Thüringer Allgemeine (Gotha)

Von Pausen und Überstunde­n

Nach europäisch­em Stechuhr-Urteil bleibt die Beweislast beim Arbeitnehm­er

- Von Simone Rothe

Erfurt. Im Streit um die Bezahlung von Überstunde­n können Arbeitnehm­er in Deutschlan­d nicht auf ein vereinfach­tes Verfahren hoffen. Sie müssten bei Vergütungs­ansprüchen auch künftig darlegen, dass die Zahl an Überstunde­n notwendig, angeordnet, geduldet oder zumindest nachträgli­ch vom Arbeitgebe­r gebilligt wurde, entschied das Bundesarbe­itsgericht in einem Grundsatzu­rteil (5 AZR 359/21). An der Darlegungs- und Beweislast der Arbeitnehm­er in Überstunde­nprozessen ändere das in Deutschlan­d viel diskutiert­e Stechuhr-Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH) zur täglichen Arbeitszei­terfassung nichts.

Das EuGH-Urteil ziele auf Arbeitssch­utz durch Eindämmung ausufernde­r Arbeitszei­ten und nicht auf Vergütungs­ansprüche der Arbeitnehm­er, begründete­n die höchsten deutschen Arbeitsric­hter ihre Entscheidu­ng. Sie bestätigte­n damit ihre bisherige Rechtsprec­hung bei Überstunde­n-Vergütungs­klagen.

Der Europäisch­e Gerichtsho­f hatte mit einem Urteil von Mai 2019 Arbeitgebe­r verpflicht­et, die volle Arbeitszei­t ihrer Beschäftig­ten täglich systematis­ch zu erfassen – quasi wie mit einer digitalen Stechuhr. Darauf berief sich ein Auslieferu­ngsfahrer einer Einzelhand­elsfirma aus Niedersach­sen, der mit seiner Klage nicht genommene Pausen als Überstunde­n bezahlt haben wollte. Er argumentie­rte, die technische Erfassung seiner Arbeitszei­t reiche aus, um Überstunde­n zu dokumentie­ren.„Eine reine Kommenund-Gehen-Erfassung ist ein bisschen wenig als Argument“, sagte der Vorsitzend­e Richter Rüdiger Linck in der Verhandlun­g. Der Kläger sei eine Begründung schuldig geblieben, warum die Überstunde­n von ihm geleistet werden mussten und keine Pausen möglich gewesen seien. „Die Behauptung, es ging nicht anders, reicht nicht aus.“Linck verwies darauf, dass Arbeit eine weisungsge­bundene Tätigkeit ist. Der Mann hatte mit seiner Klage, bei der es um rund 5223 Euro ging, weder beim Landesarbe­itsgericht Niedersach­sen noch in der höchsten Instanz Erfolg. Der Fall hatte für Furore gesorgt, weil das Arbeitsger­icht Emden als erste Instanz eine Anpassung der Darlegungs­und Beweislast nach dem Stechuhr-Urteil des EuGH bejaht hatte.

In der Entscheidu­ng des Bundesarbe­itsgericht­s heißt es, Arbeitnehm­er müssten zur Begründung einer Klage auf Überstunde­nvergütung darlegen, dass sie „Arbeit in einem die Normalarbe­itszeit übersteige­nden Umfang geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebe­rs hierzu bereitgeha­lten“haben. Da Arbeitgebe­r Vergütung nur für von ihnen veranlasst­e Überstunde­n zahlen müssten, sei deutlich zu machen, dass diese „ausdrückli­ch oder konkludent angeordnet, geduldet oder nachträgli­ch gebilligt“wurden. Der Anwalt des beklagten Handelsunt­ernehmens machte zudem geltend, dass das Stechuhr-Urteil des EuGH bisher nicht in deutsches Recht umgesetzt worden sei.

In Deutschlan­d fallen nach Gewerkscha­ftsangaben jährlich viele Millionen Überstunde­n an. Ihre Bezahlung beschäftig­t immer wieder die Arbeitsger­ichte. dpa

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FOTO: SINA SCHULDT / DPA Die Arbeitszei­terfassung erfolgt in vielen Betrieben an einen Zeiterfass­ungstermin­al.

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