Mit gerade mal 16 Jahren geht die Greizerin Brunhilde Einenkel 1909 als Kindermädchen nach Italien. Drei Jahre später kümmert sie sich um den Nachwuchs einer Adelsfamilie in München. 1913 übernimmt sie in der bayerischen Landeshauptstadt die Kinderbetreuung der Tochter ihrer Cousine Clara Rilke-Westhoff. Die bekannte Bildhauerin ist damals alleinerziehend, lebt vom Vater ihrer Tochter, dem Dichter Rainer Maria Rilke, getrennt. Sie ist es, die die junge Ostthüringerin Brunhilde Einenkel (1893-1984) anregt, die Lehr- und Versuchsanstalt für Fotografie in München zu besuchen. In der Stadt tummelt sich damals die künstlerische Avantgarde. Die Eindrücke, die Einenkel Anfang des 20. Jahrhunderts dort sammelt, prägen die spätere Puppenmacherin ein Leben lang.
Der Direktor der Museen der Schloss- und Residenzstadt Greiz, Rainer Koch, hat der faszinierenden und toughen Frau im Unteren Schloss die umfangreiche Ausstellung „Einenkel-Puppen – Handmade in Greiz“gewidmet. Anhand von Originalpuppen, Fotografien, Zeichnungen, Katalogen, privaten
Gegenständen und Dokumenten kann der Besucher eintauchen in das Wirken der Textilkünstlerin und das Leben ihrer Zeit zwischen Kaiserreich, Zweitem Weltkrieg und DDR. Die Ausstellung basiert auf dem Nachlass Einenkels, den ihre Nichte vor einigen Jahren den Greizer Museen übergeben hat.
Mehr als 60 Jahre lebt und arbeitet die Puppenmacherin im Oberen Schloss in Greiz. Anfang der 1920er-Jahre war sie in die Stadt ihrer Jugend zurückgekehrt, als ihre Mutter eine Wohnung im Oberen Schloss bezog. 1921 tritt sie eine längere Schweden-Reise an, auf der sie sich mit kleineren Näharbeiten wie Geldbeuteln und ersten Stoffpuppen die Reisekasse aufbessert. Dort entsteht auch die Idee von der eigenen Künstlerpuppen-Werkstatt.
Bis 1958 regelmäßig auf der Leipziger Messe vertreten
Vor 100 Jahren – 1922 – gründet Einenkel mit Hilfe ihres Bruders ihre kunstgewerbliche Firma. Als Logo wählt sie den Kopf einer dunkelhäutigen Puppe. Inspiriert von der Exotik des schwarzen Revuestars Josephine Baker gehören afrikanische Figuren von Anfang an zu ihrem Sortiment. Ihr Markenzeichen wird die übers Gesicht verlaufende Mittelnaht. Durch diese Technik kann sie die Nasenpartie besonders fein ausbilden.
Gefertigt werden die Figuren aus Stoff, Faden, Wolle und Sägespänen. Die Vielfalt ist enorm: Neben den afrikanischen Figuren, die mit Stroh- und Bananenröckchen die Klischees ihrer Zeit bedienen, stellt Einenkel auch unterschiedlichste Trachtenpuppen, Harlekine, Engel und Puppen verschiedener Berufsgruppen her, von der Krankenschwester bis zum Zimmermann. Besonders angetan ist Rainer Koch von ihren Putzfrauen aus den 30erJahren. „Mit den übergroßen Gliedern sind es geradezu brechtsche Figuren“, sagt der Museumsdirektor.
Ihre Künstlerpuppen vertreibt Brunhilde Einenkel deutschlandweit. Auch auf der Leipziger Messe ist sie bis 1958 regelmäßig vertreten. Sind zunächst Kinder ihre erste Zielgruppe, erobern Einenkel-Puppen nach dem Zweiten Weltkrieg auch die Kunstgewerbeläden der DDR. Als Geschenk werden sie auch gern in den Westen verschickt. Um die Nachfrage bedienen zu können, beschäftigt die Künstlerin zwischenzeitlich bis zu fünf Näherinnen. Und auch im nahe gelegenen Gefängnis Hohenleuben lässt sie zeitweilig produzieren.
Auch wenn die Puppenmacherin bereits zu DDR-Zeiten mit einer Vielzahl an Ausstellungen geehrt wurde, bedauert Rainer Koch, dass ihr im geeinten Deutschland nicht die „Aufmerksamkeit zuteilwird, die sie eigentlich verdient hätte“.
Die Ausstellung ist bis 24. April dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr zu besichtigen.