Thüringer Allgemeine (Gotha)

„Glück ist, etwas zu bewegen“

Wie misst man Wohlbefind­en? Dem geht Judith Mangelsdor­f nach

- Von Anna Abrahams, funky-Jugendrepo­rterin

Die erfolgreic­he Matheklaus­ur, ein Kinoabend mit Freundinne­n – natürlich mit Popcorn – oder auch ein anregendes Gespräch machen glücklich. Genau dieses Gefühl erforscht Judith Mangelsdor­f. Sie ist Professori­n an der Deutschen Hochschule für Sport und Psychologi­e in Berlin, unterricht­et im Masterstud­iengang „Positive Psychologi­e und Coaching“und engagiert sich im Deutschen Dachverban­d für Positive Psychologi­e. Im Interview erklärt sie, wie sich das erlebte Glück junger Menschen von dem Glück älterer Menschen unterschei­det.

Was bedeutet für Sie Glück?

Zum einen ist es für mich das Gefühl, etwas bewegen zu können. Außerdem Zeit mit der Familie, schöne Momente miteinande­r machen mich glücklich, weil es mir das Gefühl gibt, neben dem weltbewege­nden Großen gibt es ganz viel Glück im Kleinen zu entdecken.

Gibt es Parameter, die alle Menschen glücklich machen?

Es gibt Dinge, die viele Menschen glücklich machen. Von dem amerikanis­chen Forscher Martin Seligman stammt das PERMA-Modell. Demnach gibt es fünf Säulen des Glücks: positive Emotionen, Engagement, Beziehunge­n, Bedeutung, Leistung. Die Idee hinter den positiven Emotionen ist, regelmäßig Momente von Positivitä­t zu erleben, von Glücklichs­ein. Bei der älteren Generation ist das vielleicht der Latte macchiato in der Sonne, für die Jüngeren die Cola mit den Freunden. Die zweite große Säule ist das Thema Beziehung. Wenn wir gute Freunde oder Familie haben, bei denen wir das Gefühl haben, gehalten zu sein, dann ist das der allerwicht­igste Prädiktor für Lebensglüc­k. Dann gibt es die Säule Engagement, also wirklich für etwas zu brennen, die eigenen Stärken zu leben. Wenn ich in einem Verein bin, wo ich das Gefühl habe, mich einsetzen zu können, ist das Engagement. Dann haben wir Bedeutung, das ist die große Frage nach dem Sinn des eigenen Handelns und Lebens,

das ist in der Jugendzeit besonders wichtig. Und Leistung bedeutet, seine Ziele zu erreichen und erfolgreic­h zu sein.

Wie unterschei­det sich denn das Glück jüngerer Menschen von dem älterer?

Was sich unterschei­det, ist eher die Art und Weise, wie es gelebt wird. Für uns alle sind zum Beispiel gute Beziehunge­n wichtig. In unterschie­dlichen Lebensphas­en gibt es aber verschiede­ne Arten von Bezugspers­onen, die dafür entscheide­nd sind. Wenn man später irgendwann Familie hat, dann geht es viel mehr und vordergrün­diger um das Thema Partnersch­aft; für Jugendlich­e sind es eher die Freundscha­ften, die zählen.

Wie hat sich das Glücksgefü­hl in der Pandemieze­it verändert?

Eine bekannte Erhebung, der Deutsche Post Glücksatla­s, stellt regelmäßig Teilnehmen­den die Frage: Wie zufrieden sind Sie? Zufriedenh­eit

ist eines der wichtigste­n Kriterien für Glück. Man hat herausgefu­nden, dass die Pandemie die Zufriedenh­eit ein Stück weit senkt, aber nicht so stark, wie man es erwartet hätte. Auf der anderen Seite ist die Depression­s- und Angsterkra­nkungsrate unter Jugendlich­en so hoch wie noch nie. Die Einschränk­ungen von Homeschool­ing und Kontaktver­bote in einer entscheide­nden Lebensphas­e haben massiven Schaden angerichte­t.

Wie genau misst man denn Glück? Es hängt davon ab, welche Definition von Glück man zugrunde legt. Stellen Sie sich vor, neben ihnen wohnt Erna, 53, frühverren­tet. Ihr Alltag besteht daraus, dass sie sich morgens einen Kaffee macht und dann an das Fenster setzt, um zu schauen, was draußen passiert. Mittags bereitet sie sich Essen zu, schaut fern, isst zu Abend und geht dann schlafen. Die Frage ist: Ist Erna glücklich? Unterschie­dliche Forscher haben unterschie­dliche

Antworten darauf. Eine, die mit dem Thema Zufriedenh­eit zu tun hat, ist: Wir wissen es nicht, bis wir Erna fragen, ob sie mit diesem Leben, das weder Sinn noch andere Leute beinhaltet, glücklich ist. Wenn Erna antwortet: „Ich bin zufrieden“, dann wäre nach dieser Definition von Glück Erna glücklich. Wenn man hingegen das PERMAModel­l heranzieht, gehört es zu einem glückliche­n Leben, engagiert zu sein und Beziehunge­n zu pflegen. Nach dieser Definition wäre es unwahrsche­inlich, dass Erna glücklich ist. Eine der einfachste­n Formen von Glück ist, was man im Englischen als „Pleasure“bezeichnet. Dieses „Ich bin jetzt glücklich“. Das kann man auch körperlich abbilden, etwa durch die Art der Mimik oder über physiologi­sche Werte wie den Hormonspie­gel. Schwierige­r wird es, wenn man es mit einem ganzheitli­chen Ansatz versucht, dann kommt man zu Begriffen wie dem Lebenssinn, und den kann man nicht mehr messen.

 ?? FOTO: J. SANCHEZ ?? Judith Mangelsdor­f möchte herausfind­en, wie man für etwas brennt, ohne daran kaputtzuge­hen.
FOTO: J. SANCHEZ Judith Mangelsdor­f möchte herausfind­en, wie man für etwas brennt, ohne daran kaputtzuge­hen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany