Abgeordnete ringen um brisante Akten
Der Mafia-Untersuchungsausschuss geht Vermerken auf eine mögliche Einflussnahme bei der Justiz nach
Erfurt. Nachdem das Bundeskriminalamt (BKA) Akten für den MafiaUntersuchungsausschuss im Landtag gesperrt oder in der Geheimhaltung hochgestuft hat, plant auch das Landeskriminalamt (LKA) einen solchen Schritt. Darüber sei der Ausschuss vor Ostern informiert worden, bestätigt Dorothea Marx, SPD-Obfrau in dem Gremium, dieser Zeitung. Sie kritisiert das als überzogen und übertrieben.
Eine Lösung sollen derzeit Gespräche mit dem LKA herbeiführen. Es gebe Anzeichen auf eine gütliche Einigung, die auf eine weitgehende Rücknahme der beabsichtigten Einstufungen hoffen lassen, fügt die Abgeordnete an.
Der Untersuchungsausschuss könne sich auf gesetzliche Regelungen berufen, wonach entsprechende Akten zur Verfügung gestellt werden müssen. Ausnahmen könnten Informationen über den Kernbereich des privaten Lebens von Personen oder noch laufende Ermittlungen in Strafverfahren sein.
Geheim eingestufte Akten könnten die Ausschussarbeit behindern
Die Akten, die das LKA sperren oder für geheim erklären wollte, würden teils gar nicht zum LKA-Aktenbestand gehören, weist die SPDPolitikerin das Ansinnen zurück. Beispielsweise betreffe das Unterlagen zu Grundstücksgeschäften in Erfurt. Aus ihrer Sicht wirke diese Aktion vor allem panisch. Gesperrte oder für geheim erklärte Akten würden die Ausschussarbeit stark behindern, so die SPD-Obfrau. Sie hoffe, dass es im Interesse der Aufklärung zu einer schnellen Verständigung kommen werde.
Ein Teil des Aktenbestandes, den das Untersuchungsgremium nutzt, stammt noch von den beiden NSUAusschüssen
der vergangenen Legislaturperioden. 2012 war ein Moratorium verhängt worden, um das Vernichten von Ermittlungsakten nach Bekanntwerden der NSU-Verbrechen zu verhindern.
Aufhorchen lassen derzeit auch neue Erkenntnisse über mögliche Verbindungen eines Erfurter Amtsrichters zu Personen, die im Verdacht stehen, Unterstützer oder Mitglieder der kalabresischen Mafiaorganisation Ndrangheta zu sein. Bereits diesen Januar hatte eine BKA-Auswerterin den Abgeordneten berichtet, dass bei einer TelefonAbhöraktion am 29. Juni 2001 ein Gespräch belauscht wurde, in dem es um ein Päckchen gegangen sei, das ein Richter in einem Erfurter Restaurant erhalten sollte.
Verdacht des Verrats von Dienstgeheimnissen
Inzwischen besteht der Verdacht, der betreffende Amtsrichter könnte damals ein Dienstgeheimnis verraten haben. Darüber berichtet der MDR.
Denn die dem Ausschuss zur Verfügung stehenden Akten beinhalten verschriftete Telefongespräche. So soll der betreffende Restaurantbetreiber mehrfach versucht haben, den Amtsrichter per Telefon zu erreichen, erst im Büro, dann privat zu Hause. Beim fünften Anruf hatte er Glück, heißt es. Beide verabredeten sich im Restaurant.
Die Ermittler hörten mit, denn der Restaurantbetreiber war Beschuldigter in einem Verfahren, das die Staatsanwaltschaft Gera unter dem Decknamen Fido führte. Der Vorwurf lautete Mafiamitgliedschaft und illegaler Drogenhandel.
Die BKA-Beamtin berichtete dem Ausschuss, dass sie geschockt gewesen sei, als sie beim Auswerten der Telefongespräche auf die mutmaßliche Verbindung zwischen dem
Richter und einem Verdächtigen der Ndrangheta aufmerksam wurde. Was wirklich mit Päckchen gemeint war oder sich darin befunden haben könnte, ist unklar.
„Jeder von uns hatte im Hinterkopf, dass Geld in dem Päckchen gewesen sein könnte“, erzählt sie den Abgeordneten. Sie habe eine Zusammenfassung des belauschten Gesprächs gefertigt. Das mit dem Richter sei „schon eine sehr besondere Sache gewesen“, so die Beamtin. Ihr Protokoll wurde der Staatsanwaltschaft Gera übergeben.
Laut MDR soll der Zoll 1997 in Saarbrücken gegen den Restaurantbetreiber wegen mutmaßlicher Drogengeschäfte ermittelt haben. Als dieser nach Erfurt gezogen ist, ging das Verfahren an die Staatsanwaltschaft Gera. Diese erhob offenbar im Mai 2001 gegen den Gastwirt Anklage wegen Drogenhandels und
Drogenbesitzes. Der Anruf beim Richter soll einen Monat später erfolgt sein. Beim verabredeten Treffen im Restaurant habe dann der Richter mit dem Telefon des Gastwirts einen Erfurter Anwalt kontaktiert.
Auch das hörten die Ermittler mit und erfuhren, dass der Richter um „vertrauensvolle Hilfe“für einen Freund – den Gastwirt – gebeten haben soll. Der Richter bejahte laut Protokoll auch eine Bemerkung des Anwalts, dass das Lokal überwacht werde.
Ausschuss verfolgt den Weg der BKA-Aktennotiz
„Das steht so in den Akten“, bestätigt Dorothea Marx gegenüber dieser Zeitung. Unter Umständen war das Geheimnisverrat, meint die Juristin. Eines der Ziele der Ausschussarbeit sei, herauszufinden, was mit der Aktennotiz der BKABeamten an die Staatsanwaltschaft passiert ist. Die Protokolle der Telefonüberwachung hätte damals schließlich auch die Anklagebehörde gehabt, so die SPD-Politikerin.
Seit Juni 2021 prüft der MafiaUntersuchungsausschuss, ob und welche Verbindungen es in Thüringen zwischen mafiösen Strukturen sowie Verwaltung, Politik, Polizei oder Justiz gegeben hat. Anlass ist das Ende von Ermittlungen vor knapp 20 Jahren im Fido-Verfahren. Während dieser Ermittlungen waren bis zu fünf V-Leute eingesetzt. Das LKA hatte damals Machenschaften der Ndrangheta im Visier.
Dass Erfurt ein Stützpunkt der Ndrangheta sei, betonten mehrere Experten bereits in der ersten Ausschusssitzung. Nur wolle die Mafia unsichtbar bleiben, um beispielsweise mit Immobiliengeschäften Geldwäsche betreiben zu können und Einfluss auf Wirtschaft und Politik zu nehmen, heißt es.