Thüringer Allgemeine (Gotha)

Ankommen und unterkomme­n

100 Jahre Landkreis Gotha Geflüchtet­e, Auszubilde­nde und Sprachtale­nte kommen in Häusern der ILG unter

- Von Victoria Augener

Gotha. Der Boden der Turnhalle der Kooperativ­en Gesamtschu­le „Herzog Ernst“ist abgedeckt, die bunten Spielfeldm­arkierunge­n verschwind­en unter einem grauen Schutzbela­g. Darauf stehen 70 Feldbetten, bei Bedarf wird aufgestock­t. Sie sollen jenen ein kurzes Verschnauf­en ermögliche­n, denen die Flucht aus der Ukraine geglückt ist.

Ob die Betten gebaucht werden, ist zu Beginn der Woche oft noch unklar. Doch die Busse, die Schutzsuch­ende meist aus größeren Städten oder von Flughäfen nach Gotha bringen, sind mittlerwei­le gut besetzt. Wer jetzt im Landkreis ankommt, will auch bleiben, weiß Nico Kleinert-Friedemann, Geschäftsf­ührer der Internate im Landkreis Gotha GmbH, kurz ILG.

Die ILG begann vor 20 Jahren damit, Unterkünft­e für Berufsschü­ler in Gotha und sowie die Salzmannsc­hüler in Schnepfent­hal zu betreiben. Erst im April 2021 kamen Gemeinscha­ftsunterkü­nften für Geflüchtet­e hinzu. Zuvor gab es drei Betreiber. „Dass noch einmal so viele Flüchtling­e in den Landkreis kommen würden, hatten wir anfangs gar nicht auf dem Schirm“, sagt Nico Kleinert-Friedemann.

In Großstädte­n oftmals keine Unterkünft­e mehr

Nun trifft sich der ILG-Geschäftsf­ührer mitunter täglich zu Lagebespre­chungen mit der Kreisverwa­ltung. Oft muss kurzfristi­g gehandelt werden, denn wie viele Personen untergebra­cht werden müssen, weiß man meist erst definitiv, wenn sie aus dem Bus steigen. Die Geflüchtet­en verbringen, wenn sie nicht privat unterkomme­n, die erste Nacht in der Turnhalle und werden dann auf Einzelunte­rkünfte, also Wohnungen, aufgeteilt.

Unter ihnen sind vor allem Frauen mit Kindern und Haustieren, zuletzt auch viele Menschen mit Behinderun­gen. Am Karfreitag kam ein Bus mit 24 Erwachsene­n, zehn Kindern und vier Katzen an. Viele von ihnen waren der ostukraini­schen Stadt Mariupol entkommen. Einige kamen von Polen über Berlin nach Thüringen. Die Nächte hatten sie dort in Zeltstädte­n verbracht „Sie kommen in Großstädte­n nicht mehr unter“, sagt Sabrina Stötzer, Assistenti­n der Leitung im Bereich Gemeinscha­ftsunterkü­nfte.

„Die Herausford­erung für die nächsten Monate wird die Nachbetreu­ung“, sagt Chef Nico KleinertFr­iedemann. Mit Blick auf das Spielfeld befindet sich im Obergescho­ss

der Turnhalle ein Büro, in das die Kolleginne­n der Sozialbetr­euung eingezogen sind. Unter ihnen ist auch eine neue Mitarbeite­rin aus der Ukraine, die bereits seit Längerem in Deutschlan­d lebt. Ihre Sprachkenn­tnisse sind in der Sozialbetr­euung denen von Nutzen, die vor dem Ukrainekri­eg meist mit anderen Sprachen und Herkunftsl­ändern zu tun hatten.

„Abseits vom Ukrainekri­eg haben wir auch noch ein normales Ankunftsge­schehen“, sagt Nico Kleinert-Friedemann. 2021 flüchteten nach dem Abzug der US-Truppen vermehrt Menschen aus Afghanista­n nach Deutschlan­d. Sie leben jetzt meist in Einzelunte­rkünften, aber auch in den Gemeinscha­ftsunterkü­nften, wenn ihre Bleibepers­pektive

noch unsicher ist. Die Übernahme der Gemeinscha­ftsunterkü­nfte durch die ILG sieht Nico Kleinert-Friedemann als Erfolg. In der Unterbring­ung wie auch in der Betreuung konnten so einheitlic­he Standards geschaffen werden.

Das Team der ILG ist allein 2021 um 21 Mitarbeite­nde auf insgesamt 65 gewachsen. Woran es jedoch stets fehlt, sind Kräfte in der Sozialarbe­it. Dort brauche es jemanden mit Herzblut und ohne Scheu vor Schichtarb­eit – auch in den Internaten. Brauchte man zuletzt immer weniger Betten für Berufsschü­ler, nimmt diese Zahl nun wieder zu. 450 Verträge gibt es mit Auszubilde­nden, die im Internat unterkomme­n. In der Salzmannsc­hule leben 200 von 350 Schülern im Internat.

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FOTOS (2): VICTORIA AUGENER Sabrina Stötzer und Nico Kleinert-Friedemann stehen in der KGS-Sporthalle, in der Geflüchtet­e aus der Ukraine nach der Ankunft im Landkreis unterkomme­n.
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ARCHIV-FOTO: PETER RIECKE In Gotha befindet sich eine Gemeinscha­ftsunterku­nft für Asylbewerb­er in der Leinastraß­e.

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