Perlenschnur der Prominenz
Weimars Staatskapelle sucht noch immer einen „General“und glänzt derweil mit Gästen
Weimar. Eher hinter den Kulissen zieht Nils Kretschmer als Orchesterdirektor der Staatskapelle Weimar die Fäden. Nun aber ist ihm einige Genugtuung anzumerken – und das völlig zurecht: Während die GMD-Frage für Thüringens Vorzeige-Orchester noch immer nicht gelöst ist, hat Kretschmer für die Saison 2022/23 ein Konzertprogramm organisiert, das prominente Gäste wie an der Perlenschnur aufreiht.
Nominell steht das – wie seit Jahren nicht – auf Top-Niveau; so kann die Weimarhalle mit allerersten Sälen wie dem Gewandhaus Leipzig oder der Philharmonie Köln durchaus konkurrieren.
Fazil Say, als Komponist wie Pianist weltweit gefragt, amtiert als Artist in Residence. Der Weltbürger aus Ankara eröffnet den Reigen mit dem Ravel-Konzert und ist später mit Beethovens c-Moll-Konzert zu hören. Außerdem bringt er sein Violinkonzert „1001 Nights in the Harem“mit und lässt sein neues Klavierkonzert zu vier Händen als Saisonabschluss aus der Taufe heben.
Besonders berührt eine weitere Uraufführung das Publikum: Posthum kommt das Cello-Konzert des Weimarer Ehrendirigenten George
Alexander Albrecht erstmals zu Gehör. Er hat es Daniel Müller-Schott in die Finger geschrieben; sein Sohn Marc Albrecht, Chef der Amsterdamer Oper, wird dirigieren.
Ein drittes Highlight dieser Art steuert aus Hamburg Ludger Vollmer bei, der als Geiger im Erfurter Orchester und als ebenso freier wie erfolgreicher Tonschöpfer lange Jahre in Thüringen verbrachte. Er schrieb ein Violinkonzert für Konzertmeister Gernot Süßmuth, den DNT-Chefdirigent Dominik Beykirch beim ominösen „ersten Mal“begleitet.
Michael Boder, früher Chef am Gran Liceu Barcelona und heute ständig Gast in allerersten Häusern, dirigiert die Fünfte Bruckners.
Christoph Eschenbach (82), ein Grandseigneur am Pult, debütiert in Weimar als Dirigent in Says Violinkonzert und Prokofieffs Fünfter.
Der wunderbare Michael Sanderling, inzwischen von Dresden nach Luzern gewechselt, gibt in einem Richard-Strauss-Programm den Ton an: „Also sprach Zarathustra“.
Ivan Repusic kommt aus München, John Axelrod aus Sevilla, Otto Tausk aus Vancouver und Benjamin Reiners aus Kiel, um diese namhafte Riege zu komplettieren.
Unter den Solisten ragen die Namen Anne Schwanewilms’ und Felix Kliesers heraus. Klieser, contergangeschädigt, spielt wie jeder andere Hornist sein Instrument mit dem Mund, bedient die Ventile aber mit den Füßen; der Ausnahmemusiker wird mit dem Konzert Reinhold Glières zu hören sein. Und Schwanewilms? Die Kaiserin aus der schon legendären Salzburger „Frau ohne Schatten“lehrt seit kurzem an Weimars Musikhochschule. Im
Konzert singt sie Orchesterlieder in Glanert-Bearbeitungen.
Da huscht sogar Nils Kretschmer ein Lächeln über das Gesicht. „Mit den großen Gagen kann ich nicht locken“, betont er. Der Gäste-Etat am DNT sei seit 2009 nicht mehr erhöht worden. Aber immerhin fließt das Budget aus der seit Sommer ‘'19 vakanten GMD-Stelle mit ein.
Ein Nachfolger für Kirill Karabits ist noch nicht absehbar, weil Probedirigate durch die Corona-Krise behindert waren, sagt Kretschmer. So stehe nun das Engagement Beykirchs als „Chefdirigent Musiktheater“zur Verlängerung an. Die Kandidatensuche geht unterdessen – auch nächste Spielzeit – weiter.
Der Ukrainer Karabits kehrt noch vor der Sommerpause retour nach Weimar, um den Liszt-Zyklus auf CD mit einer Aufnahme der Faust-Symphonie abzuschließen. Und auch Beykirch kommt beim Münchner Label audite zu CD-Ehren: mit Paul Dessaus späterer Oper „Lanzelot“, die er so bravourös dirigiert hat.
„Mit großen Gagen kann ich nicht locken...“Nils Kretschmer Orchesterdirektor der Staatskapelle Weimar
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