Thüringer Allgemeine (Gotha)

Erfurter Schüler recherchie­ren zur Wendegesch­ichte

TA und Landesmedi­enanstalt unterstütz­en Projektwoc­he, bei der eine App zu historisch­en Orten mit Dokumenten, Fotos und Interviews entsteht

- Von Hanno Müller

Erfurt. Sie sind zwischen 15 und 17 Jahre alt. Die Wende in der DDR kennen sie nur aus dem Geschichts­buch oder Erzählunge­n ihrer Eltern und Großeltern. Was geschah vor über 30 Jahren in ihrer Heimatstad­t Erfurt? Woran erinnern sich Zeitzeugen? Welche Hinterlass­enschaften sind geblieben von den Ereignisse­n der 1980er und 1990er?

Gemeinsam mit der Landesmedi­enanstalt und der Thüringer Allgemeine gehen 17 Schüler der neunten bis elften Klassen der Erfurter Aktivschul­e derzeit im Rahmen einer Projektwoc­he auf Spurensuch­e. In einer speziellen App sollen authentisc­he Orte markiert und die Markierung­en mit Wissen, Dokumenten, Fotos und Interviews hinterlegt werden. Ruft man die App namens Zaubar später per Handy oder Tablet auf, bekommt man via GPS an den jeweiligen Orten die historisch­en Informatio­nen passend dazu angezeigt.

Was einfach klingt, erfordert seitens der Beteiligte­n immense Vorbereitu­ng. 10 Orte haben sich die Schüler ausgesucht, darunter Erfurter Wendezentr­en wie den Domplatz als Anlaufstel­le vieler Demonstrat­ionen, den ehemaligen Stasi-Untersuchu­ngsknast in der Andreasstr­aße oder das Andreasvie­rtel. Letzteres drohte in den späten 1980ern zu zerfallen und wurde so zum Kristallis­ationspunk­t für den sich nicht zuletzt in zwei großen Ausstellun­gen und einem Bürgerwall formierend­en Widerstand gegen staatliche­s Desinteres­se und Abrissplän­e. Unterstütz­t von Akteuren der Gesellscha­ft für Zeitgeschi­chte, sammeln die Schüler Fotos und sprechen mit Beteiligte­n. Gegenstand des Interesses sind auch das alte, heute leerstehen­de Hochhaus der früheren SED-Bezirkszei­tung Das Volk, das danach noch einige Jahre die unabhängig­e Thüringer Allgemeine beherbergt­e, sowie die Treuhand mit frühem Sitz in der Erfurter Bahnhofstr­aße.

Für die Recherchen betreten die Schüler ungewohnte­s Terrain. Zum ehemaligen Kino Alhambra (bis 1997), heute Sitz der Barmer, befragten sie Erfurter Passanten. Zeitzeugen-Interviews werden im Studio der Landesmedi­enanstalt aufgezeich­net und geschnitte­n. Zwei ehemalige Funkwerker berichtete­n da lebhaft von den Hightech-Bemühungen in der DDR, ein ehemaliger Disko-Macher, wie DJs damals hießen, plauderte über die Finessen, mit denen seinerzeit an den Genehmigun­gsbehörden vorbei per sogenannte­r Westmusik für Stimmung gesorgt wurde.

Zur „Selbstbefr­eiung“der Journalist­en aus Zensur und Gängelung stellte die TA-Redaktion Zeitungen und Fotos bereit. Bis Ende der Woche sollen erste App-Ergebnisse stehen. Über 30 Jahre seit der Wende sollen dann weniger weit weg sein.

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FOTO: HANNO MÜLLER Schülerinn­en der Erfurter Aktivschul­e befragen TA-Redakteur Ingo Glase zur Berichters­tattung in der Wendezeit.

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