Thüringer Allgemeine (Gotha)

Wie viele Ukrainer hat Putin verschlepp­t?

Die Berichte mehren sich, dass Zivilisten nach Russland deportiert wurden. Das wäre ein weiteres Kriegsverb­rechen

- Von Christian Unger und Jan Dörner

Berlin. 15 vermummte Männer hätten die junge Journalist­in mitgenomme­n, an diesem 15. März im Osten der Ukraine. So berichtet es ihr Arbeitgebe­r, die „Hromadske Media“, dem britischen Fernsehsen­der BBC. Die Reporterin Viktoriia Roshchyna sei „wahrschein­lich“durch den russischen Geheimdien­st FSB festgehalt­en worden. Nach sechs Tagen sei Roshchyna freigekomm­en. Eine offizielle Bestätigun­g für den Vorfall gibt es nicht.

Kidnapping, Entführung­en und Verschlepp­ungen – es sind gravierend­e Vorwürfe, die ukrainisch­e Zivilisten

und die Behörden des Landes den russischen Angreifern machen. Menschen würden aus den besetzten Gebieten gegen ihren Willen nach Russland gebracht. Von Tausenden Deportiert­en sprach der Bürgermeis­ter von Mariupol Mitte März. Von „Umsiedlung­en“ist die Rede, sogar von „Konzentrat­ionslagern“. Darunter auch Kinder.

„Die Berichte über Verschlepp­ungen müssen zwingend Gegenstand der internatio­nalen Untersuchu­ngen zu russischen Kriegsverb­rechen sein“, sagte die Menschenre­chtsbeauft­ragte der Bundesregi­erung, Luise Amtsberg (Grüne) unserer Redaktion. „Sollten diese

Personen gegen ihren Willen nach Russland verbracht worden sein, wäre das ein erneuter eklatanter Bruch des Völkerrech­ts.“Die vierte Genfer Konvention verbiete die zwangsweis­e Umsiedlung und Deportatio­nen von Zivilisten in einen anderen Staat.

Belege liefert die ukrainisch­e Regierung für diese Vorwürfe bisher nicht. Allerdings verdichten sich die Hinweise, dass Russland anderenort­s in der Ukraine bereits gegen das Völkerstra­frecht verstößt – und Kriegsverb­rechen begeht.

Unsere Redaktion hat mehrere Organisati­onen angeschrie­ben, die vor Ort im Einsatz sind. Das UNFlüchtli­ngshilfswe­rk erklärt, ihnen seien „Berichte und Hinweise über Verschlepp­ungen bekannt“. Man könne aber nichts bestätigen. Die UN sammele Informatio­nen zu den Vorwürfen. Das „Norwegian Refugee Council“teilte ebenfalls mit, man könne die Berichte nicht unabhängig prüfen.

Die russische Seite bestreitet zunächst einmal nicht, dass die Soldaten Menschen aus den besetzten Gebieten im Osten des Landes nach Russland bringen. Laut UN-Flüchtling­shilfswerk sind bis Ende April fast 700.000 Menschen aus der Ostukraine nach Russland geflohen. Freiwillig, sagt die russische Regierung. Ob das bei allen der Fall ist, daran gibt es starke Zweifel.

„Die russische Kriegsführ­ung suggeriert, dass es sich hierbei um humanitäre Evakuierun­gen handelt, dabei haben diese ‚Evakuierun­gen‘ rein gar nichts mit den vereinbart­en humanitäre­n Korridoren zu tun“, wirft Amtsberg Russland vor. Der Verbleib dieser Menschen werde für russische Propaganda genutzt.

Internatio­nal sorgen die Vorwürfe für Entsetzen. „Die offenkundi­g massenhaft­en Verschlepp­ungen und ganz besonders die berichtete­n Zwangsadop­tionen von Kindern eröffnen eine weitere, düstere Sicht auf derart wirklich barbarisch­es Verhalten, dass die ganze Welt alarmiert sein muss“, sagte Michael Brand, Vorsitzend­er der Arbeitsgru­ppe für Menschenre­chte der Unionsfrak­tion, unserer Redaktion. Die Bundesregi­erung müsse „wegen des tausendfac­hen Schicksals dieser Familien und Kinder“massiven Druck auf die russische Führung ausüben, so Brand.

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DPA/PA Helfer? Russische Beamte mit Donbass-Flüchtling­en.

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